Ingolstadt:Dem Amt des Oberbürgermeisters "schweren Schaden zugefügt"

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Alfred Lehmann, der frühere Oberbürgermeister Ingolstadts kommt im Prozess wegen Bestechlichkeit und Vorteilsannahme im Amt mit einer Bewährungsstrafe davon. Fast schwerer wiegen dürfte die verbale Schelte des vorsitzenden Richters.

Aus dem Gericht von Andreas Glas, Ingolstadt

Er lehnt sich zurück, beugt sich nach vorn, zurück, nach vorn, beinahe im Minutentakt. Er zupft am Hemdsärmel, fingert an der Krawatte, dreht immer wieder seinen Ehering am Finger. Alfred Lehmann fühlt sich unwohl, man kann das gut sehen. Wem bereitet es schon Freude, so unschöne Dinge über sich zu hören. Dass er "die Hand aufgehalten", dass er "kriminelle Energie" habe. Dass er korrupt sei, das aber "verschleiert" habe und "über Monate geleugnet". Das alles sagt Richter Jochen Bösl an diesem Dienstag über Lehmann, den Ex-Oberbürgermeister Ingolstadts. Fast fünf Stunden dauert die Urteilsbegründung. Um 14.10 Uhr ist alles vorbei. Lehmann, 69, zieht seinen Mantel an, vergräbt die Hände tief in den Taschen, verlässt den Gerichtssaal. Er lächelt nicht, er ist schuldig. Aber er sieht erleichtert aus. Er geht als freier Mann.

Nach 25 Prozesstagen am Landgericht Ingolstadt ist Lehmann gerade noch so einer Gefängnisstrafe entgangen. Das Urteil lautet auf Bestechlichkeit in einem und Vorteilsannahme in einem zweiten Fall. Die Strafe: zwei Jahre Haft. Die höchstmögliche Strafe, die noch zur Bewährung ausgesetzt werden kann. Und das tut der Richter dann auch. Dazu muss Lehmann das Geld zurückzahlen, mit dem er sich illegal bereichert hat: etwa 383 000 Euro. Die Staatsanwaltschaft war davon ausgegangen, dass sich Lehmann gar um insgesamt 600 000 Euro bereichert habe. Einen mitangeklagten Bauunternehmer, der Lehmann geschmiert haben soll, verurteilt das Gericht wegen Vorteilsgewährung zu einem Jahr Freiheitsstrafe, ebenfalls ausgesetzt zur Bewährung.

Als Richter Bösl das Urteil gesprochen und Platz genommen hat, da bemüht er zunächst mal ein Zitat von Papst Franziskus. Er sagt: "Der Korrupte nimmt seine Korruption nicht wahr. Es ist ein wenig wie mit Mundgeruch. Wer ihn hat, der bemerkt ihn kaum. Die anderen bemerken es und müssen es ihm sagen. An diese Aufforderung wollen wir uns halten." Damit ist der Ton in Gerichtssaal 11 gesetzt. So gnädig das Urteil wirken mag, so hart geht die Strafkammer stellenweise mit Alfred Lehmann ins Gericht. Er habe dem Amt des Oberbürgermeisters "schweren Schaden zugefügt", sagt Richter Bösl. Wer sich als direkt gewählter Politiker "solche Korruptionsdelikte zuschulden kommen lässt, wird in der Bevölkerung durchaus den Glauben an das Gute erschüttern".

