Debatte um Inzidenzzahlen in Bayern:Pi mal Daumen durch die Pandemie

Kabinett Bayern

Gesundheitsminister Holetschek nach einer Pressekonferenz. Am Montag wirkte er nun etwas zerknirscht.

(Foto: dpa)

Durch ihren nachlässigen Umgang mit den Inzidenzzahlen der Ungeimpften haben die Verantwortlichen das Vertrauen in die Corona-Politik erschüttert. Und das ganz ohne Not.

Kommentar von Johann Osel

Neulich hat Markus Söder gesagt, die vierte Corona-Welle sei "angeknackst, nicht gebrochen". Ähnlich ist es beim allgemeinen Vertrauen in die Pandemiepolitik. Die "Stunde der Exekutive", in der ohne viel Hinterfragen durchregiert wurde, schlug 2020. Längst müssen die Politiker bei den Bürgern jeden Tag aufs Neue um Vertrauen werben. Da schickt es sich, jedes Wort zu wägen, akkurat zu argumentieren und jede Zahl abzuklopfen, ob sie wasserdicht ist. Nur Genauigkeit und Verbindlichkeit schaffen die Basis, damit die Corona-Maßnahmen Akzeptanz finden, die im Alltag ja sehr genau und verbindlich gelten. Und das ist auch Basis dafür, dass jene, die mit üblen Fake News oder Halbwahrheiten zurecht am Rand der Gesellschaft blöken, nicht noch Zulauf erhalten.

Insofern ist die Debatte um die Inzidenz von Ungeimpften in Bayern, wenngleich eigentlich nur ein Datendetail, ein veritables Kommunikationsdesaster. Wer abseits der Großverschwörungsthese vielleicht schon immer dachte, dass in der Pandemiepolitik irgendwie ein bisschen Schmu im Spiel sei, wird sich bestärkt fühlen. Was war? Das Landesamt für Gesundheit (LGL) rechnet Infizierte, deren Impfstatus unbekannt ist, automatisch als nicht geimpft. So entstehen astronomische Inzidenzen für die ohnehin schon stärker betroffene Gruppe. Zuletzt wusste das LGL bei zwei Drittel der Leute nicht, ob sie geimpft sind, das verzerrt den Wert enorm. Gesundheitsminister Klaus Holetschek und der Ministerpräsident verwendeten eben diese Zahlen für Impfappelle, ohne Hinweis auf die schwammige Basis. Das LGL selbst führt den Unsicherheitsfaktor zwar auf, aber im Kleingedruckten.

Die Causa ist Beleg dafür, wie überlastet staatliche Stellen sind, wenn sie den Impfstatus kaum erheben können. Fatal ist es aber, Schätzungen als fixe Statistik in die Welt zu posaunen; nicht aus Fälschungsabsicht, wohl eher aus Freude am Superlativ. Ein Zahlenspiel für die Katz' war das noch dazu: Dass die Impfung Schutz bietet, ist den vielen vernünftigen Menschen auch so klar, und Querköpfe lassen sich kaum durch irgendeine Zahl bekehren. Dem höheren Ziel, Corona zu besiegen, hat die Staatsregierung damit keinen Gefallen getan. Pi mal Daumen kommt man nicht durch die Pandemie.

Immerhin wirkte Holetschek am Montag etwas zerknirscht. Am Wochenende hatte er auf Twitter noch geschrieben, das sei ja gar kein Thema, sinngemäß: basta! Es ist aber eines: Weil die Menschen ein Anrecht auf verlässliche Daten haben und, falls diese nicht klar zu eruieren sind, auf ehrliche Kommunikation. Es ist zudem ein Thema, weil die erste bräsig-trotzige Reaktion von Holetschek, der zuletzt doch als ordentlicher Krisenmanager aufgetreten war, so schief war wie das Statistikwerk.

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