Inzestfall in Mittelfranken:Ein Dorf und sein schmutziges Geheimnis

"Die Kinder aus dem gelben Haus schauen wie ihr Opa aus": Unter den Augen der Öffentlichkeit hat ein Vater im fränkischen Willmersbach 34 Jahre lang seine Tochter missbraucht - und mit ihr drei Kinder gezeugt. Das Dorf spottete darüber, gemeldet hat den Fall niemand. Jetzt muss sich der Rentner vor Gericht verantworten.

Olaf Przybilla

Natürlich hat auch die Frau, die an einem Ortseingang von Willmersbach wohnt, die Spottverse auf der Dorf-Kirchweih gehört, schließlich haben sie diese Verse ja alle irgendwann gehört im Ort. Worum es da im Einzelnen ging, daran vermag sie sich beim besten Willen nicht mehr zu erinnern. Aber das schon deswegen, weil die merkwürdigen Verhältnisse der Familie aus der Dorfmitte immer ein Thema gewesen sind im fränkischen Willmersbach, über das man gemunkelt hat - und auch gewitzelt.

Inzest, Willmersbach, Prozess

Im Ort wussten viele vom Inzest: "Die Kinder aus dem gelben Haus schauen wie ihr Opa aus", hieß es in einem Spottvers.

(Foto: dpa)

Auch die Frau vom Ortseingang hat da mitgemacht: "Für mich", sagt sie, "war'n Vater und Tochter immer scho' a Bärle, man hat sich gar nichts mehr dabei 'dacht, man kannt' es ja ned anders." A Bärle? Ein Pärchen. Und deswegen haben sie sich in Willmersbach auch gar nicht groß gewundert, als der Vater der Familie aus der Ortsmitte irgendwann von der Polizei abgeholt wurde.

Von Montag an muss sich ein 69 Jahre alter Rentner aus Willmersbach im westmittelfränkischen Landkreis Neustadt an der Aisch-Bad Windsheim vor dem Landgericht Nürnberg verantworten, im Schwurgerichtssaal 600. Er soll seine heute 46 Jahre alte Tochter insgesamt 34 Jahre lang missbraucht und mit ihr drei behinderte Kinder gezeugt haben. Zwei der Kinder starben im jungen Alter. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Rentner unter anderem Vergewaltigung in 497 nicht verjährten Fällen vor. Der Rentner hat den sexuellen Kontakt zu seiner Tochter nach seiner Festnahme bereits eingeräumt. Er bestreitet aber, dass beim Sex mit seiner Tochter Gewalt im Spiel war.

"Fritzl von Franken" ist der 69-Jährige nach seiner Festnahme in Medien getauft worden, der Vergleich aber trifft in einem wesentlichen Punkt nicht zu: Denn im Unterschied zu dem Fall in Österreich hat sich der Fall in Mittelfranken offenbar nicht in einem Verlies abgespielt. Sondern genau in der Mitte des Dorfes - und dort relativ gut dokumentiert.

Wer sich am Tag, als die Staatsanwaltschaft den Fall öffentlich machte, in Willmersbach umtat, blickte deshalb nicht in verstörte Gesichter. "Das überrascht uns überhaupt nicht", sagte ein Nachbar im Brustton der Überzeugung. Warum? Weil man ja immer gesehen habe, wie der Vater mit seiner Tochter durchs Dorf gefahren sei. Weil mindestens ein Jäger die beiden schon mal in eindeutiger Situation auf der Rückbank des Familien-Autos am Waldrand beobachtet haben soll. Und weil man im Dorf seither Witze gemacht hat, wenn man mal wieder den Vater mit der arbeitslosen Tochter vom Hof habe fahren sehen - und das gelegentlich mehrmals am Tag. So viel Anlass zum Einkaufen, spottet einer, "können die doch gar nicht gehabt haben". Also habe sich jeder seinen Teil denken können.

"Das gehört da halt scheinbar dazu"

Ist irgendwann mal einer auf die Idee gekommen, diese Beobachtungen der Polizei zu melden? Es geht immerhin um einen Zeitraum von 34 Jahren - und es geht mindestens um den Straftatbestand Inzest, es geht um drei behinderte Kinder. Die Frau am Ortseingang ist irritiert über solche Fragen. "Ja, was soll man denn machen als Einzelne?", fragt sie zurück, "am Ende hat man doch nur eine Verleumdungsklage am Hals." Außerdem, sagt die Frau, seien sie in dem betreffenden Haus "alle nicht so ganz normal" gewesen. "Man hat sich gedacht: Das gehört da halt scheinbar dazu."

Es gibt ein Dokument, wie die Willmersbacher die Sache aus der Mitte ihres Dorfes verarbeitet haben. Auf der Kerwa, auf der im Landkreis äußerst beliebten Willmersbacher Kirchweih also, war im Ortsburschen Kurier der Vers nachzulesen: "Die Kinder aus dem gelben Haus / schaun wie ihr Opa aus." Honoratioren aus dem Landkreis, erzählen sie im Ort, waren oft auf dieser Kerwa im Gerhardshofener Ortsteil Willmersbach zu Gast, das Fest in dem 330-Einwohner-Ort wollte sich kaum einer entgehen lassen. Als der Inzest-Fall dann aber bekannt wurde, wollten sie im Landratsamt noch nie von so einer Sache gehört haben, schimpfen sie im Dorf. Zumal das Landratsamt bestätigt, dass der Familie "wirtschaftliche Hilfen gewährt" worden sind.

Warum eine der Behörden "nicht mal richtig nachgefragt" habe, warum den Ämtern in all den Jahren nichts aufgefallen sei, nach der Geburt von drei behinderten Kindern - das hätten sich viele im Ort gefragt, klagt der Bürgermeister Jürgen Mönius. Er sieht das Dorf deshalb sehr zu Unrecht an der Pranger gestellt.

Aufgeflogen war der Fall erst, nachdem die 46 Jahre alte Tochter zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden war. Einer Bewährungshelferin war es später gelungen, ein Vertrauensverhältnis zu der Frau aufzubauen - und ihr berichtete sie schließlich von ihrem Vater. Laut Staatsanwaltschaft soll der Angeklagte seine Tochter erstmals im Alter von zwölf, höchstens aber 13 Jahren zum Geschlechtsverkehr gezwungen haben.

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