Japaner im Schloss Neuschwanstein:Bayern im Schnelldurchlauf

Japaner haben wenig Urlaub und den gilt es zu nutzen. München, die Königsschlösser und Oberammergau an einem Tag, die Kamera stets griffbereit. Klischee? Ja, schon. "Aber die Chinesen", sagt einer, "sind noch viel schlimmer."

Von Sabine Pusch

Keigo Miyamae sieht unbeteiligt aus dem Fenster des Busses. Draußen zieht Bayern an ihm vorüber. Er sieht die Alpen, reißende Bäche, kleine Dörfer und weidende Kühe. Langweilig - die kennt man auch in Japan. "Das sind keine normalen Kühe, sondern Murnau-Werdenfelser Rinder. Die gibt es nur hier in Oberbayern", sagt Reiseleiterin Ana Garcia Schopohl. Prompt werden Spiegelreflexkameras und Handys aus den Taschen gezogen. Urbayerische Dinge sind besonders beliebt bei den Touristen. Sie müssen abgespeichert werden - nicht nur im Kopf, sondern vor allem digital.

Keigo Miyamae senkt die Kamera. "Das war wieder typisch: Japaner und ihre Kameras. Aber das sieht hier einfach alles anders aus", sagt er entschuldigend auf Englisch und beobachtet seine Landsleute, die noch immer die vorbeiziehenden Murnau-Werdenfelser Rinder fotografieren. Keigo kommt aus Nara, einer Großstadt im Süden der japanischen Hauptinsel Honshu. 63 Touristen sitzen in dem Doppeldecker von Autobus Oberbayern, 40 von ihnen sind Japaner. Die anderen kommen aus Russland, Frankreich, Spanien, Italien und Brasilien. Sie alle haben einen Tagesausflug gebucht: von München über Schloss Linderhof und Oberammergau nach Neuschwanstein und von dort über die Romantikstraße zurück nach München.

Kurz vor zehn Uhr kommt der Bus am Parkplatz von Schloss Linderhof an. "Um 11.10 Uhr wollen wir weiterfahren. Bitte seid spätestens dann wieder hier", erklärt Reiseleiterin Ana. Auch sie spricht Englisch. Die Chance, verstanden zu werden, ist dann am höchsten. "Ich habe aber oft das Gefühl, dass niemand weiß, was ich eigentlich will", sagt sie und hält eine bunte Holzuhr in die Höhe. Der kurze Zeiger steht bei elf, der lange bei zwei. "Japaner sind immer freundlich. Sie lächeln und nicken, auch wenn sie nichts verstanden haben", erzählt die gebürtige Spanierin.

Der japanische Teil der Reisegruppe bekommt eine separate Audio-Tour durch das Schloss. Mit relativ emotionsloser Mimik hören sie der tiefen Stimme aus dem Lautsprecher zu. "Schade, dass man hier keine Fotos machen darf", sagt Keigo Miyamae. Er spricht leise und mustert das Tischleindeckdich im königlichen Speisesaal. Dann zieht er eine Flasche Cola aus seinem Rucksack. Sie zischt beim Öffnen. Sein Vordermann dreht sich abrupt um und senkt dann rasch wieder den Blick.

Die Schlossführung endet im Souvenirladen, wo die ersten Miniatur-Könige und Prinzessinnen-Tassen gekauft werden. Anschließend wird fototechnisch all das nachgeholt, was man sich im Schloss verkneifen musste. Zur berühmten Venusgrotte schafft es keiner mehr; der Bus wartet.

Nächster Halt: Oberammergau

"Hier könnt ihr Andenken kaufen. Oberammergau ist berühmt für seine Holzschnitzereien", erklärt Reiseleiterin Ana.

