Homosexualität in Bayern:Mutter, Mutter, Kind

Familie Wolff aus Nürnberg

Familie Wolff aus Nürnberg.

(Foto: Ana Maria Michel)

Das Familienbild der CSU gilt als konservativ. Wie erlebt das eine Familie, die dieser Norm nicht entspricht? Besuch bei Frau und Frau Wolff.

Reportage von Ana Maria Michel, Nürnberg

Zur Einschulung hat Valentin eine Schultüte bekommen, wie die anderen Kinder auch, sie war fast so groß wie er selbst. Nur auf den Fotos vom ersten Schultag sind bei ihm nicht Vater, Mutter, Kind zu sehen. Sondern Mutter, Mutter, Kind.

Der erste Schultag ist wenige Wochen her, kurz vorher sind Sarah, Annabelle und Valentin Wolff von München nach Nürnberg gezogen. Doch in der Wohnung sieht es so aus, als würden die beiden Frauen und ihr Sohn schon lange hier leben. Der sechsjährige Valentin tobt durch die Zimmer. Sie sind in einen Altbau mit hohen Decken gezogen, im Esszimmer hat ein großes Bücherregal Platz. Die Wohnung in München dagegen war etwa so groß wie jetzt ihr Flur, sagt Sarah Wolff. Die Wände sind in unterschiedlichen Blautönen gestrichen, dazu ein bunter, flauschiger Teppich mitten im Wohnzimmer. In der Ecke stehen eine Gitarre und ein Klavier.

Leicht war es nicht, diese Wohnung zu finden, auch für die beiden promovierten Akademikerinnen nicht. Vor allem bei Maklern komme es nicht gut an, wenn ein lesbisches Paar mit Kind eine Wohnung sucht, sagen sie. Einfach, weil viele zwei Frauen nicht zutrauten, sich eine Wohnung leisten zu können.

Der Umzug war nötig, weil Annabelle Wolff, 40, nun in Amberg arbeitet. Eine Wohnung dort, in der Oberpfalz, kam aber nicht in Frage. Zu provinziell, zu konservativ. "Wir wollten auf jeden Fall wieder in einer größeren Stadt leben", sagt Sarah Wolff, 35. Homosexualität ist auf dem Land oft noch immer ein Tabuthema, und für Schwule und Lesben gibt es wenige Möglichkeiten, sich auszutauschen, sagt Annabelle Wolff. Sie wollten mit Valentin aber Kontakt zu anderen Familien haben, in denen es zwei Mamas oder zwei Papas gibt. Damit er mitbekommt, dass das nichts Außergewöhnliches ist. Auch wenn in Politik und Gesellschaft manche anderer Ansicht sind.

Sarah und Annabelle Wolff haben viele schwule oder lesbische Freunde in ganz unterschiedlichen Familienkonstellationen. Als Valentin noch klein war, fiel ihm nicht besonders auf, dass andere Kinder Mutter und Vater haben, erzählt Annabelle Wolff. Im Kindergarten fing er an zu merken, dass andere Familien irgendwie anders sind als seine. Als andere Kinder ihn darauf ansprachen, mit Fragen wie: "Wo ist denn dein Papa?" Doch Valentin hat eine klare Antwort: "Mein Vater wohnt in der Schweiz", sagt er dann und die Diskussion ist meist beendet. Valentin sieht seinen Vater etwa vier Mal im Jahr. Dann kommt er, den er nicht "Papa", sondern beim Vornamen nennt, zu Besuch. Valentins Vater ist ein Freund von Sarah Wolff, mit dem sie studiert hat. Eine anonyme Samenspende wäre für die beiden Frauen nicht in Frage gekommen, aber ihn konnten sie sich gut als Vater ihres Kindes vorstellen. Er überlegte ein paar Wochen. Dann kam die Antwort: Warum nicht. Ihm war jedoch wichtig, dass die beiden Frauen die Erziehungsberechtigten des Kindes sind.

