Interview mit DJ Hell:Arbeiter der Nacht

Interview mit DJ Hell: DJ Hell beim Interview in der Goldenen Bar im Haus der Kunst in München.

DJ Hell beim Interview in der Goldenen Bar im Haus der Kunst in München.

(Foto: Stephan Rumpf)

Seit 35 Jahren steht DJ Hell schon an den Plattentellern weltweit angesagter Clubs. Kaum einer kennt sich im Nachtleben besser aus als er. Ein Gespräch über Techno in München, Intoleranz in Berlin und das musikalische Erbe von Giorgio Moroder.

Von Beate Wild und Michael Bremmer

Zum Interview in der Goldenen Bar kommt DJ Hell mit dem Fahrrad. Dass er bereits 50 Jahre alt ist, sieht man Helmut Josef Geier, so sein bürgerlicher Name, nicht an. Der Haaransatz ist lichter geworden, aber da er das blonde Haar schulterlang trägt, fällt das nicht so auf. Die Kleidung ist sportlich, der Körper sonnengebräunt und durchtrainiert. Mitgebracht hat er nur ein Handtuch - wenn es dunkel ist, möchte er noch schnell in den Eisbach springen.

SZ: Seit Jahren wohnen Sie in Berlin, aber jetzt verbringen Sie wieder mehr Zeit in München. Warum?

Helmut Josef Geier: Seit 17 Jahren habe ich eine kleine Wohnung, in der Nähe der Theresienwiese. In den vergangenen zehn Jahren war ich meistens in Berlin, dort ist unter anderem auch das Büro meines Plattenlabels. Aber ganz weg von München war ich nie. In konnte mich einfach nicht zwischen den zwei Städten entscheiden und habe in beiden gelebt. Aber in letzter Zeit genieße ich München wieder sehr. Nur wenn das Oktoberfest stattfindet, versuche ich meine Auftritte und Aufenthalte außerhalb Münchens zu forcieren.

Sie sind also kein großer Fan der Wiesn?

Eher nicht. Ich war nie ein großer Oktoberfestgänger, geschweige denn Biertrinker. Ich trinke ja überhaupt keinen Alkohol. Im Grunde bin ich ein totaler Wiesn-Muffel, aber ich kenne total viele Geschichten über die Wiesn, weil ich so lange schon in der Gegend wohne. Etwa die vom vergangenen Jahr, als Campino am letzten Wiesntag seine Hymne "Tage wie diese" live auf der Bühne schmetterte und ich aufgewacht bin, weil es so laut war. Ich dachte ich träume, dann wachte ich auf, und Campino sang wirklich.

Ein Techno-DJ, der sich über zu laute Musik beschwert?

(lacht) Ja, das fand ich echt unangemessen. Man weiß ja auch gar nicht, ob Campino freiwillig auf die Bühne ist oder ob er genötigt wurde. Ich glaube kaum, dass die Toten Hosen schon beim Schreiben daran dachten, dass dieser Song ein Wiesn-Hit werden könnte. Aber was sie sicher wollten: einen großen Hit landen. Ich kenne die Hosen ja noch von früher, als sie als "Opel-Gang" 1990 nach Italien fuhren, um die Deutsche Fußballnationalmannschaft zu unterstützen. Sehr ehrenwert!

Wobei Campino ein anderes Team unterstützt als Sie und schon gesungen hat: "Ich würde nie zum FC Bayern gehen."

Richtig, ich bin Bayern-Fan, Campino ist Düsseldorf- und Liverpool-Fan.

Woher kommt die Liebe zum FC Bayern?

Mit so etwas wächst man auf, das wird einem in die Wiege gelegt. Ich war großer Verehrer von Franz Beckenbauer, Gerd Müller und Sepp Maier. Damals schon wie heute höre ich gerne am Samstagnachmittag Fußball im Radio. Was ich grenzwertig finde, ist, dass man heute fast täglich die Möglichkeit hat, irgendein Spiel zu verfolgen. Ich merke, dass ich zum ersten Mal ein wenig den Drive am Fußballgeschehen verliere. Man sieht auch die Spieler nicht mehr so oft beim Ausgehen. Früher, zu Zeiten von Mario Basler und Luca Toni, wurden die Spieler ja öfter im P1 gesichtet. Aber auch das ist professioneller geworden. Beziehungsweise gehen sie heute in andere Clubs, etwa ins Heart oder ins Pacha.

