Inklusion im Beruf:Wie der Traumjob trotz Handicap wahr wird

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Eigentlich waren die Berufsaussichten von Bernd Schwarz schon in der Schule festgelegt. Er hätte wohl in einer Behindertenwerkstatt gearbeitet. Doch ein Projekt will Menschen mit Einschränkungen mehr bieten.

Von Anna Günther

Schrauben, Muttern und Nieten, 33 000 Stück, reihen sich Kästchen an Kästchen auf 7000 Regalmetern aneinander. Das ist nur der Teil, den der Nürnberger Großhandel Jura-Schrauben auf Lager hat. Das Sortiment umfasst 180 000 Artikel. Bei den meisten Laien und Gelegenheitsheimwerkern hört es kurz nach Kreuz- und Schlitzschraube auf, Holz, Beton, Stahl? Größe, Dicke, Material?

"Das ist doch ganz einfach, die neun-zwölf-A-zwei zum Beispiel sieht so aus", sagt Bernd Schwarz, nimmt Block und Stift und malt einen Schraubenkopf auf. Quadratisch ist die neun-zwölf also und silberfarben. "Aus Edelstahl, das ist nur leicht magnetisch", sagt Schwarz und schaut den Besuch erwartungsvoll an. Noch Fragen?

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Bernd Schwarz, 26, gehört zu den jungen Männern und Frauen in Bayern, deren Jobaussichten eigentlich schon in der Schule festgelegt sind. Nach der Förderschule mit Schwerpunkt geistige Entwicklung finden die meisten von ihnen einen Job in einer Behindertenwerkstatt.

Eine Perspektive auf dem freien Arbeitsmarkt haben Schüler wie Schwarz erst seit gut zehn Jahren. Die damalige Sozialministerin Christa Stewens initiierte 2007 gemeinsam mit dem Kultusministerium und der Agentur für Arbeit das Projekt "Übergang Förderschule - Beruf". Mehr als 1000 Jugendliche haben bisher daran teilgenommen, fast die Hälfte arbeitet mittlerweile in der freien Wirtschaft.

Lehrer und Berater der Integrationsfachdienste (IFD) bereiten besonders pfiffige Jugendliche schon in der Schule auf die Arbeitswelt vor: Sie lernen Berufe kennen, absolvieren Praktika und üben Verhaltensweisen ein, etwa was zu tun ist, wenn ein Missgeschick passiert, oder wie sie Fremde ansprechen. Die IFD-Berater begleiten die Jugendlichen bei der Jobsuche, telefonieren Firmen nach Praktikumsplätzen ab und versuchen, wenn es ihren Schützlingen dort gefällt, daraus Dauerlösungen zu machen. Eng bleibt der Kontakt auch, wenn die Jugendlichen arbeiten.

Für Arbeitnehmer mit Handicap sei das Wohlfühlklima wichtiger, als für alle anderen, sagt Schwarz' Betreuerin Ute Nitzsche vom IFD Mittelfranken. Es dauert, bis die Jugendlichen den richtigen Arbeitsplatz finden. Auch Schwarz musste herumprobieren. Er machte ein Praktikum als Hilfshausmeister und arbeitete bei einer Firma, die Zäune baut. Den Kollegen dort fehlten Zugang und Geduld, Schwarz fühlte sich nicht wohl.

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"Einmal ist etwas schiefgegangen, eine Maschine hat eine Stange verbogen und ich wurde angebrüllt. Da wollte ich nicht mehr hin", sagt er leise, schaut auf seine Hände, zieht den Pulli straff. Seine Betreuerin telefonierte wieder Firmen ab. Schwarz probierte es beim kleinen Schraubengroßhändler in der Nähe des IFD. "Am zweiten Tag habe ich gemerkt, dass es das ist. Die sind alle nett, da passe ich super hin", sagt er und grinst.

Als sie den jungen Mann damals kennenlernte, habe er wenig gesprochen, sagt IFD-Beraterin Nitzsche, so schüchtern sei er gewesen. Schon nach wenigen Wochen Praktikum blühte Schwarz auf, erzählte von Kollegen und Aufgaben. Auch die Chefs waren zufrieden, nur gab es keine Stelle für Schwarz. Ute Nitzsche ließ nicht locker. Kurz darauf verließ ein Lehrling die Firma, Schwarz bekam seine Chance. Fünf Jahre später sitzt er scherzend im Konferenzraum von Jura-Schrauben.

Eigentlich sollte Schwarz Ware verpacken, mittlerweile flitzt er im Lager zwischen den Regalen umher, sucht Bestellungen zusammen, verpackt, verschickt. "Jetzt hast du sogar oft das Telefon...", sagt Kollege Konstantin Claussen, 27, kumpelhaft und irgendwie stolz. Geben Kunden ausnahmsweise persönlich die Bestellung auf, sammelt Schwarz sofort hinten im Lager die Ware zusammen.