Die drei entschieden sich dafür, die Samenspende zu Hause mit Becher und Einwegspritze durchzuführen. Es klappte beim ersten Mal. Neun Monate später brachte Annabelle Wolff Valentin zur Welt. Kurz vorher hatten sie und Sarah Wolff geheiratet, wie sie sagen. Die "Ehe für alle" gab es im Sommer 2011 jedoch noch nicht, erst seit Oktober 2017 können gleichgeschlechtliche Paare offiziell heiraten. Die Wolffs gingen also eine eingetragene Lebenspartnerschaft ein. Viele homosexuelle Paare haben diese seit der Öffnung der Ehe umgewandelt, auch Sarah und Annabelle Wolff hätten nichts gegen ein "Upgrade". Doch so einfach geht das nicht, sie müssten alle Dokumente noch einmal einreichen. Nicht nur deswegen haben längst nicht alle homosexuellen Paare die "Ehe für alle" bejubelt. Für die Wolffs steht jedenfalls fest: Wenn sie noch einmal heiraten, soll es wieder ein Fest geben.

"Eltern: Sarah Wolff und Annabelle Wolff", steht heute in Valentins Geburtsurkunde. Doch es dauerte gut eineinhalb Jahre, bis das Dokument geändert wurde. Sarah Wolff ärgert das noch heute. Sie musste Valentin erst adoptieren. In heterosexuellen Ehen dagegen gilt automatisch der Mann als Vater, der zum Zeitpunkt der Geburt mit der Mutter verheiratet ist. Daran, dass Familien wie die Wolffs das Verfahren einer sogenannten Stiefkindadoption durchlaufen müssen, hat sich auch nach der Einführung der Ehe für alle nichts geändert. Zum Problem kann das besonders dann werden, wenn der biologischen Mutter etwa während der Geburt etwas passiert. Ihre Ehefrau steht dann in keinem verwandtschaftlichen Verhältnis zum Kind. Nicht einmal zum Arzt konnte Sarah Wolff damals mit Valentin gehen. Und sie konnte auch keine Elternzeit nehmen, das findet sie besonders schade.

Vor der Adoption war das Jugendamt bei ihnen zu Hause. Sarah Wolff musste einen Bericht über ihren Wertekonsens und ihre Erziehungsvorstellungen abgeben und war am Ende erstmal für ein halbes Jahr "Mutter auf Probe". Den Mitarbeitern schien es selbst unangenehm zu sein, dass die langwierige Stiefkindadoption nötig ist.

Was sich bei der CSU getan hat

"Die Ehe muss komplett gleichgestellt werden", findet Sarah Wolff deshalb. Doch die politische Akzeptanz fehle. Dass die Stiefkindadoption nicht längst abgeschafft ist, liegt ihrer Meinung nach an bestimmten Parteien: Im Bundestag stimmten vergangenes Jahr 225 Mitglieder der CDU/CSU-Fraktion, darunter Bundeskanzlerin Angela Merkel, gegen die Ehe für alle. Die bayerische Staatsregierung wollte zuerst sogar gegen die Öffnung der Ehe klagen, doch dann entschied sie sich anders - die Aussichten auf Erfolg waren zu gering. Immerhin 40 000 Euro kosteten die beiden Rechtsgutachten, die die CSU zu diesem Entschluss brachten. Mit der gesellschaftlichen Realität hat das Verhalten der Politik für die Wolffs wenig zu tun.

Heute sähe man sie als lesbisches Paar in der Gaststätte neben dem Stammtisch sitzen, der Karten spielt, sagt Annabelle Wolff. Und keinen störe es. Vor zehn Jahren, als die beiden sich auf einer lesbischen Party in München kennenlernten, war das noch anders, es gab mehr Cafés und Bars für Schwule und Lesben. Inzwischen sind es keine getrennten Welten mehr. Bayern hält trotzdem an seinem traditionellen Familienbild fest. 2013 hatte der damalige CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt Homosexuelle als "schrille Minderheit" bezeichnet. Da war Valentin schon auf der Welt.

Mittlerweile zeigt die Staatsregierung etwas mehr Verständnis, wenn es um Themen wie die Diskriminierung von Homosexuellen geht. Der Lesben- und Schwulenverband (LSVD) Bayern hat vor der Landtagswahl mit den verschiedenen Parteien einen "Vielfaltscheck" gemacht. In der Antwort der CSU heißt es: "Die CSU-geführte bayerische Staatsregierung arbeitet bereits auf allen fachlichen Ebenen Homo- und Transfeindlichkeit entgegen und kümmert sich um die Akzeptanz aller Menschen, unabhängig von deren sexueller Identität." Doch für konkrete Maßnahmen zeigt sich die CSU wenig offen. So fordert etwa der LSVD Bayern einen Aktionsplan gegen Homophobie und Transfeindlichkeit, wie es ihn in anderen Bundesländern bereits gibt. Die CSU sieht jedoch keinen unmittelbaren Handlungsbedarf. Andere Parteien wie die SPD oder die Grünen wollen einen solchen Aktionsplan, der mit konkreten Konzepten Akzeptanz fördern soll.

