Politikum beim Kemptener JazzfrühlingEine Sparidee bedroht das Erfolgsmodell

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Der israelische Saxofonist Oded Tzur war einer der internationalen Stars beim 40. Kemptener Jazzfrühling.
Der israelische Saxofonist Oded Tzur war einer der internationalen Stars beim 40. Kemptener Jazzfrühling. (Foto: Oliver Hochkeppel)

Der Kemptener Jazzfrühling feiert einen künstlerisch überzeugenden, fast immer ausverkauften 40. Geburtstag. Von der Stadt gibt es aber womöglich eine Zuschuss-Kürzung als Geschenk.

Von Oliver Hochkeppel

So eine Bilanz wünscht man sich im Jubiläumsjahr: Im 40. Jahr des Kemptener Jazzfrühlings waren fast alle Bezahl-Konzerte ausverkauft und die Publikumszahlen insgesamt auf Rekordniveau. Vor allem aber war auch der künstlerische Ertrag bezwingend. Als herausragend erwies sich erneut die junge Reihe „Women in Jazz“ in der Kulturwirtschaft der Allgäuhalle, bei der die Sängerinnen Santa Šillere aus Lettland, Kamila Zalieva aus Russland und Yumi Ito aus der Schweiz sowie die koreanische Pianistin Gee Hye Lee mit ihren Bands das Publikum ausnahmslos zu Begeisterungsstürmen hinrissen.

Dass die ehemalige reine Männerdomäne Jazz keine mehr ist, bewies auch der diesjährige Jazzfrühling-Nachwuchswettbewerb des Landesverbands Jazz mit drei Leaderinnen von vier Bands (und Teresa Luna als Gewinnerin). Auch viele andere Musikerinnen demonstrierten dies, wie die Sängerin Fola Dada bei David Helbocks Random Control, die Cellistin Asja Valcic im Duo mit dem Akkordeonisten Klaus Paier oder beim Abschlusskonzert der amerikanische Saxofonstar Lakecia Benjamin. Zugegeben, die Blueskonzerte im Stift blieben nach wie vor fest in der Hand der Blues-Men.

Insgesamt hätte also, von der bestens besuchten Eröffnung auf dem Rathausplatz bis zur ausgelassenen Stimmung bei der Jazznacht und den clubbigen „KlecksNights“ im Künstlerhaus rundum eitel Sonnenschein herrschen können. Wenn nicht die Veranstalter vom Kemptener Kleinkunstverein Klecks e.V. just eine Woche vor der Eröffnung eine überraschende Nachricht der Stadt erreicht hätte: Dass nämlich der jährliche Zuschuss der Stadt zum Festival von 55 000 auf 46 000 Euro gekürzt wird.

9000 Euro mögen auf den ersten Blick nicht spektakulär wirken. Sieht man genauer hin, wird die Tragweite klarer. Der Jazzfrühling, eines der ältesten Jazz-Festivals Bayerns, national durchaus in der Bundesliga anzusiedeln, und eines von wenigen Kemptener Kultur-Ereignisse mit überregionaler Bedeutung, ist wie so vieles im Jazz das Ergebnis von Leidenschaft, Selbstausbeutung und Ehrenamt. Die meiste Arbeit hier wird unentgeltlich geleistet. Würde diese von hauptamtlich Angestellten gemacht (wie andernorts), wären im Budget alleine Personalkosten von mindestens 250 000 Euro fällig (wie andernorts).

Jeder hier eingesetzte Euro hat also einen hohen Multiplikationsfaktor, im Positiven wie im Negativen. 9000 Euro klingen marginal, aber für ein dank unbezahlter Arbeit so auf Kante genähtes Festival würde diese Einbuße bedeuten, dass man mindestens da einsparen müsste, wo man keine Ticketeinnahmen hat. „Die beliebte Eröffnung auf dem Rathausplatz müsste wohl ausfallen“, bestätigt Pianist, Booker und Klecks-Vorstand Andreas Schütz. Und auch die gerade neu konzipierte Konzertreihe „Klecks live“ wäre akut gefährdet.

Die für diese Entscheidung zuständigen Politiker und Stadtbediensteten haben vermutlich schlicht keine Ahnung, dass man hier mit minimalstem Ertrag maximalen Schaden anrichten kann. Ohnehin sollten sie sich aber fragen, ob das die Wertschätzung sein kann, die man bei den lobenden Sonntagsreden auf das Ehrenamt immer so gerne im Mund führt. Leider steht zu befürchten, dass dies erst ein Vorbote kommender Grausamkeiten überall im Lande ist. Wenn zugunsten von Rüstung und Infrastruktur in den anderen Ressorts wieder einmal mit der Gartenschere gekürzt wird, wird gerne die vermeintlich irrelevante Kultur gestutzt – obwohl sie in Wahrheit, siehe den Klecks-Verein mit seinen Mitgliedern aller Alters- und Berufsgruppen, der vielleicht letzte Klebstoff unserer Gesellschaft und Demokratie ist. Man hört auch schon von anderen Festivals und Veranstaltern ungute Ahnungen.

Der Kemptener Jazzfrühling hat nicht nur klassischen Jazz, sondern auch Heißes für junge Leute im Angebot: Hier Magro am Schlagzeug und Rupturous am Mikro bei einer der Klecks Nights im Künstlerhaus
Der Kemptener Jazzfrühling hat nicht nur klassischen Jazz, sondern auch Heißes für junge Leute im Angebot: Hier Magro am Schlagzeug und Rupturous am Mikro bei einer der Klecks Nights im Künstlerhaus (Foto: Oliver Hochkeppel)

Wie grotesk diese Kürzung ist, hat beim Festival Alexander Hold auf den Punkt gebracht. Der Kemptener Ex-Fernseh-Richter und für die Freien Wähler inzwischen Vizepräsident des Landtags, der ein großer Jazzfreund ist und seit Jahren in der Jury des Jazzfrühling-Wettbewerbs sitzt, rechnete öffentlich vor: Hätte die Stadt bei der sich seit Jahren hinziehenden, inzwischen 25 Millionen Euro teuren Renovierung des Kornhauses auf den Ersatz des Treppengeländers verzichtet, wäre der komplette Jazzfrühling-Zuschuss für 30 Jahre zusammengekommen.

Der Klecks-Verein hat noch vor dem Festival-Start mit einem offenen Brief unter anderem an Oberbürgermeister Thomas Kiechle auf die angedrohte Kürzung reagiert. Ganz nüchtern werden hier die Folgen angeführt und konstruktiv gegengerechnet, was der Jazzfrühling der Stadt nicht nur an Prestige und sozialem Engagement, sondern auch an konkreten Einnahmen bringt. Durch die Umsätze der 200 bis 300 hier auftretender Künstler und vieler auswärtiger Festivalbesucher, durch die Aufträge an über 20 regionale Firmen und Dienstleister und den Mehrwert für mehr als 30 Sponsoren und Mitveranstalter. Immerhin: Das letzte Wort ist wohl noch nicht gesprochen. OB Thomas Kiechle hat Gesprächsbereitschaft signalisiert.

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