Isar 1: Anti-Atomkraft-Proteste:Draußen vor dem Tor

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Egal ob es drückend heiß ist oder in Strömen regnet - sie ist immer da. Seit September organisiert die Schauspielerin Mira Neumeier jede Woche Mahnwachen vor Isar 1 - die Resonanz ist groß.

Christian Sebald

Nein, so hat sich Mira Neumeier die Stilllegung des Atomreaktors Isar1 nicht vorgestellt, ob es nun die vorläufige oder die endgültige ist. Sie steht in Niederaichbach vor Tor 13 des Kraftwerksgeländes. Dort hat man den besten Blick auf den Alt-Reaktor mit seinem hohen, schlanken Kamin. Es regnet in Strömen. An diesem Nachmittag ist Isar1 abgeschaltet worden. Doch Mira Neumeier, die seit einem guten halben Jahr für diesen Moment gekämpft hat wie wenige andere hier in Niederbayern kann nicht triumphieren. Im Gegenteil. "Es ist absurd", sagt die 43-Jährige gedrückt. "Da braucht es die Atomkatastrophe in Japan, damit die Politiker hier ins Nachdenken kommen."

Manchmal kommen nur ein paar Dutzend Teilnehmer, meistens sind es über 200. Vor einer Woche versammelten sich weit mehr als tausend Demonstranten an Tor 13 vor dem Kraftwerk Isar 1 - seit September finden dort jede Woche Mahnwachen statt. (Foto: dpa)

Neumeier organisiert seit Ende August 2010 an jedem Montag eine Mahnwache am Kernkraftwerk Isar. Egal, ob es drückend heiß ist. Oder in Strömen regnet. Oder die Straßen so vereist sind, dass sich kaum einer aus dem Haus traut. Egal, ob es der Montag direkt nach Weihnachten oder der Rosenmontag ist. Egal, ob nur ein paar Dutzend Teilnehmer kommen. Oder 250, 300 oder 450. Vergangenen Montag - jenem Tag, an dem die Atomkatastrophe in Japan bereits unausweichlich war -, vergangenen Montag versammelten sich weit mehr als tausend Demonstranten an Tor 13.

Solche Zahlen wiegen schwer. Die Niederbayern sind ein konservativer Menschenschlag. Das Demonstrieren ist ihre Sache nicht. Schon gar nicht das Demonstrieren gegen ihr Atomkraftwerk - auch wenn immer mehr Menschen in der Region der Alt-Reaktor nicht geheuer ist. Selbst in Landshut - immerhin die Hauptstadt von Niederbayern - bringt ein Bündnis aus Grünen, SPD und etlichen Anti-Atom-Initiativen nicht mehr Menschen auf die Straße als Mira Neumeier nach Niederaichbach.

Doch mit Mira Neumeiers Montags-Mahnwachen ist der Protest gegen die Atompolitik der schwarz-gelben Bundesregierung in Niederbayern angekommen - auch wenn einige Teilnehmer von weiter her anreisen und fast die gesamte Landtagsprominenz von Grünen und SPD vorbeigeschaut hat.

Die übergroße Mehrheit der Demonstranten sind Schüler, junge Eltern mit ihren Kindern, Feierabendsportler, Bauersfrauen und Pensionisten. Sie alle kommen direkt aus der Umgebung der Atomanlage. Und vor allem sind jeden Montag neue dabei. Es ist nie dieselbe Schar, die ihre Transparente gegen den Uralt-Reaktor in den Abendhimmel reckt und "Abschalten! Abschalten! Abschalten!" skandiert.

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Mira Neumeier hat das gleichsam aus dem Stand geschafft. Ohne eine Partei im Rücken oder eine Organisation, die sie unterstützt hätte. Egal, ob es um die Anmeldung der Kundgebungen ging, die Transparente und all das andere, das man für eine Mahnwache braucht. Aber das ist nicht das einzig Erstaunliche. Neumeier selbst ist - das kann man nicht anders sagen - ein Exot in der niederbayerischen Provinz. Nicht nur wegen der weiten orangefarbenen und grünen Kleidung samt brauner Mütze, die sie gerne trägt.