Auch Sarah und Annabelle Wolff hören homophobe Kommentare. Sie können so etwas meist ignorieren. Aber sie wissen, dass viele Menschen es noch immer schwer haben, weil ihre sexuelle Identität nicht der Norm entspricht, egal ob schwul, lesbisch, bisexuell, transgender oder intersexuell. Deswegen sind auch die Wolffs für einen derartigen Aktionsplan, auch wenn sie selbst überwiegend gute Erfahrungen machen. Valentin braucht jetzt den Wohnzimmertisch für seine Spielburg. Es ist ein alter Turnkasten, wie man ihn aus dem Sportunterricht kennt. Sarah Wolff hilft ihm, den schweren Kasten in sein Zimmer zu tragen.

Ihr Wunsch an die Politik: Dass es außergewöhnlichen Familienkonstellationen auch rechtlich einfacher gemacht wird. Etwa bei lesbischen und schwulen Paaren, die sich zu viert zusammenzutun zum Kinderkriegen - da sei eine Absicherung bisher nicht möglich. Solche Verträge seien im Zweifel immer nichtig, die biologische Verwandtschaft gehe vor, sagt Sarah Wolff.

Vor Valentins Geburt war das Thema Kinderwunsch in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften noch nicht so populär wie heute, sagen die beiden. Die Wolffs fanden in München Unterstützung bei Gruppen wie LesMamas oder der Beratungsstelle Letra. Homosexuelle Partnerschaften mit Kindern gab es auch vorher, aber diese seien meist aus einer vorhergehenden heterosexuellen Beziehung gewesen.

Heute kennen auch die Behörden die unterschiedlichsten Familienkonstellationen. Aber eine Anekdote aus dem Kindergarten fällt den Wolffs ein, sie erzählen sie lachend beim Kaffee am Esstisch: Wie Valentin seine beiden Mütter anspricht, das war damals ein großes Thema. Annabelle Wolff wird von ihm Mama genannt, Sarah Wolff Mami. Und vor jedem Muttertag kam die Frage auf, ob der Junge eigentlich zwei Herzen basteln müsse. Nein, ein Herz für Mama und Mami zusammen reicht auch, antworteten die Wolffs.

Annabelle Wolff nimmt einen Schluck Kaffee. Auf der Tasse ist ein Aufdruck der Mumins, der Trollwesen, die die finnische Autorin und Zeichnerin Tove Jansson in den Vierzigerjahren erfand. Damals war Homosexualität noch verboten, sie lebte trotzdem offen lesbisch. Die Wolffs hoffen, dass Valentin auch später keine Probleme damit haben wird, dass seine Familie etwas anders ist. Dass es für die nächste Generation noch einfacher wird. Dass sie irgendwann als nicht mehr ganz so anders wahrgenommen werden. Zur Offenheit sollte aber niemand gezwungen werden, finden die Wolffs. Während sie sprechen, lässt ein Windstoß die gelben Blumen in einer hohen Vase auf dem Tisch wie zur Zustimmung mit den Köpfen nicken.

Valentins Mütter sind überzeugt, dass Valentin ihr offener Umgang mit ihrer Homosexualität helfen wird. Dazu gehört für sie auch, Präsenz zu zeigen: Sarah Wolff ist im Elternbeirat, auch, damit die anderen Eltern sehen, dass die Wolffs eine normale Familie sind. "Man hat schon eine Verpflichtung, weil man anders ist", sagt sie. Vor kurzem haben zwei Fußballerinnen des FC Bayern geheiratet, der Klub postete ein Foto der beiden beim Anschneiden der Hochzeitstorte. Sarah und Annabelle Wolff finden, dass es solche Vorbilder braucht. "Je natürlicher man damit umgeht, desto besser fühle ich mich in der Gesellschaft. Wir wollen ja nichts Spezielles sein", sagt Annabelle Wolff. "Wir sind aber immer anders", sagt Sarah Wolff.

Wie sicher sind sie in Zeiten des Rechtsrucks?

