Inzest-Fall von Willmersbach:Ein Dorf schaut zu

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Mehr als 30 Jahre lang soll ein Vater aus dem fränkischen Willmersbach seine Tochter vergewaltigt und drei Kinder mit ihr gezeugt haben. Doch was wussten die Dorfbewohner? Vor Gericht sagen nun weitere Zeugen aus. Dabei wird deutlich: Geredet wurde viel - offenbar auch mit den Behörden.

Katja Auer, Nürnberg

Sie müssen es gewusst haben, die Bewohner des fränkischen Örtchens Willmersbach. Zumindest haben sie geahnt, dass da etwas nicht stimmt und dass da seltsame Dinge passieren in dieser Familie. Ein 69 Jahre alter Vater muss sich im Inzestprozess vor dem Landgericht Nürnberg verantworten. Nun sagen erste Bewohner des Dorfes aus.

Im Dorf war der Missbrauch bekannt, die Jugend dichtete Spottverse auf die Familie. (Foto: dpa)

Adolf B. wird vorgeworfen, seine Tochter mehr als 30 Jahre lang etwa 500 Mal zum Geschlechtsverkehr gezwungen zu haben. Als Erwachsene brachte die Tochter drei behinderte Söhne von ihrem Vater zur Welt. Zwei von ihnen starben im Kindesalter.

Ein Jäger soll Vater und Tochter in eindeutiger Situation auf der Rückbank des Familienautos beobachtet haben, hieß es anfangs. Doch bei seiner Zeugenaussage vor Gericht klingt plötzlich alles harmloser. Da sagt der Mann, in den achtziger Jahren habe er die beiden tatsächlich im Auto gesehen. Ob er da sexuelle Handlungen beobachtet habe? Nein, antwortet der Mann. Der Wagen stand am alten Sportplatz. Er sei vorbeigefahren und habe mit dem Finger gedroht.

Am darauffolgenden Sonntag, als sich die Dorfbewohner am Stammtisch in einer Wirtschaft im Nachbarort trafen, habe er dem Angeklagten dann "mein lieber Freund" zugerufen. "Ich habe damit nur sagen wollen, dass er drüber nachdenken soll", erzählt der Jäger nun vor Gericht.

Das zweite Mal ertappte der Jäger Vater und Tochter Anfang 2011 auf einem Feldweg, wieder im Auto und wieder habe er nichts Konkretes gesehen. "Ich habe der ganzen Sache nicht so viel Bedeutung beigemessen", berichtete er nun. "Doch dann kam plötzlich ein Kriminaler." Im Frühjahr 2011 flog der Fall auf.

Der Jäger sagt auch, dass er eine Mitarbeiterin des Landratsamts mit den Gerüchten konfrontierte. Diese habe daraufhin auf die Angaben der Tochter verwiesen, wonach die Kinder von verschiedenen nicht genannten Männern stammten. Sie sehe keinen Anlass, den Gerüchten nachzugehen - schon weil die Familie des Beschuldigten als sehr aggressiv und gewalttätig gelte, zitiert der Zeuge die Mitarbeiterin des Landratsamtes.

Auch der ehemalige Bürgermeister der Gemeinde Gerhardshofen, zu der Willmersbach gehört, will vor etwa 20 Jahren von den Inzestgerüchten erfahren haben. Er gibt an, einen Arzt gefragt zu haben, was in so einem Fall zu tun sei. Dieser habe ihm klar gemacht, dass die gentechnischen Untersuchungen noch nicht ausreichten, um eine Vaterschaft zu beweisen. Er müsse das Paar in flagranti erwischen, um etwas unternehmen zu können.

Der Inzestfall in Franken fand unter den Augen der Öffentlichkeit statt, das bezeugen auch die anderen Dorfbewohner, die am Dienstag vor Gericht aussagten. Geredet worden sei schon, aber so sei das halt auf dem Dorf. Natürlich habe man sich gewundert, als die Frau ihre Kinder bekam. Aber man habe ihren Vater nie direkt darauf angesprochen.

Der Fall flog auf, als die Tochter, die mittlerweile selbst straffällig geworden war, sich ihrer Bewährungshelferin anvertraute. Seitdem sitzt der Vater in Untersuchungshaft. Er sagt, der Geschlechtsverkehr geschah einvernehmlich.

Auch auf der Kerwa, der im Landkreis äußerst beliebten Willmersbacher Kirchweih, wurde der Fall früher bereits öffentlich thematisiert. Im Ortsburschen Kurier war der Vers nachzulesen: "Die Kinder aus dem gelben Haus / schaun wie ihr Opa aus."

Der Angeklagte mischte im Dorfleben ordentlich mit. Eine Wirtin sagte vor Gericht aus, Adolf B. sei regelmäßig zum Sonntagsstammtisch in ihre Gaststätte gekommen. Da er selbst keinen Führerschein hat, habe man immer angerufen, wenn er nach Hause wollte. Dann sei er von seiner Tochter abgeholt worden.

Andere Wirte von Gaststätten, in denen Adolf B. regelmäßig war, schildern ihn als friedlich, solange er nichts getrunken hat. Dann sei er aggressiv geworden. Das Verhältnis zwischen ihm und seiner Tochter beschreiben die meisten als "harmonisch". Es habe auf sie nicht den Eindruck gemacht, als hätte der Vater seine Tochter misshandelt. Ein Wirt sagt aus, die beiden hätten auf ihn wie "ein Herz und eine Seele" gewirkt. An konkreten Beispielen belegten kann er seine Einschätzung aber nicht.

Die Familie ist am Dienstag auch geladen. Erst kommt Maria B., die Ehefrau des Angeklagte. Eine kleine, dünne Frau, die weinend in den Gerichtssaal kommt. Sie drückt ihrem Mann die Hand und sagt gleich, dass sie nichts sagen will. So geht es dann weiter. Alle drei Söhne sagen nichts. Er wisse auch gar nichts, sagt einer. Sie grüßen den Vater, machen ihre Angaben zu den Personalien und gehen wieder. Ebenso der Enkel. Das einzige Kind, das die 46-Jährige nicht vom Vater hat. Sein Vater soll der Bruder des Angeklagten sein, der Onkel der 46-Jährigen.

Insgesamt will das Gericht während der sechs Verhandlungstage 24 Zeugen und drei Sachverständige hören. Ein Urteil wird für 19. Dezember erwartet.

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