500 Jahre Krieg und Frieden in Bayern:Von der großen Apokalypse und dem langen Frieden

Battle Of Nordlingen

Der Dreißigjährige Krieg (1618 - 48) gilt als die verheerendste Heimsuchung, die Bayern in den vergangenen 500 Jahren erlebt hat. (im Bild: ein Gemälde Philips Wouwermans aus dem Dreißigjährigen Krieg: Die Schlacht bei Nördlingen)

(Foto: Getty Images (M))

Nie hat es in Bayern eine längere kriegsfreie Zeit gegeben als in den vergangenen 70 Jahren. Vorher kam das Land lange nicht zur Ruhe. Allein um sich vom Dreißigjährigen Krieg zu erholen, brauchte es hundert Jahre.

Essay von Hans Kratzer

Blättert man im alten Tagebuch des Infanteristen Josef Deifl, dann begegnen einem das Elend und die Gräuel des Kriegs frontal und ungeschminkt. Der aus dem Altmühltal stammende Deifl war 1812 mit Napoleons Grande Armée nach Russland marschiert. Dieser Feldzug endete in einer der schlimmsten militärischen Katastrophen aller Zeiten. Mit 600 000 Soldaten war das Bündnis nach Osten aufgebrochen, mindestens 500 000 starben, unter ihnen 30 000 Bayern. Drei Jahre vorher hatte Deifl die Schlacht bei Eggmühl mitgemacht. Diesbezüglich erwähnt er einen Kameraden aus Schierling, der sich bitter klagend in die Kämpfe auf den heimatlichen Feldern begab: "Sollt ich denn auf meines Vaters Acker derschossen werden?" Deifl notierte: "So auch geschehen."

Auch sonst schildert er das Elend scharfsinnig und unsentimental. Welch einen fragwürdigen Ehrbegriff die Bevölkerung im Krieg pflegte, zeigt er am Beispiel seiner Familie. Zu den Russen überzulaufen, kam für Deifl nicht infrage. Beim Abschied baten ihn die Eltern inständig: "Wenn ich in den Krieg fortziehe, dass ich halt nicht desertieren sollt. Lieber den Totenschein, als eine solche Nachricht." Wenn er schon kämpfen musste, so schien den Eltern der Tod fürs Vaterland die einzige Option zu sein. Als die Bayern 1813 die Fronten wechselten, kämpfte Deifl gegen Napoleon, zuletzt in Waterloo. Sein Fazit: "Nach Haus. Kein Abschied, kein Geld, kein Dank."

Während die meisten Kriege längst vergessen sind, wirkt der noch greifbare Russland-Feldzug von 1812 in Bayern gleichsam posttraumatisch nach. Nicht nur, weil an den Kirchenmauern Gedenktafeln an gefallene Bauernsöhne erinnern. Von dem Soldaten Jakob Wimmer aus dem Kreis Traunstein existiert sogar eine selbst angefertigte Votivtafel, die ihn mit seinem Bruder zeigt. Auf dem Rückzug waren sich die Brüder zufällig begegnet. Simon Wimmer starb kurz darauf. Mit der Votivtafel dankte Jakob Wimmer, dass er sich fern der Heimat vom Bruder verabschieden konnte.

Der Alltag von Deifl, Wimmer und deren Zeitgenossen war fast ausschließlich vom Krieg geprägt. Europa stand unter der Fuchtel des Franzosenkaisers Napoleon, und der hetzte seine Verbündeten größenwahnsinnig von einer Schlacht in die nächste. Für ganze Generationen bestand das Leben damals aus einer Abfolge von Kriegen. Eine Wahrheit, die heute, nach einer mehr als 70 Jahre währenden Friedenszeit, nur schwer zu fassen ist. Selbst die meist nur kurzen Phasen des Friedens im neuzeitlichen Bayern waren nur selten ruhig. Viele Marterl und Votivtafeln, Wegkapellen, Kirchenbücher und Flurnamen zeugen bis heute von den Ängsten und der latenten Bedrohung. Und nicht selten finden sich sogar noch Waffen, Knochen und Habseligkeiten der Vorfahren auf den Äckern, etwa im schwäbischen Höchstädt, wo Engländer, Franzosen, Österreicher und Bayern anno 1704 blutgierig um die Vorherrschaft in Europa rangen.

Die These, Bayern habe sich früher unentwegt im Kriegsmodus befunden, weist auch der Militärhistoriker Marcus Junkelmann zurück. "Bayerns Kriegsgeschichte ist im europäischen Vergleich nichts Außergewöhnliches", sagt er. "Die Österreicher haben noch viel öfter Kriege geführt." Die geografische Lage Bayerns sei für große Eroberungen nicht geeignet gewesen, erklärt Junkelmann. "Bayern hatte durch seine Mittellage im Reich so gut wie keine Expansionsmöglichkeiten, während sich Österreich und Preußen nach Osten hin sehr wohl ausdehnen konnten."

Die verheerendste Heimsuchung der vergangenen 500 Jahre

Tatsächlich wurde das Land Bayern militärstrategisch in eine passive Rolle gezwängt. Der Krieg war ein Schicksal, das ihm Länder wie Frankreich, Österreich und Preußen aufzwangen. Lediglich in der Ära der Kurfürsten Maximilian I. und Karl Albrecht im 17. und 18. Jahrhundert betrieben die Bayern eine aktive Großmachtpolitik. Maximilian I. führte die Bayern in den Dreißigjährigen Krieg (1618-48).

