Ministranten:"Am Sonntag in die Kirche? Bist du völlig gestört?"

Franziska Mittermüller und Martin Breitenlohner sind beide 18 und engagieren sich als Ministranten. Ein Gespräch über Glaube, Sex vor der Ehe und Hänseleien von Mitschülern.

V. Großmann

Am Wochenende haben sich 52.000 Ministranten aus ganz Europa auf den Weg nach Rom gemacht. Was treibt die jungen Leute, fragte sich Viktoria Großmann, die ohne Religion aufgewachsen ist. Sie traf sich mit zwei Ministranten, Franziska Mittermüller und Martin Breitenlohner, beide 18, aus Putzbrunn und Grasbrunn bei München. Die gaben Großmann erfrischende Antworten: über das Wesen des katholischen Volksglaubens und bayerischer Ministranten.

Fronleichnam in München, 2010

 Ministranten in München: Am Wochenende sind 52.000 Ministranten aus ganz Europa nach Rom aufgebrochen.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

SZ: Seit wann seid ihr Ministranten?

Martin Breitenlohner: Direkt nach der Kommunion haben wir angefangen, so mit neun Jahren ungefähr.

SZ: Warum macht ihr das?

Franziska Mittermüller: Für mich war es beeindruckend, dass die Großen mit vorn beim Pfarrer stehen. Das hat immer ganz besonders ausgeschaut und dann hab ich gedacht, das möchte ich mal ausprobieren.

SZ: Was hat deine Mutter dazu gesagt, dass du Ministrantin wurdest?

Mittermüller: Die fand das total gut. Meine zwei Omas auch. Die haben sich gefreut, dass ich das mache.

SZ: Ministrieren bereitet ja eigentlich auf den Priesterberuf vor. Macht ihr daraus auch eine Profession?

Breitenlohner: Pfarrer zu werden, kann ich mir gar nicht vorstellen. Der Zölibat schreckt mich wirklich ab. Ich habe im Moment eine Freundin und bin sehr glücklich. Und das Gehalt ist ja auch nicht so toll. Ich möchte irgendwas Technisches studieren. Da sind Gehalt und Aufstiegschancen einfach besser.

Mittermüller: Ich möchte schon gern Religionspädagogik studieren. Auf alle Fälle was Soziales und das, wenn's geht, mit dem Kirchlichen verbinden.

SZ: Franziska, stört es dich nicht, dass du als Frau in der katholischen Kirche kaum Aufstiegschancen hast?

Mittermüller: Doch, schon. Aber ich habe immer noch die Hoffnung, dass sich das in den nächsten Jahren ändert. Allerdings möchte ich auch nicht Priesterin werden. Lieber Gemeindereferentin. Wir hatten eine, und die fand ich super.

SZ: Am Dienstag seht ihr den Papst. Was ist das Faszinierende an ihm?

Breitenlohner: Für mich ist nicht faszinierend, dass der Papst da ist. Der Papst ist kein Superstar. Und ich glaube auch nicht, dass das seine Rolle ist. Ich gehe ja auch nicht zum Bundespräsidenten und will von ihm ein Autogramm. Der Papst ist eben Vorsitzender der Kirche, der Aufgaben übernimmt. Für mich ist der Papst nicht so sehr der Grund, nach Rom zu fahren. Sondern ich kann dort mit 40000 anderen Menschen Spaß haben. Wir feiern aus demselben Grund. Und da ist mir egal, ob da oben ein Papst oder eine Päpstin steht.

"Ohne Glauben keine Gemeinschaft"

SZ: Was bedeutet Kirche in eurem Leben?

Ministranten: Ministranten im Gespräch: Franziska Mittermüller und Martin Breitenloher stellen sich kritischen Fragen.

Ministranten im Gespräch: Franziska Mittermüller und Martin Breitenloher stellen sich kritischen Fragen.

