Innere Sicherheit:Bayern wird vollverschleiert

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500 Polizisten zusätzlich für die Schleierfahndung: Die Staatsregierung zieht die Konsequenzen aus den Grenzkontrollen beim G-7-Gipfel. Die Polizeigewerkschaft warnt vor Schnellschüssen, die Grünen sehen darin "antieuropäischen Populismus"

Von Jonas Schöll, München

Im Kampf gegen Schleuser, Einbrecher und Drogenhändler verschärft Bayern den Druck. 500 Polizisten sollen von Juli an die Schleierfahndung im Freistaat verstärken, kündigte Innenminister Joachim Herrmann (CSU) am Dienstag im Landtag an. Entlang der bayerisch-österreichischen Grenze sollen 100 Bereitschaftspolizisten die Schleierfahnder unterstützen; im Landesinneren will Herrmann 400 Beamte aus Einsatzzügen und zivilen Ermittlungsgruppen abordnen. Kritiker halten die willkürlichen Kontrollen für einen Übergriff des Staates. Die Polizeigewerkschaft warnt vor Schnellschüssen und verlangt Entlastung an anderer Stelle.

Die Regierung begründet die Pläne mit der großen Zahl der Aufgriffe bei den vorübergehend wieder eingeführten Grenzkontrollen während des G-7-Gipfels in Elmau. Dort hatte die Bundespolizei 350 gesuchte Personen gefasst, 8600 Verstöße gegen das Aufenthaltsgesetz festgestellt und 430 Personen die Einreise verweigert.

Das entfachte im Freistaat eine Debatte über schärfere Kontrollen. Finanzministers Markus Söder (CSU) forderte, in Bayern die Schlagbäume wieder herunterzulassen und eine "Schengen-Auszeit" zu nehmen. Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) wies Söder in die Schranken. "Ich möchte keine Lösungsansätze vertreten, die schwierig und nicht zu realisieren sind", sagte Seehofer. Statt auf Schlagbäume setzt Bayern nun also auf mehr Schleierfahndung. Diese Form der Fahndung ermöglicht es, in einer maximalen Entfernung von 30 Kilometern zur Grenze verdachtsunabhängig Menschen zu kontrollieren. Das Konzept will Herrmann auch bei der Innenministerkonferenz an diesem Mittwoch und Donnerstag in Mainz vorstellen. Nach drei bis vier Monaten will er eine Zwischenbilanz ziehen. Das Geld für neue Polizisten will der Minister von seinem Kabinettskollegen Söder bei den Verhandlungen über den Nachtragshaushalt 2016 einfordern. Söder hatte vergangene Woche wegen der hohen Zahl der Asylbewerber bereits neue Stellen für die Polizei in Aussicht gestellt.

Alltag auf der Autobahn: Eine Bundespolizistin überprüft bei Rosenheim ein Fahrzeug. Die Kontrollen sollen in Zukunft noch verstärkt werden. (Foto: Claus Schunk)

"Es ist ja nicht nur ein bayerisches Problem, sondern es besteht überall in Deutschland", sagte Herrmann. Deswegen sollten auch andere Bundesländer auf mehr Kontrollen setzen. Der Bund müsse sich für eine bessere Sicherung der EU-Außengrenzen einsetzen. "Aber solange dies nicht gewährleistet ist, müssen wir umso mehr in Bayern die Schleierfahndung verstärken." Besonderes Augenmerk legt die Regierung dabei auf den Süden Bayerns. "Die Polizeipräsidien Niederbayern und Oberbayern Süd können täglich auf bis zu hundert zusätzliche Beamte der Bereitschaftspolizei zurückgreifen", sagte Herrmann. "Gemischte Streifen" sollen aus Schleierfahndern und Bereitschaftspolizisten bestehen.

Neben der personellen soll es auch eine technische Aufrüstung geben. "Beispielsweise bekommen unsere Fahndungsexperten rund 150 Wärmebildkameras und Nachtsichtgeräte, die wir zum G-7-Gipfel beschafft haben." Das helfe den Kräften bei der Überwachung von Schleusungsrouten und der Fahndung nach Schleusern, die Flüchtlinge in der Dunkelheit über die Grenze bringen.

Bereits jetzt können die Fahnder der Bayerischen Polizei auf 400 Tablet-PCs zurückgreifen, die 2013 für rund 1,8 Millionen Euro angeschafft wurden. Damit haben die Beamten während der Fahrt Zugriff auf Fahndungssysteme und mobile Fingerabdruckvergleiche parat. Zudem verfügen Schleierfahnder über moderne Drogen- und Alkoholtester sowie spezielle Geräte, um Dokumente zu prüfen. Auch Anlagen zur automatischen Erkennung von Autokennzeichen setzen die Beamten ein. "Sie liefern wertvolle Fahndungsansätze. Deshalb wollen wir zusätzliche Anlagen beschaffen", sagte Herrmann.

Die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) begrüßte zwar die von Innenminister Herrmann angekündigte personelle Verstärkung. Wegen der nach wie vor angespannten Personalsituation bei der Bayerischen Polizei sieht der Landesvorsitzende Hermann Benker in einer kurzfristigen Aufstockung der Schleierfahndung jedoch keine Lösung. Mit Personalverschiebungen bei Bereitschaftspolizei und Einzeldienst würden zwar kurzfristig Löcher gestopft, gleichzeitig aber viele neue aufgerissen. Benker forderte für eine echte Verstärkung der Schleierfahndung ein dauerhaftes Konzept und keine Schnellschüsse: "Bayerns Polizei kann diese zusätzliche Arbeit jedoch nur bewältigen, wenn gleichzeitig andere Polizeiaufgaben, bei anderen Kriminalitätsschwerpunkten und der Einsatz bei Großveranstaltungen, wie Sportveranstaltungen und Volksfesten, spürbar zurückgefahren werden."

Kritiker sehen in der Schleierfahndung einen unzulässigen Übergriff des Staates. Die Abgeordnete und stellvertretende Vorsitzende der Grünen-Fraktion im Landtag, Katharine Schulze, beschrieb die Pläne als "antieuropäischen Populismus". Dass Herrmann die Schleierfahndung aufstocken wolle, halten die Grünen für "nicht zielführend". Die CSU schüre damit Angst und Panik unter den Menschen und zeichne ein Bild von "Sodom und Gomorra". Deswegen hat Schulze einen schriftliche Anfrage an die Staatsregierung gestellt, um welche Straftaten es bei den mehr als 8600 Verstößen gegen das Aufenthaltsgesetz überhaupt gehe.

© SZ vom 24.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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