Kommendes Jahr planen Sie während der WM eine Tour durch Brasilien?

So etwas erlebt man nur einmal im Leben, da will ich auf jeden Fall dabei sein. Ich hoffe, dass mir die Clubbetreiber vor Ort Tickets besorgen können, oder es springen die internationalen Sponsoren ein. Sonst gibt es ja immer Kartenkontingente auf dem Schwarzmarkt.

Chiemsee und Ibiza

Wie viel Zeit verbringen Sie nun in München und wie viel in Berlin?

Interview mit DJ Hell: Diabolischer Name? Nein. Hell kommt von Helmut, nicht von Hölle. Bürgerlich heißt DJ Hell nämlich Helmut Geier.

Diabolischer Name? Nein. Hell kommt von Helmut, nicht von Hölle. Bürgerlich heißt DJ Hell nämlich Helmut Geier.

(Foto: Stephan Rumpf)

Ich entscheide das spontan nach meinen Auftritten am Wochenende. In den vergangenen zwei Jahren habe ich mich oft für München entschieden. Wenn ich früher am Sonntag nach zwei Auftritten zurück nach Berlin gekommen bin und mit dem Fahrrad nachts in Mitte herumgefahren bin, habe ich mich dort sehr zu Hause gefühlt. Das Feeling ist irgendwann verloren gegangen.

Jetzt fühlen Sie sich wieder mehr als Münchner?

Ich war immer Münchner im Herzen. Ich galt sicher auch als Münchner in Berlin. Und als ich 2003 in New York wohnte und arbeitete, hatte ich das gleiche Gefühl.

Geboren sind Sie in Altenmarkt am Chiemsee. Sind Sie noch oft dort?

Wenn es so heiß ist, fahre ich gerne raus zum Chiemsee, dort habe ich ein kleines Haus mit großem Garten gemietet. Das schätze ich sehr, denn dort bin ich geboren. Als mir das angeboten wurde, habe ich meine Wohnung in Berlin aufgegeben und die Einrichtung dort eingebaut. Das Haus ist komplett auf dem Land, neben Bauerhöfen und einsamen Wäldern und kleinen Badeseen. Wenn ich in Berlin verweile, wohne ich mittlerweile nur noch im Hotel.

Mal auf Tour, mal München, mal Berlin - das klingt sehr nach Single-Leben. Oder reist die Frau mit?

Meine Freundin reist mit. Es ist ja oft schwierig, weil ich ja immer am Wochenende arbeite und sie während der Woche. Aber sie fährt oft zu meinen Auftritten mit. Wenn ich jetzt im September wieder meine Resident-Shows im Space und Pacha spiele, ist sie natürlich dabei.

Angefangen haben Sie als DJ 1978 in der "Stiege" in Trostberg und im "Libella" in Kirchweidach. Damals haben Sie noch eine andere Art von Musik aufgelegt?

Kann man jetzt nicht so sagen, damals habe ich auch schon Klaus Nomi aufgelegt. Und jetzt, zu seinem 30. Todestag, habe ich ein Remix zu seinem "Cold Song" gemacht. Ich glaube, ich habe immer eine klare Handschrift beibehalten.

Wann sind Sie dann nach München gekommen?

Anfang der Achtzigerjahre habe ich versucht, in den Münchner Clubs wie dem Tanzlokal Größenwahn Fuß zu fassen. Aber die haben natürlich auf einen Land-DJ nicht gewartet.

Aber die Clubszene in München war ja damals nicht unbedingt lebendig?

In meinen Augen schon, wir sind jeden Tag ausgegangen. Unser Motto war: Irgendwo gibt es immer eine Party. Es gab das Größenwahn, das Why Not, das Lipstick oder das Baader Café als Treffpunkt. Aber die Münchner sind natürlich auch viel rausgefahren aufs Land, ins Libella oder in den Circus Gammelsdorf.

Und in München?

Man möchte es heute kaum glauben, im P1 hat ein großartiger DJ namens Lupo aufgelegt. Wir sind wirklich ins P1 zum Tanzen gegangen. Lupo war damals einer der besten DJs in Deutschland. Die passenden Klamotten haben wir damals extra in London gekauft. Wir kannten die Türsteher gut, mit denen waren wir befreundet, sonst hätten wir keine Chance gehabt, da vorbeizukommen. Dann gab es noch das Parkcafé, den Wolkenkratzer, das Babalu, die Negerhallen. Ich finde schon, dass es damals eine intakte Partyszene gab.

