Inzest-Prozess in Memmingen:Nur eine wehrte sich - seither verfolgt sie der Hass

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Als die Beweislast zu erdrückend wurde, hat Frank-Jürgen L. eingeräumt, zwei seiner vier Töchter jahrelang zum Geschlechtsverkehr gezwungen zu haben. Das Memminger Landgericht hat den Vater nun zu sieben Jahren Haft verurteilt.

Stefan Mayr

Am zweiten Prozesstag war die Beweislast schlichtweg zu erdrückend. Nach langem Abstreiten legte der Inzest-Vater aus Neuburg/Kammel am Donnerstag doch noch ein umfassendes Geständnis ab. Als alle Fakten gegen ihn sprachen, räumte Frank-Jürgen L. ein, zwei seiner vier Töchter jahrelang regelmäßig zum Geschlechtsverkehr gezwungen zu haben.

Als die Zeugenaussagen zu erdrückend wurden, rang sich der angeklagte Familienvater (hier mit seinem Anwalt) zu einem Geständnis durch. (Foto: dpa)

Die Opfer waren 15 und 16 Jahre alt, als er sich erstmals an ihnen verging. Auch nachdem eine Tochter schon zwei Kinder geboren und eine Fehlgeburt hatte, ließ er nicht von seinen Kindern ab. Selbst als er bereits wusste, dass eine Tochter Anzeige erstattet hatte, setzte er seine Taten fort.

Das Landgericht Memmingen verurteilte den 46-jährigen Montagehelfer zu einer Haftstrafe von sieben Jahren und zwei Monaten.

Die Vorsitzende Richterin Brigitte Grenzstein attestierte dem Angeklagten in ihrer Urteilsbegründung eine "enorme Gefühllosigkeit" und bezeichnete seine Taten als "einfach widerlich". Eine der betroffenen Töchter hatte den Angeklagten noch im Zeugenstand in Schutz genommen. Sie sprach von einvernehmlichem Sex und bezeichnete ihren Vater als "liebevoll" - eine durchaus ungewohnte Aussage für eine Nebenklägerin. Wie kommen solche Taten und solche Aussagen zustande? Diese Frage stellte - und beantwortete - der psychologische Sachverständige Wolf Langensteiner: "Er war eine Art Pascha, der sich eine jüngere attraktivere Ersatzpartnerin gesucht hat und sie mit Vergünstigungen belohnt hat."

Der Gutachter konstatierte eine Abhängigkeit der gesamten Familie vom Vater. "Es ist typisch in Inzestfamilien, dass die Mutter überfordert ist." Der ermittelnde Kriminalpolizist sagte aus: "Der Vater war der General, die Mutter die Dienerin." Nach Aussage des Psychologen war der Angeklagte - mit einem IQ von 100 - allen Familienmitglieder intellektuell weit überlegen. "Die einzige, die ihm Paroli bieten konnte, war die Tochter K."

Ohne die Anzeige der heute 21-Jährigen wäre die Familie in dem System des Vaters weiterhin "gefangen" geblieben, wie es die Richterin formulierte - und der Missbrauch würde weiter andauern. Eine Erkenntnis, die auch angesichts des Inzest-Falles im mittelfränkischen Willmersbach die Frage aufwirft, wie viele solcher Fälle unentdeckt bleiben. Im Prozess wurde klar, dass es auch im Wohnort der Familie Gerüchte gab. Doch niemand unternahm etwas - weder Nachbarn noch Behörden.

Nachdem Tochter K. Anzeige erstattet hatte, wurde sie von ihrer Mutter und ihren Geschwistern mit Hass überschüttet. Sie wurde als Lügnerin bezeichnet und von der Familie verstoßen - obwohl bereits ein medizinisches Gutachten bestätigte, dass der Angeklagte die andere Tochter N. dreimal geschwängert hatte. Selbst N., die heute 24 ist, behauptete im Zeugenstand, ihre Schwester fantasiere. Der 17-jährige Bruder bedrohte K. per Telefon und SMS und forderte sie auf, ihre Aussage zu widerrufen.

Erst als eine Psychologin der Zeugin K. "uneingeschränkte Glaubwürdigkeit" attestierte, räumte der Angeklagte die Taten ein. "Es tut mir sehr leid", sagte er. Zuvor hatte er den Prozess stets mit gesenktem Kopf und starrem Blick auf den Tisch verfolgt. Er zeigte keinerlei Emotionen, abgesehen von gelegentlichem leichten Kopfschütteln.

Um seine Bedürfnisse zu befriedigen, musste der Angeklagte seine Töchter nie schlagen oder ihnen konkret Gewalt androhen. "Der Befehl genügte und die Familie hat alles ausgeführt", sagte die Staatsanwältin.

Die Angst war so groß, dass eine Tochter den Missbrauch auf dem Balkon stillschweigend über sich ergehen ließ, obwohl unten auf dem Gehweg Menschen vorbeiliefen. Weil der Angeklagte ohne Schläge und mit unterschwelligen Drohungen auskam, konnte er nicht wegen Vergewaltigung verurteilt werden, sondern nur wegen "Beischlaf zwischen Verwandten" und sexuellem Missbrauchs von Schutzbefohlenen. Hier ist das Strafmaß niedriger. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Durch das Geständnis und das Urteil bekommt Tochter K. nicht nur vor dem Gesetz Recht, sondern auch vor ihrer Familie. Dennoch werden die Betroffenen noch ihr Leben lang leiden, wie Richterin Grenzstein betonte: "Hier gibt es vier Opfer, die Töchter und die zwei Söhne. Die gravierenden Folgen vermag sich niemand auszumalen."

© SZ vom 23.09.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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