Am Dienstag verurteilte das Landgericht Ingolstadt den früheren Oberbürgermeister Alfred Lehmann zu einer Bewährungsstrafe. (Foto: Manfred Geiger/dpa)

Das Gericht ist sich sicher: CSU-Politiker Lehmann hat Wohnungen vergünstigt erhalten und bei Bauprojekten zugunsten zweier Firmen getrickst. Im ersten Fall geht es um eine Luxuswohnung in der Ingolstädter Innenstadt, auf dem Areal des ehemaligen städtischen Krankenhauses. Nach Ansicht des Gerichts hat Lehmann die Wohnung nur zum Schein als Rohbau gekauft und bekam sie spottgünstig ausgebaut - als Gegenleistung dafür, dass der Krankenhauszweckverband, dessen Aufsichtsratschef Ex-OB Lehmann war, ein Teilgrundstück an den Bauunternehmer verkaufte. Diesen Fall wertet das Gericht als Bestechlichkeit. Dabei geht es um die Firma, dessen Geschäftsführer neben Lehmann auf der Anklagebank sitzt. Er bestreitet sämtliche Vorwürfe und hat im Prozessverlauf die Schuld vor allem seinem Geschäftspartner zugeschoben, der zwischenzeitlich gestorben ist. Dass er das nicht glaubt, daraus macht der Richter kein Geheimnis. Er glaube, dass der Tote "im Grabe rotiert, was man dem alles in die Schuhe schiebt", sagt Bösl.

Der zweite Korruptionsfall betrifft ein Kasernenareal, auf dem Alfred Lehmann und sein Vater 16 Studentenwohnungen für insgesamt 650 000 Euro gekauft haben - und damit weit unter dem Marktpreis von 1,1 Millionen Euro. Nach Ansicht des Gerichts fädelte Lehmann den Deal im März 2011 im Allgäu ein, wo er gemeinsam mit dem Investorenehepaar Urlaub machte. Drei Monate später wurde der Kaufvertrag beim Notar besiegelt. In diesem Fall geht das Gericht von einer Vorteilsannahme aus, umgangssprachlich auch "Bestechlichkeit light" genannt, für die es keine pflichtwidrige Gegenleistung eines Amtsträgers braucht. "Dass man aus reiner Freundschaft einen Vermögensvorteil von fast einer halben Million Euro erhält, nur weil man so gut befreundet ist, das ist ausgeschlossen", sagt Richter Bösl.

"Reicht's noch oder reicht's nicht?", diese Frage schickt Bösl der Begründung voraus, weshalb Lehmann trotz der nun nachgewiesenen Korruptionsfälle mit einer Bewährungsstrafe davonkommt. Dann thematisiert er Lehmanns Geständnis. Kein Geständnis, keine Chance auf Bewährung - das hatte Bösl dem CSU-Politiker ja signalisiert. Im September, am 23. Prozesstag, sagte Lehmann: "Ich möchte hier reinen Tisch machen." Er habe "Vorteile angenommen", die er nie hätte nehmen dürfen. Zu Prozessbeginn hatte Lehmann noch alle Vorwürfe bestritten. So gesehen sei das Geständnis "spät gekommen" und noch dazu "kein vollumfängliches" gewesen, sagt der Richter. Dennoch habe das Geständnis zur Aufklärung beigetragen und müsse deswegen bei der Strafzumessung gewürdigt werden. Und auch Folgendes müsse man strafmildernd werten, sagt Bösl: "Dass der Fall besonders tief ist, wenn man so weit oben steht" wie der Oberbürgermeister einer Großstadt.

Dass am Ende des Prozesses exakt die "berühmten zwei Jahre" mit Bewährung rausgekommen sind, werde "sicher in der Öffentlichkeit diskutiert werden", sagt der Richter. "Es wird sicher Leute geben, die sagen: Der Angeklagte gehört eingesperrt. Und: Die Kleinen hängt man, den Großen lässt man laufen". Am Ende aber dürfe es weder einen Bonus noch einen Malus für Lehmann geben, "bloß weil er Oberbürgermeister war", sagt Bösl. Alfred Lehmann dagegen schweigt nach dem Urteil. Er sagt nur einen Satz: "Ich will jetzt gar nichts sagen." Dann marschiert er über den Flur des Landgerichts. Er sieht müde aus, aber erleichtert.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Bei der Frage nach einer möglichen Revision wollten sich zunächst weder Verteidiger noch Staatsanwaltschaft festlegen.

© SZ vom 23.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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