(Foto: Stephan Rumpf)

Breitenlohner: Sie ist ein Ausgleich. Während der Woche habe ich Schule und einen Aushilfsjob. Dann sage ich am Sonntag: 'Hey, ich geht jetzt in die Kirche, dann habe ich anderthalb Stunden Zeit für mich, ein Rückzugsgebiet.'

Mittermüller: Da hat man etwas, woran man sich festhalten kann. Mir gibt das total viel Kraft.

SZ: Was gibt Kraft? Die Gemeinschaft? Der Glaube?

Breitenlohner: Für mich ist es zu 60 Prozent die Gemeinschaft, zu 40 Prozent der Glaube. Einiges von den Glaubenssätzen zweifelt man irgendwann an. Ein einziger, der da oben die ganze Welt schmeißt - das finde ich zwar nicht vorstellbar, aber da ist was dran. Ich weiß nicht, wie er aussieht oder wie es aussieht oder wie sie aussieht. Aber ich glaube daran, und das wird von der katholischen Kirche am besten rübergebracht.

SZ: Glaubst du an Gott?

Mittermüller: Ja. Das ist für mich schon wichtig. Aber ohne Gemeinschaft kann man nicht glauben und ohne Glauben gibt es keine Gemeinschaft.

SZ: Wie geht ihr damit um, dass Kirchenmänner ihnen anvertraute Jugendliche geschlagen oder missbraucht haben?

Breitenlohner: Wir arbeiten seit zehn Jahren mit demselben Diakon zusammen, dadurch haben wir ein sehr gutes, persönliches Verhältnis und können uns hunderttausendprozentig auf ihn verlassen. Die Leute denken, ein fauler Apfel verdirbt den ganzen Korb. Andererseits muss man schon darauf schauen, was so in der Gruppe passiert. Wir haben das ziemlich gut im Gefühl.

SZ: Die Missbrauchsfälle sind für euch kein Grund, aus der Kirche auszutreten?

Breitenlohner: Würde ich wegen eines schlechten Karate-Trainers mit dem Karate aufhören? Eigentlich nicht. Solange es mir Spaß macht, solange es mir gefällt, bin ich dabei.

"Wie ist das jetzt mit dem Sex vor der Ehe?"

SZ: Muss sich die Kirche verändern?

Mittermüller: Ich hoffe, dass sich was ändert. Der Zölibat sollte abgeschafft werden. Gerade jetzt, wo es zu wenige Priester gibt. Wenn die Kirche moderner würde, würden vielleicht auch mehr Jugendliche der Kirche vertrauen, vielleicht träten auch wieder mehr ein.

Breitenlohner: Menschen aus unserer Generation wollen eine Familie haben, auch eine Partnerin, mit der sie offen zusammenleben und Kinder haben können. Das ist ein Weg, den die Kirche noch versperrt, und wir sind nicht die einzigen, die das kritisieren.

Mittermüller: Zwei Freunde von uns wollten Priester werden, und dann haben sie eine Freundin gefunden - damit hat sich das schnell erübrigt. Die Freundin ist denen wichtiger. Ich weiß genau, wenn der Zölibat abgeschafft würde, wären sie die ersten, die Priester würden.

SZ: Wie ist das jetzt eigentlich mit dem Sex vor der Ehe? Darf man oder nicht?

(Gelächter) Breitenlohner: Das hat vor 200 Jahren mal einer erfunden, und seitdem glaubt die halbe Welt daran.

Mittermüller: Es gibt ja auch das lustige Vorurteil, dass die Ministranten die Bravsten sind: kein Sex, keine Drogen, kein gar nichts. Aber auch die Priester sagen: Die Ministranten trinken nach der Kirche den Messwein leer.

SZ: Was sagen denn eure Freunde zu eurem Engagement als Ministranten?

Breitenlohner: Am Anfang ist alles super, aber dann kommt man aufs Gymnasium, siebte, achte Klasse, dann heißt es: 'Wie? Du gehst am Sonntag in die Kirche? Bist du völlig gestört, oder was?'. Da muss man sich durchbeißen und sagen: 'Ich steh' dahinter'.

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