Inzidenzen bei Geimpften und Ungeimpften:Holetschek verwahrt sich gegen Vorwurf der Manipulation und Täuschung

Coronavirus - Bayern

Unter Druck: Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU).

(Foto: Sven Hoppe/dpa)

Bayerns Gesundheitsminister rechtfertigt, wie das Landesamt für Gesundheit die Inzidenzzahlen berechnet - wobei ein bisschen Selbstkritik erkennbar wird. Die Landtags-FDP äußert den Verdacht, dass hier bewusst mit Zahlen Politik gemacht werde.

Von Andreas Glas

Es ist 14.30 Uhr, als Klaus Holetschek am Montag ins Foyer seines Gesundheitsministeriums marschiert. In diesen gläsernen Rundbau, das ist ja auch die Botschaft seines Auftritts: Transparenz. Da steht er dann, "aus aktuellem Anlass", wie Holetschek (CSU) diesen Sturm an Anschuldigungen nennt, der am Wochenende über die Staatsregierung hereingebrochen ist. Von "Manipulation" war plötzlich die Rede, von "Täuschung". Und jetzt, am Montagnachmittag? Unternimmt Holetschek erst mal den Versuch, die Temperatur der Debatte runterzudrehen. "Letztendlich geht es um eine fachliche Frage", nicht um Täuschung. Und über fachliche Fragen könne man gern "streiten und diskutieren".

Noch am Sonntag hatte Holetschek getwittert, dass "alles Notwendige gesagt" sei zur Rechenmethode, mit der in Bayern die Corona-Inzidenzen bei Geimpften und Ungeimpften ermittelt werden. Aber jetzt sieht er doch Erklärungsbedarf bei dieser Frage: Warum rechnet das Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) alle Infizierten, deren Impfstatus unbekannt ist, den Ungeimpften zu? Eine halbe Stunde wird Holetscheks gemeinsamer Auftritt mit LGL-Chef Walter Jonas dauern. Am Ende wird die Botschaft stehen, dass "in keinster Weise" von Täuschung die Rede sein könne, wie Holetschek versichert. Aber auch das Eingeständnis, dass nicht alles optimal läuft beim Versuch der Staatsregierung, diese Pandemie in verlässliche Zahlen zu fassen.

Bevor Holetschek vor die Journalisten tritt, lädt um 10 Uhr Martin Hagen zur Pressekonferenz. Vom FDP-Fraktionschef stammt der Vorwurf der Täuschung, den er am Wochenende auf Twitter formuliert hatte. Am Montag zieht Hagen erneut Vergleichszahlen aus Schleswig-Holstein heran, wo alle Fälle mit unbekanntem Impfstatus gesondert ausgewiesen werden - und das Verhältnis der Inzidenz von Ungeimpften zu Infizierten zuletzt bei etwa 2,5 zu eins lag. Für Bayern dagegen wies das LGL auch am Montag ein viel deutlicheres Verhältnis aus. Demnach war die Inzidenz bei Ungeimpften (1616,4) fast 16 Mal so hoch wie bei Geimpften (103,1). Auf eine ähnliche Relation kommt unter anderem Mecklenburg-Vorpommern, das genauso rechnet wie Bayern. Matthias Fischbach, Parlamentarischer Geschäftsführer der FDP, formuliert den Verdacht, die Staatsregierung habe "bewusst mit diesen Zahlen Politik gemacht". Fraktionschef Hagen fordert gar personelle Konsequenzen: "Persönlichkeiten in führenden Ämtern, die die Bürger täuschen, sind nicht länger tragbar."