Die alleinerziehende Mutter ist Schauspielerin und Puppenspielerin, sie arbeitet als Klinikclown in Kinderkrankenhäusern und mit dementen Senioren. Lange Jahre hat sich die 43-Jährige in der Münchner Theaterszene getummelt und viel fürs Fernsehen gearbeitet. Erst vor acht Jahren ist Mira Neumeier in ein winziges Dorf oben am Isarhochufer bei Landau gezogen. Dort lebt sie in der vormaligen Gastwirtschaft - mit ihren beiden fast erwachsenen Kindern, den drei Hunden, einer Katze und dem Traum, irgendwann eine Kleinkunstbühne in dem hundert Jahre alten Gemäuer zu eröffnen.

Neumeier strahlt viel Aufrichtigkeit, Offenheit und Unabhängigkeit aus. Das macht sie womöglich auch denen sofort sympathisch, die der organisierten Anti-Atom-Bewegung eher fern stehen. Und offenkundig macht es gar nichts aus, dass ihre Bekenntnisse mitunter ein wenig naiv wirken. "Mein Umzug hierher war eine Lebensentscheidung", sagt Mira Neumeier und dann: "Ich wollte hier alt werden, ohne Angst vor einem Gau wie jetzt in Japan!" Wie viele hatte Mira Neumeier lange ein eher diffuses Unbehagen gegenüber der Kernkraft. Ihre Hoffnungen ruhten auf dem rot-grünen Ausstiegsszenario. "Deshalb hat es mich so wütend gemacht, als ich im Sommer 2010 gemerkt habe, dass die Bundesregierung die Laufzeiten der Reaktoren tatsächlich verlängert", sagt sie. "Damithaben die in Berlin mich ganz persönlich getroffen. "

Es sind Worte wie diese, mit denen Mira Neumeier den Nerv der Leute trifft. Das sagt zumindest Thomas Keyßner, der Grünen-Bürgermeister von Landshut. Keyßner ist seit beinahe 30 Jahren bei den Grünen und hat viel Erfahrung mit Kundgebungen, Wahlkämpfen und derlei mehr. Er wurde von der immensen Resonanz auf die Mahnwachen völlig überrascht. "Wir waren uns sicher, dass sich die Aktionen spätestens im Winter totlaufen", sagt Keyßner, "Aber Mira Neumeier hat gesagt, das zieh' ich durch, egal mit wie vielen Leuten, und hat das dann mit einer unglaublichen Konsequenz getan."

Auch Paul Riederer hätte niemals an einen solchen Zulauf zu den Mahnwachen geglaubt. Der 81-jährige Landshuter ist Ehrenvorsitzender des örtlichen Bunds Naturschutz und Atom-Gegner der ersten Stunde. In den zurückliegenden Jahrzehnten hat er sich immer wieder gegen das Kernkraftwerk protestiert - oft im Alleingang. "Was Mira Neumeier aus dem Nichts auf die Beine gestellt hat", sagt Riederer, und es klingt fast ein wenig ehrfürchtig, "das ist schon eine gewaltige Leistung. Deshalb unterstützen wir sie ja auch mit allen Kräften."

Diesen Montag soll die vorerst letzte Kundgebung an Tor 13 stattfinden. "So lange der Uralt-Reaktor abgeschaltet bleibt, wollte ich die Mahnwachen aussetzen", sagt Mira Neumeier. "Erst wenn er nach den drei Monaten nicht endgültig vom Netz geht, sondern wieder angeschaltet wird, wollte ich zu neuen aufrufen." Entscheiden sollen das die Demonstranten selbst. Gut möglich, dass sie die Fortsetzung der Mahnwachen verlangen.

© SZ vom 21.03.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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