Als Land-DJ in München

Ihre ersten Gigs waren im Größenwahn und im Parkcafé. Wie schafft man das als Land-DJ?

Interview mit DJ Hell: Hält sich mit viel Sport und viel Schlafen fit: DJ Hell, der schon seit 35 Jahren in Clubs auflegt.

Hält sich mit viel Sport und viel Schlafen fit: DJ Hell, der schon seit 35 Jahren in Clubs auflegt.

(Foto: Stephan Rumpf)

Ich bin zur Geschäftsführung und habe gesagt: Ich wäre so weit. Das Libella hatte einen guten Ruf bei den Machern in München. Und ich dachte, was die Münchner DJs können, kann ich auch. Die Stamm-DJs im Größenwahn hatten ihre festen Tage und ihre Gefolgschaft - die mir damals noch fehlte. Aber irgendwann bekam ich meine Chance. Offenbar habe ich mich bewährt, weil ich dann nach kurzer Zeit jeden Tag ein Engagement in Münchens Nachtleben hatte. So viele Angebote, dass ich gar nicht mehr alles machen konnte.

Wie war die Musik zu dieser Zeit?

In München hörte man damals und hört man heute immer noch gerne Rock. Elektronische Musik gab es kaum. Deshalb war ja DJ Lupo so revolutionär und auch Michael Reinboth (Anm. d. Redaktion: heute Chef des Münchner Elektro-Labels Compost Records). Es gab elektronische Musik, aber das waren eher kleinere Partys. Ich habe damals eine Mischung aus Hip-Hop, Funk & Soul, Disco, New Wave, House - wobei es damals diesen Begriff noch gar nicht gab - und avantgardistische Tanzmusik gespielt. Ein buntes Spektrum, aber mir war es damals immer sehr wichtig, dass ich der Erste bin, der die neuen Sachen vorstellt.

Dann kam irgendwann Riem und die Technowelle. Dort haben Sie die Ultraworld-Partys mit ins Leben gerufen. War Riem für München eine gute Sache?

Es war eine Möglichkeit, außerhalb der Stadt Sperrzeiten und die Begrenzung der Lautstärke zu umgehen. Es war ideal für diese Art von Musik. Eine wichtige Instanz für München - bis heute. Dort ist alles entstanden, da wurden Gegebenheiten fürs Münchner Nachtleben definiert, die bis heute Bestand haben. Ohne das Ultraschall in Riem wäre die Szene heute anders. Dort hatten wir zum ersten Mal internationale Künstler gebucht. Bis dahin gab es kein internationales DJ-Booking, bis dahin gab es nur die Resident-DJs.

Ist durch das Ultraschall Münchens Ruf als Elektro-Stadt entstanden?

Nein, da hat Giorgio Moroder mit seiner Disco-Musik schon vorgegriffen. Und seine Musiktheorien werden heute noch fortgeführt, zum Beispiel auf dem neuen Album von Daft Punk. In diesem Punkt hat Moroder sehr viel für München getan. Und es waren nicht nur seine bahnbrechenden Releases mit Donna Summer. In den Siebzigern gab es in München eine glitzernde Nightlife-Szene und wildeste Partys, Freddy Mercury hat hier in den legendären Gay Clubs gefeiert. Damals hat sich der ,,Sound of Munich" in der ganzen Welt manifestiert und seinen Siegeszug bis heute fortgesetzt.

Wie hat sich denn die Nachtleben-Situation in München verändert, wenn Sie damals mit heute vergleichen?

Nach Riem kam ja der Kunstpark Ost, eine Spaßfabrik. Da gab es Orte wie die Wiesn-World. Wobei sogar der Kunstpark für München eine wichtige Weiterentwicklung war. Es gab dort auch den Natraj-Tempel und das Harry Klein. Heute sind ja alle Clubs in die Innenstadt gezogen, an den Maximiliansplatz und in die Sonnenstraße. Wie heißt das jetzt, Feierbanane? In den vergangenen zehn Jahren war ich mehr in Berlin, das ist an mir etwas vorbeigegangen.

Waren Sie überrascht, dass plötzlich alles in der Innenstadt ist?

Das wäre damals ja nicht denkbar gewesen. Ich begrüße diese Entwicklung sehr! Das ist das Gegenteil vom Prenzlauer Berg, da gibt es ja heute keinen einzigen Club mehr. Aber dass sich viele Leute abends immer am Gärtnerplatz treffen, sehe ich eher mit geteilten Gefühlen.