Der Impfstatus wird wegen Überlastung nicht mehr abgefragt

Rücktrittsabsichten? Davon ist am Nachmittag nichts zu erkennen, weder bei Minister Holetschek noch bei LGL-Chef Jonas. Man habe sich für die Rechenmethode entschieden, weil im September noch "in 80 bis 90 Prozent der Fälle" bekannt gewesen sei, ob ein Infizierter geimpft war oder nicht, sagt Jonas. Die Inzidenz bei Ungeimpften sei damals 14 Mal höher gewesen als bei Geimpften. Mit der Zeit habe aber "das Meldeverhalten der Gesundheitsämter deutlich nachgelassen". Heißt: Die Ämter sind inzwischen so überlastet, dass sie es nicht mehr schaffen, jeden Impfstatus abzufragen.

Dies hat offenbar dazu geführt, dass der Status nun in den meisten Fällen unklar ist. Dass seine Behörde trotzdem bei ihrer ursprünglichen Zählweise geblieben ist, verteidigt der LGL-Chef. Die Erfahrungen zeigten, dass die Methode "sehr nah an den tatsächlichen Daten" sei. Er lässt aber Selbstkritik durchblitzen. "Wir müssen darüber nachdenken, ob wir bei dieser Verfahrensweise bleiben können", sagt Jonas, der nochmal darauf hinweist, dass das LGL seine Zählweise nicht verheimlicht, sondern auf der Homepage ausgewiesen hat. Allerdings: Man muss schon sehr konzentriert hinschauen, um den kleinen Info-Button zu entdecken, hinter dem sich der Hinweis auf die Rechenmethode findet. Ja, sagt Jonas, man könne auch "darüber nachdenken, den Hinweis auf der Homepage deutlicher" zu machen.

Ausschlaggebend für die politischen Entscheidungen sei aber ohnehin nicht das Verhältnis der Inzidenzen von Geimpften und Ungeimpften, sagt Holetschek - und tritt dem Vorwurf entgegen, die Regierung habe die Inzidenz der Ungeimpften künstlich nach oben getrieben, um strengere Anti-Corona-Maßnahmen rechtfertigen zu können. Was für die politischen Entscheidungen zähle, sei erstens die Gesamtinzidenz, die in Bayern derzeit bei 526 liege, unabhängig von der Rechenmethode, sagt Holetschek. Und zweitens die Belegung der Intensivbetten. Er muss allerdings einräumen, dass derzeit auch die sogenannte Hospitalisierungsinzidenz, also die Krankenhausfälle pro 100 000 Einwohner binnen sieben Tagen, "chronisch untererfasst" ist.

Auf den Intensivstationen seien "viele, viele Ungeimpfte"

"Eine schwierige Situation", sagt LGL-Chef Jonas über die überlasteten Gesundheitsämter, "ein Dilemma", das dazu führe, dass einige Statistiken derzeit "generell mit Vorsicht zu genießen sind". Das Ziel könne daher nicht sein, "die exakte Wirklichkeit darstellen zu wollen, es geht um Trends". Der Trend allerdings, sagt Holetschek, lasse weiterhin keine Entwarnung in den Kliniken zu. Letztlich sei es keine Frage haargenauer Zahlen, sondern "eine Frage der Relation". Auf den Intensivstationen seien ja zweifellos "viele, viele Ungeimpfte".

Daran zweifelt auch FDP-Fraktionschef Hagen nicht. "Keine Frage", sagt er, durch die Impfung sinke die Ansteckungsgefahr, es gebe viel seltener schwere Verläufe oder Todesfälle. Es sei aber schlimm, dass die Staatsregierung mit "manipulierten Zahlen" Glaubwürdigkeit verspielt habe. Ministerpräsident Markus Söder (CSU), der zuletzt häufiger mit den nun umstrittenen Inzidenzen hantiert hatte, war offenbar nicht darüber im Bilde, dass die Zählweise inzwischen ihre Schwächen hat. Fürs Zählen seien "alleine" LGL und Gesundheitsministerium verantwortlich, hatte seine Staatskanzlei am Sonntag mitgeteilt. Doch der FDP reicht all das nicht. Sie hat mehrere Anfragen an die Staatsregierung gestellt und will das Thema an diesem Dienstag auf die Tagesordnung im Landtag heben.

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