Süddeutsche Zeitung

Kritik:Glänzende Auftritte, düstere Aussichten

Der Internationalen Jazzwoche Burghausen fehlen in der 52. Ausgabe Expertise und Klangvielfalt. Das renommierte Festival steckt in einem Dilemma.

Von Oliver Hochkeppel, Burghausen

Seine 52. Ausgabe hat die Internationale Jazzwoche Burghausen seit dem vergangenen Sonntag hinter sich, was sie zum ältesten kontinuierlichen Jazzfestival der ersten Kategorie in Europa macht. Wovon auch die Bronzetafeln des "Walk of Fame" zeugen, auf denen - ähnlich dem Sunset Strip in Hollywood - die größten Stars verewigt sind, die hier gespielt haben.

Gleichzeitig verweisen sie auf das Dilemma der Jazzwoche: Fast alle, die dort stehen, sind tot, neue Stars, die ein Festival alleine durch ihren Namen tragen, gibt es kaum mehr. Was an den Mechanismen des Musikmarktes liegt, nicht daran, dass es keine grandiosen Musiker mehr gäbe. Das führt zuverlässig der Europäische Burghauser Nachwuchspreis vor Augen, mit dem das Festival schon zum 13. Mal im Stadtsaal startete.

Auch heuer war der wieder Wochen vorher ausverkaufte Wettstreit von fünf jungen Bands - diesmal aus mehr als 60 Bewerbern aus ganz Europa ausgesucht - ein verlässlicher Höhepunkt. Dass das Münchner Nils Kugelmann Trio gegen zwei italienische Bands - darunter der exzellente Vibrafonist Michele Sanelli, der mit einem erfrischenden Progrock-Jazzprojekt Zweiter wurde -, das Fenix-Quartett der niederländischen Sängerin Kika Sprangers und das drittplatzierte polnische Jarecki Jazz Octet am Ende die Nase vorne hatte, hat nichts mit Lokalpatriotismus zu tun. Hier präsentierte sich ein Bassist, der wie wenige sein sonst meist als Begleitung dienendes Instrument in einen gleichberechtigten Rang erhebt. Indem er jeden einzelnen Ton noch im höchsten Tempo definiert erklingen lässt und damit komplexe, weit für Improvisation offene Kompositionen unwiderstehlich und eingängig macht.

Woran auch Schlagzeuger Sebastian Wolfgruber gehörigen Anteil hatte, der mit dem Leo Betzl Trio LBT hier schon einmal gewonnen hatte und damit der erste Doppelsieger des Wettbewerbs ist. Und natürlich Gitarrist Philipp Schiepek mit seinem an der Klassik geschulten und selbst noch an der Stratocaster unfassbar lyrischen Ton. Noch zwei Tage vorher hatte Schiepek von diesem Erfolg noch nicht träumen können, war er doch für den erkrankten, nicht minder talentierten Pianisten Luca Zambito eingesprungen. So stand der Sieg dieses Trios auch für die Fülle an grandiosen jungen Jazzern, die das Jazzinstitut der Münchner Musikhochschule kontinuierlich hervorbringt. Dass in vielen anderen deutschen und europäischen Städten das Gleiche passiert, könnte und sollte ein Jazzfestival unbedingt abbilden. Doch dazu später.

Wie schon in den vergangenen Jahren hatte es der Eröffnungs-Act schwer, gegen die Gewinnerband zu bestehen. Diesmal war es der Gitarrenveteran Lee Ritenour, dessen gut abgehangener West-Coast-Smooth-Jazz trotz aller lässigen Virtuosität im Vergleich harmlos und altbacken wirkte. Was am folgenden Tag auch ein bisschen für den altgedienten Schweizer Bassisten Heiri Känzig galt, der bei seinem weltmusikalischen Travelin'-Sextett gefühlt erst ganz am Schluss die Handbremse löste. Was umso mehr auffiel, weil danach nicht nur optisch das Glanzlicht des Festival folgte.

Die New Yorker Altsaxofonisten Lakecia Benjamin unterstrich, warum sie derzeit in aller Munde (und unter anderem auch für den Deutschen Jazzpreis nominiert) ist. Nach Jahren der Orientierung und einem schweren Unfall hat sie ganz offensichtlich ihren Weg gefunden. Aus demonstrativem Überwältigungsjazz, wie sie ihn an gleicher Stelle 2017 vorführte, ist nun konventionsloses echtes Musizieren getreten, was sie außer mit eigenen Songs unter anderem mit einer einer famosen Balladen-Version von "Amazing Grace" und einer sowohl die Standard-Vorlage wie die Coltrane-Adaption verdichtenden und erweiternden Version von "My Favorite Things" bewies.

Danach freilich war es mit dem Jazz erst einmal vorbei. Das französische Septett Supergombo brachte die Wackerhalle zwar zum Tanzen, wäre aber musikalisch beim Afrika-Festival in Würzburg oder der Kleinkunstbörse in Freiburg besser aufgehoben. Und der mit obszön viel Geld zu seinem einzigen Europa-Auftritt überredete Lapsteel-Virtuose Robert Randolph konnte mit seinem Funk-Blues absolut überzeugen - war aber quasi eine Erweiterung des traditionellen Blues-Nachmittags am Samstag, bei dem mit den Bands der Southern-Style-Sängerin Trudy Lynn und dem Chicago-Blueser Toronzo Cannon zwei ebenfalls überzeugende, aber puristische Vertreter ihres Genres zu Gast waren. Die finnische Sängerin Ina Forsman wiederum lieferte lupenreinen Soul-Pop ab, bis beim Wackerhallen-Finale beim "Trumpet Summit" mit Jon Faddis, James Morrison, Thomas Gansch und Gileno Santana zwar wieder dem Jazz, aber mit einem Repertoire von "Take The A-Train" bis "Caravan" doch überraschungsfrei der Tradition gehuldigt wurde.

Auch die Samstagskonzerte im Stadtsaal konnten diesmal die Fahne der aktuellen Jazz-Entwicklung nicht hochhalten: Weil New-London-Scene-Tubist Theon Cross wegen des Verkehrsstreiks gar nicht erst anreiste. Aber auch, weil man mit Jaga Jazzist ausgerechnet aus dem Innovations-Vorreiterland Norwegen eine Band gebucht hatte, die seit 30 Jahren dasselbe macht. Schließlich hatte auch der finale "Next in Jazz"-Sonntag keines der zahllosen nächsten großen Dinge anzubieten. So schlug das Herz der Jazzwoche mehr denn je bei den Sessions im Jazzkeller.

Ohne eine dieser ermüdenden Begriffsdiskussionen anzetteln zu wollen: Gerade weil der Jazz mittlerweile alle Genre- und Stilgrenzen niedergerissen hat, wären ausreichend Musiker verfügbar, die alle möglichen Klangwelten im Jazz-Spirit verarbeiten. Diese einem Publikum zu vermitteln, das dazu immer schwerer Zugang findet, ist die vorrangige Aufgabe eines modernen Jazzfestivals.

Was der Jazzwoche und insbesondere der veranstaltenden IG Jazz dafür fehlt, ist Expertise. Mit Joe Viera hatte das Festival jahrzehntelang einen kompetenten künstlerischen Leiter, bis er, dann schon weit über 80, langsam aus der Zeit fiel. So einen braucht die Jazzwoche wieder, sonst wird sie zwar vielleicht nach wie vor stolze Besucherzahlen generieren, aber in der Szene weiter an Bedeutung verlieren.

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