Jubel beim FC Ingolstadt:Die Aufsteigerstadt

Lesezeit: 3 min

Miniatur-Corso: Die Fans des FC Ingolstadt feiern in der Innenstadt den Aufstieg. Ihre Zahl ist aber noch überschaubar. (Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa)

Wirtschaft, Einwohnerzahl, Eishockey und jetzt auch Fußball: In Ingolstadt strebt alles nach oben. Der frühere Oberbürgermeister Alfred Lehmann sagt: "Vor 20 Jahren waren wir eine graue Maus."

Von Roman Deininger und Wolfgang Wittl, Ingolstadt

Gut, es war noch nicht der Rathausbalkon, der sich in Ingolstadt aufgrund seiner beschränkten Maße aber ohnehin kaum für Meisterfeiern in Mannschaftssportarten eignet. Es war einfach ein riesiges Fenster im VIP-Bereich des Audi-Sportparks. Oben im Fenster hüpften also die Spieler des FC Ingolstadt 04, unten auf der Betonfläche vor dem Stadion, die sich etwas kühn "Piazza" nennt, hüpften die Fans. Es war nach acht Uhr inzwischen am Sonntagabend. Der Abpfiff, der den 2:1-Sieg des FC gegen Rasenballsport Leipzig und damit die Meisterschaft in der zweiten Bundesliga besiegelt hatte, lag drei Stunden zurück. Tausende Anhänger wollten einfach nicht heimgehen, und das lag keineswegs nur am Freibier. Einige trugen stolz ein Stück Rasen durch die Gegend, das sie zuvor beim Platzsturm ausgegraben hatten. Bis 17.16 Uhr war das ordinäres Zweitligagras gewesen. Seit 17.17 Uhr handelte es sich um kostbares Erstliga-Grün.

Ingolstadt, Bundesligastadt: So manchem alten "Schanzer", wie sich die Ingolstädter in Anspielung auf ihre Festungsgeschichte nennen, trieb diese Realität Tränen in die Augen.

Wer verstehen will, welche Gefühle am Sonntag in Ingolstadt freigesetzt wurden, muss elf Jahre zurückblicken: Ein düsterer Tag im Juni, es gießt wie aus Kübeln, auf einem kleinen Fußballplatz im Dachauer Hinterland streiten zwei Kontrahenten um den Aufstieg aus der Landesliga - fünf Klassen unterhalb der Bundesliga, begleitet nur von ein paar durchnässten Sportverrückten. Die eine Mannschaft, BCF Wolfratshausen, war bislang höchstens dadurch aufgefallen, dass ein gewisser Edmund Stoiber früher einen knallharten Verteidiger gegeben haben soll. Die andere, MTV Ingolstadt, würde bald schon nicht mehr existieren. Und doch ist der Sieg so eminent wichtig für sie, weil er darüber entscheidet, ob das groß angelegte Projekt mit dem erhofften Schwung startet.

Dieses Projekt, das nun seinen vorläufigen Höhepunkt gefunden hat, war für Ingolstädter Fußball-Verhältnisse nicht weniger als eine Sensation: 2004, nach jahrzehntelanger Rivalität, rangen sich die beiden größten Vereine der Stadt zum Zusammenschluss durch. Das wäre etwa so, als würden der FC Bayern und TSV 1860 München fusionieren. Auf der einen Seite der MTV, die Heimat der Großkopferten; auf der anderen der ESV, der Arbeiterverein aus dem Eisenbahnerviertel. Jeder für sich hatte einmal kurz den Sprung in die zweite Bundesliga geschafft, als die noch in Nord und Süd unterteilt war. Dass sie plötzlich zur Zusammenarbeit bereit sind, hat vor allem einen Grund: den eigenen Misserfolg. Es ist die blanke Not, welche die Gegner von einst alle Gräben überwinden lässt.

Doch braucht es einen Mann, der die Gründung des FC Ingolstadt 04 forciert. Peter Jackwerth, Chef einer Zeitarbeitsfirma, hat stets sehr konkrete Vorstellungen von der Zukunft. Das beweist er auch am Sonntag: Der Etat in der ersten Liga werde um bis zu zwölf Millionen Euro aufgestockt, die Kapazität des Sportparks soll mit gut 15 000 Zuschauern zunächst unverändert bleiben. Jackwerth ist auch der Mann, der Audi für den Ingolstädter Fußball zu begeistern vermochte: Der Autobauer ließ nicht nur das neue Stadion errichten, sondern hält fast 20 Prozent der Vereinsanteile. Natürlich sei der Beitrag von Audi am Erfolg groß, sagt Jackwerth im Bayerischen Fernsehen, doch weigere er sich, über dieses "Werksklub-Gelaber" zu diskutieren.

Auch Alfred Lehmann ist der Ansicht, dass der FCI 04 trotz seiner künstlichen Geburt schon jetzt eine eigene Identität besitzt: Bescheidenheit, seriöse Arbeit, systematische Jugendförderung - "wir schmeißen nicht mit Geld herum, sondern verfolgen ein langfristiges Konzept". Lehmann sitzt im Aufsichtsrat des FCI, bis zum vergangenen Jahr war er Oberbürgermeister der Stadt. Bereits als Wirtschaftsreferent gründete er vor 15 Jahren eine Initiative, um die Kräfte im Ingolstädter Fußball zu bündeln. Lehmann weiß, dass dem FCI in der Branche das Klischee des Neureichen anhaftet, des Parvenüs mit dem solventen Sponsor im Hintergrund. Auch die Stadt hat mit solchen Vorurteilen zu kämpfen.

In bundesweiten Studien, die über Wohlstand Auskunft geben, liegt Ingolstadt weit vorne: größtes Wirtschaftswachstum, niedrigste Arbeitslosenquote, kaum Schulden, breites Kultur- und Bildungsangebot. Die Stadt, die einst die Wittelsbacher und als erste Bayerns eine Universität beheimatete, erlebt eine Renaissance. "Vor 20 Jahren waren wir eine graue Maus", sagt Lehmann. Dieses Image ist passé, nicht zuletzt dank Audi und seinen 40 000 Mitarbeitern am Stammsitz: Ingolstadt wächst in einem Tempo, das schon wieder Probleme bereitet. Mit gut 130 000 Einwohnern ist sie die fünftgrößte Stadt im Freistaat.

Zum vielleicht wichtigsten Markenbotschafter hat sich nun der Sport entwickelt. Auch andere bayerische Großstädte wie Erlangen oder Regensburg haben sich als Sitz potenter Unternehmen einen Namen gemacht. Im Sport spielen sie trotzdem nicht auf einem Niveau wie Ingolstadt, nicht einmal Nürnberg kann im Moment mithalten. Der ERC Ingolstadt wurde im vergangenen Jahr deutscher Eishockeymeister und diesmal Zweiter. Im Fußball gibt es mit dem FC Bayern und FC Augsburg derzeit nur noch zwei weitere bayerische Erstligisten. Wie ein Traum sei der Aufstieg, jubelte Ministerpräsident Horst Seehofer, ebenfalls ein Ingolstädter. Am Pfingstmontag wird die Meisterschaft am Rathausplatz offiziell gefeiert: auf einer Bühne, denn der Balkon ist zu klein.

© SZ vom 19.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: