Süddeutsche Zeitung

Initiative:Lehrerverband warnt vor sprachlicher Verrohung der Schüler

  • BLLV-Präsidentin Simone Fleischmann hatte das Manifest "Haltung zählt" im Sommer initiiert.
  • Mit dem Manifest will der Lehrerverband auf die zunehmende Verrohung der Sprache und des Miteinanders in der Gesellschaft aufmerksam machen.
  • So soll psychischer und körperlicher Gewalt in der Schule vorgebeugt werden.

Von Anna Günther

Gibt es zu viele Flüchtlinge in Bayern? Oder zu wenige? Diese Fragen stellte ein Mädchen in einer sechsten Klasse, die Barbara Stamm kürzlich besuchte. Die Landtagspräsidentin gab die Fragen an die anderen Schüler weiter. Deren Antworten beschäftigen sie noch immer: "90 Prozent dieser Kinder sagten, dass es zu viele Flüchtlinge sind - sogar Schüler mit Migrationshintergrund", sagt Stamm. Für sie ist diese Begegnung ein Beweis dafür, wie stark Kinder sich von dem beeinflussen lassen, was daheim deren Eltern denken und besprechen.

Um gegen fremdenfeindliche Äußerungen wie diese in den Schulen und im Alltag Position zu beziehen, kam Stamm am Dienstag mit acht Vertretern aus Politik und Gesellschaft zum Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverband (BLLV). Präsidentin Simone Fleischmann hatte das Manifest "Haltung zählt" im Sommer initiiert und stellte nun neun von 58 Erstunterzeichnern vor, darunter SPD-Fraktionsvorsitzender Markus Rinderspacher und Grünen-Chefin Margarete Bause.

Mit dem Manifest will der Lehrerverband auf die zunehmende Verrohung der Sprache und des Miteinanders in der Gesellschaft aufmerksam machen. Fleischmann sieht es als "Anstupser". Damit will sie deutlich machen, wie man sich in dieser Zeit von Pegida-Märschen, offener Fremdenfeindlichkeit und rechtspopulistischen Wahlsiegern in den Nachbarländern richtig verhält. "Hass, Aggressionen und Angst wirken sich direkt auf Kinder aus und sind die Vorstufe zu physischer Gewalt", mahnte Fleischmann. Sie fürchtet, wie viele Lehrer und Politiker in Bayern, dass Neiddebatten ausbrechen, die Stimmung im Land kippt und sich offen gegen Flüchtlinge richtet.

Sie rief alle Lehrer auf, in den Klassenzimmern für demokratische Werte sowie Toleranz einzustehen und über die Kinder deren Eltern zu erreichen. Aber der Appell beschränke sich nicht auf Schulen, sagte Fleischmann. Sogar im Landtag habe sie sich manchmal gedacht, dass man so nicht reden dürfe. In vielen Ländern gerate die Demokratie unter Druck und "wir müssen nicht glauben, dass das bei uns nicht passieren kann", mahnte auch Max Schmidt, der Vorsitzende des Wertebündnis Bayern.

Die Unterzeichner des Manifests verpflichten sich, aktiv Stellung gegen Fremdenfeindlichkeit und Ignoranz zu beziehen. Nicht dabei zu sein, sagt auch etwas aus. Entsprechend lesen sich die ersten 58 Unterstützer wie das Who is who aus bayerischer Politik, Bildung, Kirchen und Kultur. Dass es ihnen wirklich ernst ist, zeigten die persönlichen Erlebnisse: Markus Rinderspacher berichtete von Farbbeutel-Anschlägen und der Schmiererei "Volksverräter" an seinem Bürgerbüro in Ramersdorf, einem Viertel im Osten Münchens, in dem Straßenzüge mit alten Einfamilienhäusern an Blöcke mit geförderten Wohnungen grenzen.

Schülern Toleranz und Verständis mitgeben

In sozialen Netzwerken sei die Hemmschwelle noch niedriger, sagte Grünen-Fraktionschefin Bause. Besonders Frauen würden dort noch ungehemmter angefeindet als Männer und müssten mit sexistischen Gewaltfantasien fertig werden. Ihr seien sogar Massenvergewaltigungen an den Hals gewünscht worden, sagte Bause - und immer mehr Kommentatoren nutzten ihre echten Namen, denn sie wissen, dass viele Aussagen keine juristischen Folgen haben. Dagegen helfe nur öffentliches Bloßstellen, findet Bause.

Aber auch dabei sei Vorsicht geboten, sagte Klaus Dauderstädt, der Chef des Deutschen Beamtenbundes, und berichtete von einem Beitrag der "Heute Show" im ZDF zum Wahlkampf in den USA. Das Team überspitzte den unterirdischen Umgangston der amerikanischen Politiker. Für Dauderstädt war trotzdem eine Grenze überschritten. Satire sei das eine, sagte er, aber viele Menschen verstünden das nicht. "Solch ein Schmutz hat im öffentlich-rechtlichen Fernsehen nichts zu suchen."

Bei der Selbstverpflichtung Einzelner soll es nicht bleiben. Simone Fleischmann plant in den kommenden zwei Jahren auch konkrete Maßnahmen wie etwa eine Kampagne zum Manifest und Fortbildungen für Lehrer, in denen diese lernen, gegen Mobbing, Fremdenfeindlichkeit oder Hass anzugehen und stattdessen alle Schüler in der eigenen Klasse zu Toleranz und Verständnis anzuhalten.

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SZ vom 30.11.2016/vewo
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