Dr. Josef Mengele war der KZ-Arzt von Auschwitz, mit grausamen Experimenten an Menschen pervertierte er die Medizin. Sein Name steht dafür bis heute. Wie wäre es, wenn Ärztinnen und Ärzte im heutigen Deutschland immer noch ein Buch von Mengele benutzen würden? Wenn sie, wann immer ein Patient zu ihnen käme, für die Diagnose erst mal "den Mengele" aus dem Bücherregal ziehen, aufschlagen und neugierig konsultieren würden?
Grotesk? In der Welt der Juristerei ist diese Vorstellung nicht ganz so abwegig, sondern durchaus nah an der Wirklichkeit. Einer der schauderhaftesten Juristen des NS-Systems nämlich, einer, der von 1934 an eine Generation deutscher Juristen mit Antisemitismus und Rassenwahn indoktrinierte, ist bis heute der Namensgeber für ein Handbuch, das tagtäglich tausendfach in Gerichtssälen konsultiert wird. NSDAP-Mann Otto Palandt (1877-1951) war im Hitler-Staat der Herr über das angebräunte Jurastudium und die Staatsexamina.
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Sein Name prangt bis heute auf dem wichtigsten Nachschlagewerk zum Bürgerlichen Gesetzbuch, dem BGB. "Der Palandt", ein 3000 Seiten dicker Band aus dem Münchner Verlag C.H. Beck, darf auf fast keinem Richtertisch fehlen. Gerade ist die 80. Auflage erschienen. Es ist heute kein Nazi-Buch mehr. Die Erläuterungen in dem Handbuch werden heute von renommierten Professorinnen und Professoren geschrieben. Der Name aber ist seit den 1930ern nie geändert worden. Der Beck-Verlag hat das stets abgelehnt.
Es gibt deshalb schon länger Kritik am Beck-Verlag. Die grünen Justizminister etwa aus Thüringen, Berlin und Hamburg appellieren immer mal wieder, den alten Nazi-Namen zu streichen. Neulich hat auch die SPD-Bundesjustizministerin Christine Lambrecht in einer Podiumsdiskussion deutliche Worte gewählt: "Es ist sehr schwer zu ertragen, dass das bis heute nicht geändert wurde."
Beeindruckt hat das den Verlag nie besonders. Aber jetzt hat sich erstmals auch ein gewichtiger Konservativer der Kritik angeschlossen: Bayerns Justizminister Georg Eisenreich von der CSU. Er hat vor wenigen Tagen öffentlichkeitswirksam das in München ansässige Institut für Zeitgeschichte (IfZ) beauftragt, die Lebensgeschichte des NS-Juristen Palandt unter die Lupe zu nehmen und ein Gutachten zu veröffentlichen. Er halte es "für unerlässlich, dass das historische Bewusstsein für das nationalsozialistische Unrecht in allen Bereichen geschärft wird": So begründete Eisenreich in einem Brief an seine Kolleginnen und Kollegen in den Ländern und beim Bund, warum er jetzt aktiv werde.
Das andere Standardwerk: Nach einem NSDAP-Mitglied benannt
Nicht nur der Name Palandt, sondern noch ein zweiter Name, den der Beck-Verlag bis heute in Ehren hält, soll überprüft werden. Die wichtigste Gesetzessammlung des Beck-Verlags heißt "Schönfelder" - nach Heinrich Schönfelder, ebenfalls NSDAP-Mitglied. Bayerns Justizminister schreibt jetzt: Er erwarte sich von den Historikern des IfZ binnen zwölf Monaten "eine wissenschaftlich fundierte Bewertung der Personen Palandt und Schönfelder, ihres juristischen Wirkens und ihrer Rolle während der nationalsozialistischen Diktatur". Anfang des Jahres hatte der Grünen-Landtagsabgeordnete Toni Schuberl die Staatsregierung aufgefordert, sich für die Umbenennung beider Werke einzusetzen.
Die Entscheidung, wie ein Buch heißt, liegt allein beim Verlag. Eisenreich kann und will dem Traditionshaus C.H. Beck nicht drohen. Aber klar ist auch: "Ich mache das nicht ohne Grund", sagt Eisenreich der SZ. Ein mit Steuermitteln bezahltes wissenschaftliches Gutachten - das solle dazu dienen, ein Problem zu klären. Die Messlatte, wer heute Namensgeber für Gesetzessammlungen sein könne, beschreibt Eisenreich so: "Es muss klar sein: Das müssen integre Persönlichkeiten sein. Keine Nazis." Wenn die Historiker zu dem Schluss kommen sollten, dass Palandt und Schönfelder historisch belastet sind, dann werde das eine klare politische Erwartung an den Beck-Verlag auslösen, findet Eisenreich. Auch der Verlag selbst sei an einer Klärung interessiert - da sei er ganz zuversichtlich.
Das ist einerseits ein spektakuläres Understatement. Was soll denn sonst herauskommen bei diesem Gutachten? Über Leben und Werk zumindest von Otto Palandt ist schon viel geforscht worden, zuletzt beschrieb 2018 der Münchner Rechtshistoriker Martin Würfel, wie Palandt die Jurastudenten zum "Kampf gegen das Judentum" aufrief. "Die jungen Juristen müssen die Verbindung von Blut und Boden, von Rasse und Volkstum begreifen", schrieb Palandt in der Deutschen Juristenzeitung am 9. April 1935. Frauen ließ er aus dem juristischen Betrieb ausschließen. Juden sowieso.
Andererseits eröffnet Eisenreich dem stolzen Beck-Verlag so auch eine Möglichkeit, das Gesicht zu wahren. Seit Jahren sperrt sich der Beck-Verlag gegen alle Kritik, reagiert mit Abwehr auf Grüne und Sozialdemokraten. Der CSU-Politiker versucht es jetzt auf die nette Tour: Bislang fehle es noch an "tief greifender wissenschaftlicher Beschäftigung" mit den NSDAP-Juristen Palandt und Schönfelder, gesteht er dem Verlag zu. Wenn dann die von Eisenreich beauftragten IfZ-Historiker in zwölf Monaten ihr Gutachten vorlegen, könnten die Verlags-Oberen sagen: Huch, das haben wir so noch nicht gewusst.
Der Verleger Hans Dieter Beck zumindest deutet das bereits an: "Dem Forschungsergebnis sehen wir mit großem Interesse entgegen. Es wird für uns eine wichtige Grundlage für die Entscheidung sein, wie der Verlag C.H. Beck künftig mit diesen Herausgebernamen umgehen wird." Das ist der nicht zu unterschätzende Charme von Georg Eisenreichs Vorgehen: Es könnte klappen.