Dieser gilt - trotz der Weltkriege, die aber wesentlich kürzer waren - als die verheerendste Heimsuchung, die Bayern in den vergangenen 500 Jahren erlebt hat. Eine Apokalypse, von der sich das Land hundert Jahre lang nicht erholen sollte. "Brände erleuchteten den Himmel bei Nacht, beißender Rauch verdunkelte ihn am Tag. Ströme von Blut färbten die Stadtbäche rot, der Hunger trieb den Menschen die Bäuche auf, Kannibalismus war an der Tagesordnung. Die Pest ließ Schwären auf den Körpern aufbrechen und raffte gnadenlos die Guten und die Schlechten gleichermaßen hin." So drastisch der Autor Falk Ohorn dieses Inferno auch aufs Papier brachte, es lässt sich kaum in Worte kleiden.

Als ein Fass Wein mehr wert war als ein Menschenleben

Die Losung der enthemmten Soldateska lautete: "Nimm dir, was du kriegen kannst, nimm es dir, ohne Rücksicht auf Verluste, solange du dazu in der Lage bist." Menschenleben waren wertlos, ein gutes Pferd oder ein Fass Wein standen bedeutend höher im Kurs. Außer den oft zitierten Traumata wirken auch die kulturellen Verluste bis heute nach. In vielen Orten setzt die archivalische Überlieferung erst im 17. Jahrhundert ein, da unzählige Amtsbücher, Registraturen und Akten im Dreißigjährigen Krieg verbrannt sind. Die kollektive Erinnerung löste sich in Rauch auf. Die Namen der Kriegsvölker aber existierten als Schimpfwörter noch lange fort: Krawot (Kroate), Schlawiner (Slowene), Bemack (Böhme), Polack (Pole) ...

So mancher Erinnerungsort hat, meistens unbeachtet, die Zeiten überdauert, sei es der 29 Meter hohe Obelisk auf dem Münchner Karolinenplatz, errichtet zum Gedenken an die Opfer des Russlandfeldzugs. Noch 1972 wurde die alte Will-Kaserne in München in Fürst-Wrede-Kaserne umbenannt - zum Gedenken an den Kriegshelden Karl Philipp Fürst von Wrede (1767-1838). Vorher hatten schon die Nationalsozialisten den militärischen Personenkult auf die Spitze getrieben.

"Militärgeschichte war Ruhmesgeschichte"

Dabei hatte es in Bayern lange Zeit gar keine professionelle Armee gegeben. Erst die Heeresverfassung des Heiligen Römischen Reichs von 1681 verpflichtete das Kurfürstentum Bayern zur Stellung von Truppen für die kaiserliche Armee. Die Bayerische Armee bestand dann von 1681 bis zum August 1919, als Bayern seine Wehrhoheit an das Deutsche Reich abgeben musste. Sie genoss bis dahin eine herausragende Position in der Gesellschaft.

Achim Fuchs erinnert in seiner "Geschichte der bayerischen Armee" an die pompöse Parade anlässlich des hundertjährigen Bestehens des Königlich Bayerischen Infanterie-Leibregiments im Sommer 1914. Damals stand die Armee auf dem Gipfel ihres Ansehens. Bayerns Herrscher zeigten sich häufig in Uniform, Soldaten gehörten zum Straßenbild, die Veteranen- und Kriegerverbände zählten zu den mitgliederstärksten Organisationen. Nahe der Residenz wurde der Armee 1905 ein Gebäude von solcher Repräsentationspracht übergeben, dass der Kuppelsaal heute als Festraum der Bayerischen Staatskanzlei dient. "Militärgeschichte war Ruhmesgeschichte", sagt Fuchs. Die Denkmäler für gefallene Soldaten sollten mindestens so sehr Zeugnis ablegen von Stolz und Ehre wie von Trauer. Nach 1871 hielten Straßen- und Platznamen in den Neubaugebieten die Erinnerung an Siege und Helden wach.

Heute gehören militärhistorische Kenntnisse nicht mehr zum Grundwissen. Viele überrascht es deshalb, dass etwa das Deutsche Herzzentrum in München auf dem Platz des ehemaligen Militärkrankenhauses steht. Sicherlich hätte auch die typische bayerische Blechmusik ohne ihre militärischen Wurzeln einen anderen Klang.

Unzählige in den Archiven schlummernde Briefe legen Zeugnis ab, auf welch berührende Weise manche Menschen mit ihrem Los umgegangen sind. Der Parsberger Frontsoldat Peter Utz schrieb im Ersten Weltkrieg täglich seiner Frau und seinen Kindern. Seine Texte bezeugen die Absurdität dieses Kriegs, aber auch die Sorgen einer Familie, die sich unbeirrt bemühte, ihren Kindern inmitten der Katastrophe Liebe und Optimismus zu vermitteln. Aus ihnen hoffnungsfrohe Menschen zu machen und sie doch mit der Realität des Krieges konfrontieren zu müssen, das war der Spagat, den Utz zu meistern hatte. "Krieg ist ein furchtbares Wort", schrieb er einmal, "wer ihn nicht erlebt, wer nicht mitten drinnen gestanden, kann es nicht erfassen."

Noch lange Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg wurden Fragen von Schuld und Verbrechen von einem diffusen soldatischen Kameradschafts- und Heldenkult verdrängt. Erst nach dem Aufkeimen der Friedensbewegung in den 80er-Jahren setzte eine Diskussion über die Rolle des Militärs im Allgemeinen ein. Ungeachtet dessen hat das Gedenken am Volkstrauertag für viele Angehörige von Kriegsopfern sowie für Soldaten- und Reservistenvereine nach wie vor eine große Bedeutung.

In einigen Jahren werden die letzten Kriegsteilnehmer gestorben sein. Manche Veteranenvereine haben sich bereits aufgelöst. Ein langes und prägendes Kapitel der Geschichte Bayerns neigt sich dem Ende zu.

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