Auch Politiker gehen vermehrt offen mit ihrer Homosexualität um. Seit 2017 gibt es selbst in Bayern einen Landesverband der Homosexuellen in der Union. Die CSU zeigt sich inzwischen etwas offener gegenüber anderen Familienkonstellationen. "Auch in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften werden Werte gelebt, die grundlegend für unsere Gesellschaft sind. Das verdient Anerkennung", steht in ihrem Grundsatzprogramm. Die Ehe ist für die Partei jedoch weiterhin eine Verbindung zwischen Mann und Frau.

Der LSVD fordert vor der Landtagswahl, dass der Freistaat Gelder für Beratungsangebote zur Verfügung stellt, etwa um Hilfe bei Diskriminierung zu finden, zu erfahren, wie man sich outet und welche Möglichkeiten es bei einem Kinderwunsch gibt. Bei der CSU findet diese Forderung kein Gehör. Sarah Wolff kommt aus einem 5000-Einwohner-Dorf in Nordrhein-Westfalen an der holländischen Grenze. Selbst dort seien die Leute entspannter mit ihrer Homosexualität umgegangen als in manchen bayerischen Gegenden, erzählt sie. Für viele Menschen ist Sarah Wolff immer noch die erste homosexuelle Person, die sie persönlich kennenlernen.

Weil sie nicht wollen, dass Valentin nur von Frauen umgeben und erzogen wird, hat die Familie immer männliche Au-Pairs. Anfang November kommt ein junger Mann aus Südafrika, der sie zu Hause unterstützen soll. "Wir haben ihm gesagt, dass wir kein Problem mit ihm haben, wenn er keins mit uns hat", sagt Sarah Wolff und lacht. Versicherungsbriefe an "Herr und Frau Annabelle und Sarah Wolff" bekommen die Wolffs heute nicht mehr. In Formularen können sie meist ankreuzen, dass sie verpartnert sind. Für sie sind diese kleinen Zeichen wichtig. Unternehmen scheinen da meist weiter zu sein als die Politik - und es wirkt. Wenn sie am Eingang zum Supermarkt einen Regenbogensticker sehen, der für "gay friendly" steht, fühlen sich die Wolffs willkommen. Auch über Werbung, die gleichgeschlechtliche Paare zeigt, freuen sie sich.

Die Grünen finden, dass sich auch in der Sprache etwas ändern muss und polarisieren im bayerischen Landtagswahlkampf. In ihrem Wahlprogramm geht es um "Bürger*innen", "Lehrer*innen" oder "Landwirt*innen", damit sich alle mitgemeint fühlen, die sich weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zugehörig fühlen. Annabelle Wolff findet es wichtig, dass man zum Beispiel von Studierenden statt von Studenten spricht. Sarah Wolff ist etwas kritischer, gerade im öffentlichen Dienst seien einige von diesen neuen Sprachregelungen genervt. Trotzdem findet sie aber, dass Sprache ein Mittel sein kann, um die Menschen zu sensibilisieren.

Wie sicher ist die gesellschaftlichen Akzeptanz für Homosexuelle in Zeiten des Rechtsrucks und des Erstarkens der AfD? Darüber reden sie mit ihren homo- und heterosexuelle Freunden, sagt Annabelle Wolff - alle seien schockiert. Die Wolffs haben gemerkt, dass sie sich politisch mehr engagieren müssen, als nur wählen zu gehen. Sie waren demonstrieren, gemeinsam mit Valentin. In Amberg sind Annabelle Wolff die besonders vielen AfD-Plakate aufgefallen. Am Freitag vor der Landtagswahl ist dort eine Veranstaltung mit Alice Weidel geplant, der Vorsitzenden der AfD-Fraktion im Bundestag. Weidel ist selbst lesbisch und lebt mit einer Frau zusammen, mit der sie zwei Söhne aufzieht. Dass ihre Partei gegen Homosexuelle hetzt und ein traditionelles Familienbild propagiert, scheint Weidel aber nicht zu stören. Am "Vielfaltscheck" des LSVD Bayern vor der Landtagswahl wollte die AfD nicht teilnehmen.

Annabelle Wolff sagt: "Wenn die AfD an Macht gewinnt, geht für uns weniger voran." Sie wissen es wertzuschätzen, was die Vorgängergeneration für alle jenseits der sexuellen Norm getan hat. "Wir sind so weit gekommen", sagt Sarah Wolff. Sie können sich das jetzt nicht wieder kaputt machen lassen.

Dieser Text wurde ursprünglich am 12.10.2018 veröffentlicht.

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