Zeitgeschichte:Ingolstadt ringt um Umgang mit NS-belastetem Verleger Reissmüller

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Im Ingolstädter Rathaus gibt es Diskussionen über die NS-Verstrickungen des Verlegers und Ehrenbürgers Wilhelm Reissmüller. (Foto: Armin Weigel/dpa)

Ursprünglich wollte der Stadtrat erst in ein paar Jahren Konsequenzen aus der NS-Verstrickung des früheren „Donaukurier“-Herausgebers ziehen. Neue Enthüllungen erhöhen den Druck.

Von Thomas Balbierer, Ingolstadt

Er galt einst als mächtigster Mann Ingolstadts, inzwischen fordern immer mehr Stadtpolitiker eine klare Distanzierung von Wilhelm Reissmüller. Nach den Linken wollen nun auch die Grünen den weiteren Umgang mit dem langjährigen Donaukurier-Herausgeber und Ehrenbürger zum Thema im Stadtrat machen.

Wie im Herbst durch Recherchen des Journalisten Thomas Schuler bekannt wurde, war der Verlagschef als junger Mann nicht nur Mitglied im NS-Studentenbund, der SA und der SS. Reissmüller war auch jahrelang Chef des Ingolstädter Donauboten, einem üblen Nazi-Propagandablatt. Nach 1945 war es ihm durch ein einflussreiches Netzwerk gelungen, seine NS-Verstrickungen zu vertuschen. So kann man es im neuen Band der Buchreihe „Täter, Helfer, Trittbrettfahrer“ nachlesen.

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Als Verleger der einzigen lokalen Tageszeitung stieg Reissmüller im Ingolstadt der Nachkriegszeit zum Strippenzieher auf. 1976 ernannte ihn der Stadtrat zum Ehrenbürger. Er starb 1993. Eine nach ihm benannte Stiftung fördert noch heute Bildungsprojekte zwischen Ingolstadt und der italienischen Partnerstadt Carrara.

Weil längst geahnt wurde, dass Reissmüllers Biografie dunkle Schatten hat, beauftragte der Stadtrat im Jahr 2022 das Münchner Institut für Zeitgeschichte (IfZ) mit einer umfangreichen Untersuchung. Darin soll nicht nur die NS-Vergangenheit Reissmüllers beleuchtet werden, sondern auch andere prägende Persönlichkeiten Ingolstadts. Doch die Forschung hat noch gar nicht angefangen, das Ergebnis soll in etwa drei Jahren vorliegen. Erst dann, so hatte es der Stadtrat beschlossen, soll über Konsequenzen entschieden werden. Diesen Weg hatte Oberbürgermeister Christian Scharpf (SPD) vor wenigen Wochen bekräftigt.

Mit den neuen Erkenntnissen mehren sich im Stadtrat jedoch die Forderungen nach einer Debatte. Zuerst hatte die Linke einen Antrag für die Sitzung im Dezember veröffentlicht, in der sie eine symbolische Aberkennung der Ehrenbürgerschaft Reissmüllers fordert. Nun haben auch die Grünen einen Entwurf vorgelegt. „Es liegen genug Fakten auf dem Tisch“, sagt die Fraktionsvorsitzende Barbara Leininger. „Wir sollten nicht erst in drei Jahren über dieses Thema sprechen.“ Leininger will nicht nur die Ehrenbürgerwürde in den Blick nehmen, sondern auch die Stiftung sowie von Reissmüller gestiftete Preise.

Sie hofft auf einen Gemeinschaftsantrag, „der von möglichst vielen Fraktionen und Gruppen im Stadtrat getragen wird“. Entscheidungen müssten ohne parteipolitischen Zank getroffen werden. Deshalb hat sie einen Entwurf an alle Fraktionen außer die AfD geschickt, um einen Konsens zu finden – mit gemischten Reaktionen.

Auf SZ-Anfrage äußert sich SPD-Fraktionschef Christian De Lapuente offen für ein gemeinsames Vorgehen, während etwa die Freien Wähler den Antrag nicht unterstützen werden, wie FW-Chef Hans Stachel mitteilt. Auch der Vorsitzende der größten Fraktion CSU, Franz Wöhrl, lehnt den Vorstoß ab. Er will am ursprünglichen Vorgehen festhalten und die IfZ-Untersuchung abwarten. „Es pressiert ja nicht.“

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