Ingolstadt:Mit der Seilbahn über die Stadt - was dafür und dagegen spricht

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  • Für Seilbahnen als Teil des öffentlichen Personennahverkehrs gibt es durchaus Argumente: Sie sind leise, emissionsarm, sicher - und vergleichsweise günstig im Bau.
  • In vielen bayerischen Städten wurde bereits über Seilbahn-Konzepte nachgedacht, umgesetzt wurde noch keines. Auch in Ingolstadt wird seit Wochen daüber diskutiert, bislang ohne Ergebnis.
  • Außerhalb Bayerns und im Ausland ist das Konzept längst angekommen, in Koblenz, La Paz, New York oder Zürich.

Von Maximilian Gerl und Johann Osel

Witz mit einem Wort? In Ingolstadt kann es in diesen Wochen durchaus passieren, dass man danach gefragt wird - und die Antwort prompt mitgeliefert bekommt, unter Gelächter oder zumindest mit einem Grinsen: "Seilbahn". Denn Studenten haben im Februar ein Seilbahn-Konzept für Ingolstadt präsentiert. Eine sechs Kilometer lange Trasse vom Süden über die Donau bis zu Audi im Norden, 2500 Menschen pro Stunde. Die SPD nennt das "revolutionär" und lässt nicht unerwähnt, die Idee auch schon mal gehabt zu haben.

Eine typische Gemengelage: einerseits die Hoffnung, einen Königsweg für die Probleme einer notorisch mit Autos verstopften Stadt zu finden und dazu noch Pionier zu sein (was Ingolstadt auch notorisch gern sein mag); andererseits die Befürchtung, dass am Ende eh nichts daraus wird, dass die Luftbahn zum Luftschloss wird - wie in so vielen Städten im Freistaat bereits der Fall. Seilbahnträume gibt es immer wieder. Hoch hinaus und schnell wieder auf dem Boden der Tatsachen.

Dabei gibt es für Seilbahnen als Teil des öffentlichen Personennahverkehrs durchaus Argumente. Zum Beispiel sind sie leise, emissionsarm und sicher. Und günstig im Bau, verglichen jedenfalls mit S- oder U-Bahn. Der Münchner Verkehrsplaner Thomas Kantke findet, am ehesten ließen sich Seilbahnen mit Straßenbahnen vergleichen. "Von der Kapazität her sind im Durchschnitt beide gleich und von den Kosten auch." Er zieht ein Bild aus dem Schach heran. "Die Straßenbahn entspricht dem Läufer, die Seilbahn dem Springer." Im Schach gebe es etliche Fälle, in denen der Läufer stärker sei - und umgekehrt. "Genauso ist es zwischen Straßenbahn und Seilbahn."

Was wo wie funktioniert, ist eine Frage der Abwägung. Bisher blieb in Bayern alles eine Idee. Dabei ist der Freistaat ein Seilbahnland: Zumindest, solange sie Touristen auf Berge und Skipisten bringen. Außerhalb Bayerns ist der Wunsch, durch die Stadt zu schweben, längst konkreter geworden. In Koblenz etwa sollte die Seilbahn nach einer Bundesgartenschau abgebaut werden, doch inzwischen fährt sie bis mindestens 2026 weiter. Ähnlich in Berlin-Marzahn.

Die Seilbahn dort wird bald eröffnet, sie ist als Attraktion für eine Gartenschau gedacht, wird aber womöglich doch Teil des Nahverkehrs. Demnächst entscheidet Wuppertal über eine Seilbahn. Und im Ausland ist das Konzept ohnehin längst angekommen, in La Paz, New York oder Zürich. Der österreichische Seilbahnhersteller Doppelmayr hat eine Werbebroschüre aufgesetzt und stehe, so hört man, jederzeit bereit für interessierte Kommunen.

Das größte Problem der Seilbahnen? Mangelnde Akzeptanz

Allerdings haben Seilbahnen auch ihre Nachteile. Auf langen Strecken sind S- oder U-Bahnen im Vorteil, auf kurzen oder bei wenigen Passagieren Busse. Zudem fehlen Seilbahnen im Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz, können im urbanen Raum nicht gefördert werden. Vor allem aber haben Seilbahnen Akzeptanzprobleme. Thomas Kantke hat ein Konzept für den Münchner Osten entworfen, die Pläne stellte er erstmals 2014 vor. Seitdem arbeitet er daran, dass aus ihnen Wirklichkeit wird. "Mit einem Anwohner musste ich stundenlang diskutieren", sagt er. "Erst nachdem ich ihm mathematisch nachgewiesen habe, dass die Sonne mit einem Winkeldurchmesser von 0,5 Grad durch die Fachwerkstütze hindurchscheint und sein Haus nicht verschattet wird, gab er grünes Licht."

Im jüngsten Konzept schweben die Gondeln nun 50 Meter über dem Boden - damit die Leute nicht das Gefühl haben, ihnen glotze ständig jemand in den Garten. "Da alle Kabinen geschlossen und klimatisiert sind, war auch das Thema Bierflaschenabwurf durch besoffene Fahrgäste schnell ad acta gelegt." Wie er die Chancen einschätze, dass seine Bahn irgendwann Realität werde? "Das klingt vielleicht arrogant, aber bei einer rationalen Verkehrspolitik würde ich sagen: 80 Prozent." Für realistisch hält Kantke: "50, 50."

Der Traum, in die Luft zu gehen, hat wohl auch eine psychologische Komponente. Seilbahnen seien ungewöhnlich, "man schwebt über den Dingen, nimmt sie anders war", sagt Stephan Rammler. Er ist Mobilitäts- und Zukunftsforscher an der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig. Städte müssten sich zunehmend "als Dienstleister für Lebensqualität auffassen", stünden in Konkurrenz um gut ausgebildete Einwohner.

Dabei helfen könne "ein Gimmick". Der Forscher prognostiziert allgemein den Trend zur dritten Dimension angesichts begrenzten Platzes in Städten: Drohnen im Güterverkehr, Luft-Taxis, wohl zunächst für Eliten. Oder, wie er in seinem Buch "Schubumkehr" schreibt: Fliegende Busse seien ja ein Traum - dann zumindest Seilbahnen.

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