Süddeutsche Zeitung

Interview am Morgen:"Wir erleben in den Alpen ein Wettrüsten"

Schneesicher sind viele bayerische Skigebiete längst nicht mehr. Im "Interview am Morgen" kritisiert Tobias Hipp vom Deutschen Alpenverein, dass trotzdem noch immer Millionen investiert werden.

Von Isabel Bernstein

Nur jedes zweites Skigebiet in Bayern gilt als schneesicher. Schon jetzt müssen viele Lifte auf Kunstschnee zurückgreifen, nicht nur um einzelne grüne Stellen am Hang auszubessern, sondern um überhaupt eine Schneegrundlage zu schaffen. Die Tendenz wird sich weiter verstärken. Bis Mitte des Jahrhunderts werde der Winter auf 1800 Metern Höhe vier bis sechs Wochen kürzer ausfallen als bisher, sagt Tobias Hipp, der sich beim Deutschen Alpenverein (DAV) unter anderem mit den großen Skigebietserschließungen in Österreich und dem Thema Klimawandel beschäftigt. Die Schneegrenze werde sich um 300 bis 500 Meter nach oben schieben.

SZ: Der DAV hat bereits in einer Studie 2013 gezeigt, dass die meisten Skigebiete in Bayern selbst mit Beschneiung dauerhaft nicht zu retten sind. Trotzdem wird investiert wie selten. Warum?

Tobias Hipp: Wir erleben in den Alpen ein Wettrüsten. Skifahren ist nicht mehr der Boomsport wie in den Achtziger-, Neunzigerjahren. Die Orte müssen um Wintertouristen werben, und das klappt nur mit Schneesicherheit. In Tirol ist dieses Wettrüsten noch stärker, weil dort der Wintersport einen extrem hohen Stellenwert hat und viele Arbeitsplätze dranhängen. In Ischgl zum Beispiel haben sie die Beschneiung so ausgebaut, dass sie nach zwei, drei Tagen fast das komplette Skigebiet öffnen können - auch ohne dass Schnee gefallen ist. In Arlberg und Sölden ist das nicht anders.

Interview am Morgen

Diese Interview-Reihe widmet sich aktuellen Themen und erscheint von Montag bis Freitag spätestens um 7.30 Uhr auf SZ.de. Alle Interviews hier.

Und die kleineren Skigebiete ziehen nach.

Genau. Durch die Beschneiung steigt der Druck auf alle anderen, ihre Skigebiete auch öffnen zu müssen. Wer früher aufmacht, kann Wintersportler besser an sich binden.

In Bayern wurde das Sudelfeld ausgebaut, am Jenner ist eines der größten Seilbahnprojekte im Gange und das Riedberger Horn soll für Wintersportler neu erschlossen werden. Bereitet Ihnen das Sorge?

Das ist eine bedenkliche Entwicklung, vor allem weil für die Schneekanonen Speicherseen angelegt werden, die stark ins Landschaftsbild eingreifen. Die meisten Skigebiete in Bayern liegen extrem niedrig zwischen 700 und 1800 Metern. Das ist genau der Bereich, der vom Klimawandel besonders stark betroffen ist. Prognosen des WSL-Instituts für Schnee- und Lawinenforschung (SLF) gehen davon aus, dass bis Mitte des Jahrhunderts die durchschnittliche Schneemächtigkeit unterhalb von 1800 Metern um 40 bis 60 Prozent zurückgeht.

In manchen Gegenden in Bayern entsteht der Eindruck, dass manche Skipisten aufgegeben, dafür andere wie das Sudelfeld oder das Brauneck stark mit Schneekanonen ausgebaut werden. Wäre es sinnvoll, wenn sich der Wintersport noch stärker auf einzelne Gebiete konzentriert?

In Österreich schließen sich Skigebiete aus Marketinggründen ja bereits zusammen und bauen Verbindungsbahnen, die durch bisher unerschlossene Gebiete gehen. Das sehen wir höchst kritisch. Der Bayerische Alpenplan hat seit 1972 klar definiert, welche Gebiete für Erschließungen tabu sind (Schutzzone C) und welche touristisch erschlossen werden dürfen. Wenn diese Grenzen wie beim Riedberger Horn aufgeweicht werden, könnte dies ein Dammbruch sein für noch mehr Erschließungen im Alpenraum. Die Bewahrung der Bereiche in der Schutzzone C ist eine klare Naturschutzaufgabe des DAV. In einem abstrakten Sinn haben Sie aber Recht: Es ist sinnvoll, wenn sich der Massentourismus dort bewegt, wo schon ausgebaute Infrastruktur vorhanden ist, und wenn unerschlossene Gebiete dafür verschont bleiben.

Gibt es Skigebiete in Bayern, die in den vergangenen Jahren bereits stillgelegt wurden?

Am Taubenstein am Spitzingsee fährt die Bahn nur noch im Sommer, die Schlepplifte werden abgebaut. In anderen mittelgroßen Skigebieten wird diese Entwicklung sicherlich noch in den nächsten Jahren stattfinden. Aber im Sudelfeld, in Garmisch-Partenkirchen, im Allgäu oder am Brauneck wird massiv ausgebaut, um die Wettbewerbsfähigkeit zu halten.

Mal vom Naturschutz abgesehen: Würden Sie in Schneekanonen investieren, wenn Sie Liftbetreiber wären?

Mir fehlt der betriebswirtschaftliche Hintergrund, aber aus privatwirtschaftlicher Sicht glaube ich nicht, dass sich diese Investitionen lohnen. Allerdings gibt es hohe staatliche Subventionen von 15 bis 35 Prozent. Es sind also letztlich Steuergelder, die die Beschneiungsanlagen finanzieren. Das ist wohl der Grund, dass viele Investitionen noch getätigt werden. An der richtigen Stelle kann ja der Bau einer Beschneiungsanlage durchaus sinnvoll sein, solange das ökologisch vertretbar ist und keine Schutzgebiete betrifft. Ich glaube aber, wenn ein Liftbetreiber 100 Prozent Eigenkapital einbringen müsste, würde er es sich in manchen Fällen noch überlegen.

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