Sind die Berliner toleranter?

Auch in Berlin ist es nicht mehr so locker. Ich war neulich in Kreuzberg beim Abendessen in der Markthalle, da kommt mittlerweile um 22 Uhr eine Streife vorbei und kontrolliert die Terrassen vor den Lokalen, weil sich die Nachbarn immer beschweren. Sogar die Straßenbeleuchtung wurde dort überprüft, weil es angeblich zu hell ist.

Das heißt, Nachtleben und Nachtruhe werden sich nie vertragen?

Nie. Das war im Größenwahn in der Klenzestraße damals schon so und wird weiter an anderen Plätzen so sein. Aber wo die Clubs in der Innenstadt sind, da wohnt doch keiner: alles Büros und Geschäfte. München hat ein intaktes Nachtleben. Und Beschwerden gibt es immer, davon darf man sich nicht irritieren lassen. Ich beschwere mich ja auch, wenn Campino zu laut singt (lacht). Und das, obwohl ich schwerhörig bin.

München ist nicht nur Spider Murphy Gang

Haben sich die 35 Jahre in den Clubs auf Ihr Gehör geschlagen?

Interview mit DJ Hell: DJ Hell hatte auch mal seinen eigenen Club: Die "Villa" in Traunstein. Heute fliegt er lieber um die ganze Welt, um in angesagten Clubs aufzulegen.

DJ Hell hatte auch mal seinen eigenen Club: Die "Villa" in Traunstein. Heute fliegt er lieber um die ganze Welt, um in angesagten Clubs aufzulegen.

(Foto: Stephan Rumpf)

Ja, das merkt man schon. Und ich kenne keinen Kollegen, der keine Beschwerden hat. Viele müssen deshalb im hohen Alter aufhören.

Aber ans Aufhören denken Sie noch nicht?

Nein, ich bin ja mittendrin. Ich sehe es eher als Verpflichtung weiterzumachen und mein Wissen und meine Erfahrungen weiterzugeben. Die Förderung junger Talente hat ja bei meinem Label Gigolo Records seit 15 Jahren oberste Priorität.

Gibt es in München heute Künstler, die Potenzial haben?

Ja, sogar sehr viele. Es gibt etwa Labels wie Gomma oder Compost. Und auch Clubs wie das Harry Klein, das international viel Ansehen genießt. Hier hat sich ein richtiger Harry-Klein-Sound entwickelt. Oder neue DJs wie Schlachthofbronx, die international für Aufmerksamkeit sorgen. München hat Potenzial - und seit Giorgio Moroder auch weltweit einen wichtigen Teil zur Musikkultur beizutragen. München ist nicht nur Spider Murphy Gang und die Münchener Freiheit.

Haben Sie ein persönliches Münchner Club-Ranking?

Damals die Registratur, die gibt es ja leider nicht mehr. Und heute das Bob Beaman, das ist so, wie ein Club sein sollte. Aber auch die Rote Sonne ist ein wichtiger Club und hat sehr gutes Booking, genauso wie das Pacha. Auch das Kong ist sehr beliebt.

Also ist München gar nicht so konservativ und spießig wie sein Ruf?

Spießig? Rückständig? Wer sagt denn das?

Die Berliner.

Bei den DJs hat München keinen schlechten Ruf. Zudem: Die Künstler, die die Berliner Techno-Szene Anfang der Neunziger aufgebaut haben, kommen nicht aus Berlin, sondern aus Wiesbaden, Münster, München oder sogar aus Erding.

Aus Erding?

Ja, DJ Rok, die Terrordiva. Er war lange Zeit in den Neunzigern der führende deutsche Techno-DJ. Dass er aus Erding kam, hat er in Berlin nicht groß promotet.

Sie haben einmal über München gesagt: "Ich hatte immer das Gefühl, dass ich zu wenig zurückbekomme." Ist München undankbar?

Das habe ich mal gesagt, und das habe ich auch mal so empfunden. Wir Kulturschaffenden wurden von der Stadt nie groß wahrgenommen oder unterstützt. Gerade im Nachtleben, egal ob als Veranstalter oder DJ, als Produzent oder Booking-Agentur, war man in München immer ein Einzelkämpfer. Aber vielleicht ändert sich das ja noch.

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