Interview mit Armin Nassehi:Rechte Rhetorik, rechtere Lebenspraxis

Interview mit Armin Nassehi: Armin Nassehi ist Professor für Soziologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München.

Armin Nassehi ist Professor für Soziologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München.

(Foto: Catherina Hess)

Der Münchner Soziologe Armin Nassehi ist überzeugt, dass moderne Gesellschaften viel kompliziertere Probleme haben als das Thema Einwanderung. Doch die politische Rhetorik in Bayern spielt immer wieder mit der latenten Angst.

Interview von Martina Scherf

Der Münchner Soziologe Armin Nassehi befasst sich mit dem Wandel und den Konflikten in der pluralistischen Gesellschaft, zuletzt in dem Buch "Die letzte Stunde der Wahrheit. Warum rechts und links keine Alternativen mehr sind und Gesellschaft ganz anders beschrieben werden muss" (Murmann-Verlag). Neben seiner akademischen Tätigkeit ist er auch als Berater tätig.

SZ: Wie erklären Sie sich die hohen Werte in Bayern bei Ausländerfeindlichkeit und Antisemitismus?

Armin Nassehi: Das sind in der Tat erstaunliche Ergebnisse, die sich nicht auf den ersten Blick erschließen. Auch Baden-Württemberg ist ja konservativ-ländlich geprägt. Und in den bayerischen Städten mit ihrem hohen Ausländeranteil gibt es im Vergleich zu anderen Regionen Deutschlands wenige soziale Spannungen. Da bleibt mir nur eine Vermutung: In Bayern sind die Leute an eine starke politische Semantik gewöhnt.

Was meinen Sie damit?

Eine latente Angst vor dem Fremden und Ungewohnten gibt es letztlich überall, die wird es immer geben. Aber als konkrete Angst oder als einfache Erklärung für Unbehagen äußern sich solche Gefühle dort, wo sie kommunikativ verstärkt werden, und das ist in Bayern seit je her Teil der politischen Rhetorik.

Seehofers Satz etwa "Wer betrügt, der fliegt" oder seine Aussage, er werde sich "bis zur letzten Patrone" dagegen wehren, dass "wir eine Zuwanderung in die deutschen Sozialsysteme bekommen"?

Zum Glück meint er die letzte Druckerpatrone, aber im Ernst: Solche Sätze entfachen eine starke Wirkung. Wenn eine solche Rhetorik sich in regelmäßigen Abständen wiederholt und damit normalisiert, wenn sie immer wieder von staatlichen Autoritäten verkündet wird, dann stimmen die Leute ihr auch in einer Befragung leichter zu. Denn, machen wir uns nichts vor: Von Toleranz zu reden, ist leicht, aber die Lebenspraxis der meisten, egal, welcher Partei sie zuneigen, ist konservativer oder "rechter" orientiert als die Rhetorik. Wenn die politische Kommunikation die Folien dafür bietet, dann werden latente Gefühle manifest.

Andererseits sagt die CSU aber: Bei uns funktioniert Integration . . .

Mit Recht! Umso erstaunlicher, dass trotzdem Migration als Problem Nummer eins stilisiert wird. Erst kürzlich wieder beim Zukunftskongress der CSU, an dem ich selbst als Gast teilnahm. Ich würde soziologisch sagen, dass moderne Gesellschaften viel kompliziertere Integrationsprobleme haben - die demografische Entwicklung, soziale Ungleichheit, regionale Ungleichheit -, aber das Thema Einwanderung bietet eben einfache Erklärungsmuster für die Bewältigung von Modernisierungsfolgen an. Ich finde es völlig legitim, darüber nachzudenken, was konservative Politik heute bedeuten kann - doch da scheinen mir die Wähler der CSU manchmal weiter zu sein als die Projektionen derer, die Programme machen müssen.

Die CSU will eben verhindern, dass eine Partei rechts von ihr hochkommt . . .

Das ist auch ihre Aufgabe, nur ob dies das richtige Mittel ist? Darin unterscheidet sie sich übrigens von der Union im Bund. In der CDU hat schon Adenauer damals - trotz einschlägig vorbelasteter Kabinettsmitglieder - braune Sätze öffentlich unmöglich gemacht, und spätestens seit Kohls Europapolitik sind sie tabu. Hingegen hat zum Beispiel ein Sarrazin dann enormen Erfolg, wenn er die öffentliche Sagbarkeit solcher Sätze vorführt.

Und was ist mit dem Antisemitismus? Diesen Vorwurf kann man der CSU ja nicht machen . . .

Natürlich nicht. Antisemitismus findet überall dort eher Zustimmung, wo Menschen mit dem Pluralismus nicht zurecht kommen. Er ist ein konstitutiver Teil der allgemeinen Fremdenangst.

Könnte es auch damit zu tun haben, dass Judenfeindlichkeit heute nicht mehr nur von älteren Deutschen, sondern auch von jungen Muslimen geteilt wird?

Der Antisemitismus ist kein Generationenproblem. Es gibt durchaus einen eingewanderten Antisemitismus, der vor allem ein Antizionismus ist und auf den Nahostkonflikt zurückgeht. Israel ist dort auch ein Symbol des Westens und der USA. Entscheidend ist aber der bürgerliche Antisemitismus: als latente Angst vor dem Anderen, dessen Anderssein nicht richtig sichtbar wird. Gemeinsames Motiv dieser unterschiedlichen Strömungen ist aber ein ungeklärtes Verhältnis zur westlichen liberalen, pluralistischen Lebensform.

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