Haruyo Suetsugu und ihre Tochter Mai schlendern durch die kleine oberbayerische Gemeinde. Sie können sich für alles Kitschige begeistern. Bei Käthe Wohlfahrt deckt sich die 25-Jährige mit Blumenpostkarten ein, während ihre Mutter einen Flyer für das Weihnachtsdorf in Rothenburg ob der Tauber in den Händen hält. "Da fahren wir übermorgen auch hin", sagt sie und mustert das bunte Stück Papier. Leider habe man nur fünf Tage Zeit. In denen wolle man aber möglichst viel sehen. Auf dem Plan stünden deshalb: München, die Königsschlösser Linderhof und Neuschwanstein, Salzburg, Rothenburg ob der Tauber und Frankfurt.

Eingedeckt mit Souvenirs schlendern die Frauen weiter durch Oberammergau. Immer wieder bleiben sie stehen und machen Bilder: Tochter Mai vor einem Blumenbeet, Mai vor einem Haus mit pinkfarbenen Geranien, Mai vor einer italienischen Eisdiele, Mai neben der Reiseleiterin, Mai vor einem großen Schirm mit der Aufschrift Paulaner. "What means P-A-U-L-A-N-E-R?", möchte Haruyo auf dem Rückweg zum Bus wissen. Die neu erworbene Erkenntnis wird sogleich bei der Abendplanung berücksichtigt. Ein Bier wolle man trinken. Aber zu zweit; schließlich sei es hierzulande üblich, aus sehr großen Gläsern zu trinken. Und etwas typisches Deutsches essen. An "german sausages", also Würstchen, habe man gedacht.

Keigo Miyamaes Magen scheint an fettigen "german sausages" und salzigen Pommes zu scheitern. Immer wieder muss er aufstoßen, immer wieder entschuldigt er sich. In Japan bestehe seine Ernährung größtenteils aus Sushi, erklärt er beim Mittagessen in Hohenschwangau. In Glasgow, wo er gerade ein Auslandssemester verbringt, esse er oft Fish and Chips; das sei genauso ungesund wie bayerisches Essen. Es wundere ihn nicht, dass es in Großbritannien und Deutschland so viele Dicke gebe.

Nur ein "neumodischer Kasten"

Fett, Salz und ein doppelter Espresso haben Keigo einen Teil seiner japanischen Höflichkeit und Zurückhaltung genommen. Munter plaudert er über seine Beobachtungen: "Die Bayern hier klingen ein wenig wie die Schotten. Sie sprechen undeutlich." Und das mit dem Englisch falle vielen scheinbar schwer. Auf dem Weg zum Schloss ist Keigos Spiegelreflexkamera im Dauereinsatz. "Da bin ich kein typischer Japaner. Ich habe nämlich nur zwei Objektive dabei. Die meisten haben so etwa fünf", sagt der Student und fotografiert eine mit Japanern besetzte Pferdekutsche. In Japan habe man nicht sehr viel Urlaub, deshalb wolle man die wenige Zeit so gut wie möglich nutzen und Erinnerungen in Form von Bildern nach Hause bringen. "Die Chinesen sind aber viel schlimmer. Die haben noch weniger Urlaub und machen noch mehr Bilder", sagt Keigo.

Vor der Schlossführung möchte Keigo die Marienbrücke sehen. Mai Suetsugu und ihre Mutter sind schon wieder auf dem Rückweg, als er Richtung Pöllatschlucht läuft. "Ich war mal in Neuseeland, da habe ich viele Deutsche getroffen. Jetzt verstehe ich das nicht mehr. Hier sieht es doch fast genauso aus", stellt er fest, während sein Blick über die Wälder schweift. Auf der schmalen Marienbrücke drängen sich Touristen aller Nationen, um ein Bild von Neuschwanstein zu machen. Keigo zückt kurz seine Kamera und sprintet dann zurück zum Schloss. Die Führung beginnt um 15.20 Uhr, er hat noch acht Minuten Zeit.

Auf dem Rückweg zum Bus steht ihm die Enttäuschung ins Gesicht geschrieben: "Ich hatte mir etwas anderes erhofft. Nicht so einen neumodischen Kasten. Das sieht ja von innen aus wie ein Bau aus den 90er-Jahren." Aber dafür sei Linderhof umso schöner gewesen, sagt er und lächelt. Die japanische Höflichkeit hat ihn wieder.

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