Dass er sich bei Jura-Schrauben so wohlfühlt, hat auch mit Claussen zu tun. Beide haben gleichzeitig begonnen, verstehen sich prächtig - und Claussens Schwester hat das Down-Syndrom. Er kümmere sich um Schwarz, sei noch geduldiger und gelassener als die anderen Kollegen, sagt Jura-Geschäftsführer Peter Leikauf. Auch deshalb ruft IFD-Beraterin Nitzsche immer wieder dort an.

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Neun Monate lang suchte Claussen, der als IT-Beauftragter arbeitet, für eine andere Klientin Nitzsches nach der perfekten Aufgabe; mittlerweile kümmert die junge Frau sich um Ablage und Rechnungsprüfung, ist akribisch und glücklich. Zufrieden ist auch Claussen, eigentlich hätte er selbst die Rechnungen prüfen müssen. "Ich hab's gehasst", sagt er und grinst. Bernd Schwarz und seine Kollegin übernehmen Routineaufgaben und entlasten damit das Team. "Eine Win-Win-Situation", sagt Geschäftsführer Leikauf. Von 26 Mitarbeitern bei Jura-Schrauben haben acht eine Behinderung oder galten als schwer vermittelbar.

Chancen zu geben, ist für Leikauf und seinen Geschäftspartner Harald Gebhardt selbstverständlich: "Überall, wo Menschen arbeiten, wird gemenschelt", sagt Leikauf. Die Kollegen seien vielleicht langsamer, brächten aber früher oder später Top-Leistung - und es gebe finanziellen Ausgleich. Der Staat zahlt Zuschüsse für die Eingliederung der Mitarbeiter, übernimmt bei manchen Arbeitnehmern mit Handicap einen kleinen Teil des Gehalts, wenn diese sehr langsam sind oder intensiv betreut werden müssen, und beteiligt sich, wenn ein barrierefreier Arbeitsplatz eingerichtet werden muss.

Allein auf die soziale Ader von Unternehmern können Staatsregierung und Arbeitsagentur nicht setzen. Insgesamt zehn Millionen Euro haben Kultus- und Sozialministerium in den vergangenen zehn Jahren in das Projekt investiert, die Regionaldirektion Bayern der Bundesagentur für Arbeit zahlte zwölf Millionen Euro. Zwar sind Firmen mit mehr als 20 Mitarbeitern verpflichtet, auch Menschen mit Handicap einzustellen. Doch noch zögern viele Unternehmen, räumt Sozialstaatssekretär Johannes Hintersberger ein.

Vom ersten Gehalt erfüllte Schwarz sich zwei große Wünsche

Manche zahlen lieber einen finanziellen Ausgleich. Er setzt auf Positivbeispiele und hofft, dass Firmeninhaber mit guten Erfahrungen andere Unternehmer überzeugen. Rat gibt es beim Integrationsamt oder den IFD der Regierungsbezirke. Hintersberger sieht es als "gesellschaftliche Verantwortung, alle Talente zu heben und zu fördern". Jeder müsse sich entwickeln können, "und man sieht, wie diese Menschen im Job aufblühen". Aber auch Firmen profitierten von Kollegen mit Behinderung, das müssten Unternehmer nur erkennen.

Ihre Klienten seien extrem loyal und bleiben dort, wo sie sich wohlfühlen, bestätigt Ute Nitzsche. Das ergab auch die Studie der Julius-Maximilians-Universität Würzburg, die das Projekt wissenschaftlich begleitet. 83 Prozent der Projektteilnehmer bleiben demnach im Job, und dieser wirke sich positiv auf Selbstbewusstsein und Entwicklung der jungen Leute aus. Im Kultusministerium sieht man die Chance der Förderschüler auf mehr Unabhängigkeit und Selbständigkeit.

260 Jugendliche mit geistiger Behinderung können jedes Jahr am Projekt teilnehmen. Trotzdem ist der "Übergang Förderschule Beruf" noch keine Dauerlösung. Das Projekt läuft derzeit bis 2021, Sozialstaatssekretär Hintersberger spricht von Planungssicherheit bis 2024. Weitergehen soll es auch danach, wie genau, darauf will er sich aber noch nicht festlegen.

Fragt man Bernd Schwarz nach seinen Zielen, winkt er ab. Er ist zufrieden, der Job passt, er wohnt bei seinem Vater. Vom ersten Gehalt erfüllte er sich zwei große Wünsche. Schwarz zögert kurz, blickt zu Claussen. "Zeig doch...", sagt der. Schwarz krempelt die Ärmel seines Firmen-Pullis hoch. Ein schwarzer Scorpion prangt auf seinem rechten Unterarm, "ewige Freundschaft" in chinesischen Schriftzeichen auf dem linken. "Das neueste kann ich hier aber nicht zeigen", sagt Schwarz und grinst. Das Motiv verrät er dann doch: ein Gorilla, der Zigarre raucht. "Die Gorillas finde ich einfach am besten", sagt er.

© SZ vom 24.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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