Ingolstadt:Koalition verliert die Mehrheit

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Dorothea Soffner tritt aus der CSU und der Fraktion aus, weil sie nicht länger auf Linie gebürstet werden wolle. Die Oppositionsparteien sehen darin ein Zeichen, dass der Stadtrat auf dem richtigen Weg sei

Von Andreas Glas und Johann Osel, Ingolstadt

Es ist kein langer Brief, man hat ihn in zwei Minuten gelesen, aber der Inhalt des Schreibens dürfte die Ingolstädter CSU noch lange beschäftigen. Per Brief hat Stadträtin Dorothea Soffner am Montag mit ihren Parteifreunden abgerechnet, hat ihren Austritt aus der Partei erklärt, aus der Fraktion - und die ohnehin schon angeschlagene Rathaus-CSU weiter in die Krise gestürzt. Erst vergangene Woche war die Koalition aus CSU und Freien Wählern (FW) auf eine äußerst knappe Mehrheit geschrumpft, weil der dritte Bürgermeister Sepp Mißlbeck und FW-Stadtrat Gerd Werding aus ihrer Fraktion ausgetreten waren. Nun, nach Dorothea Soffners Austritt, ist die Koalition ihre Mehrheit endgültig los.

Bemerkenswert ist vor allem Soffners deftige Wortwahl in dem Brief, den sie an CSU-Oberbürgermeister Christian Lösel und CSU-Fraktionschefin Patricia Klein adressiert hat. Darin beschwert sich die 45-Jährige über "persönliche Angriffe in untragbarer Lautstärke", die es innerhalb der Fraktion gegen sie gegeben haben soll. Weiter schreibt Soffner, sie wolle nicht länger "auf Linie gebürstet" werden und Entscheidungen mittragen, die "meiner Heimatstadt schaden oder nur dem Machterhalt Einzelner dienen". Ob sich der Brief direkt gegen den Führungsstil der Fraktionschefin Klein oder OB Lösel richtet, der mit dem zweiten Bürgermeister Albert Wittmann (CSU) im Rathaus regiert - darauf will Soffner auf Nachfrage nicht näher eingehen. Den Ärger, sagt sie, trage sie aber schon seit Monaten mit sich herum. Am Ende seien es dann die Fenster im Ingolstädter Katharinen-Gymnasium gewesen, die den Ausschlag gegeben hätten. Soffner sitzt im Elternbeirat. In mehreren Klassenzimmern sind die Fenster so kaputt, dass sie zugeschraubt wurden, damit sie nicht aus dem Rahmen fallen. Obwohl der Stadtrat bereits vor Monaten die Reparatur beschlossen hatte, erfuhr sie am Freitag, dass die Schüler immer noch ohne Frischluft lernen müssen. Darüber hinaus habe es weitere Themen gegeben, bei denen sie innerhalb der Fraktion "gegen Wände gelaufen" sei. "Ich halte das nicht mehr aus."

Man kann sich denken, dass der Ärger mit den Fenstern ein Gesichtsverlust vor den anderen Eltern war. Eigentlich gilt in Ingolstadt: Wenn einer mit Einfluss in der CSU etwas will, darf es als beschlossene Sache gesehen werden. Doch lösten wirklich ein paar Fenster das lokalpolitische Beben aus? Soffners Austritt nennt Patricia Klein einen "sehr drastischen Schritt". Als CSU-Fraktionschefin müsse sie sich jetzt "die Frage stellen, ob ich alles richtig gemacht habe und was wir hätten besser machen können". Über sich selbst könne sie sagen, "dass ich immer den guten Ton bewahrt habe" gegenüber Soffner. Letztlich habe deren Austritt mit "persönlichen Empfindungen" zu tun, ein grundsätzliches Problem gebe es keines innerhalb ihrer Fraktion.

Mit den Entwicklungen bei CSU und FW sehen dagegen SPD, Grüne, Bürgergemeinschaft (BGI) und ÖDP "den Stadtrat auf dem richtigen Weg", wie es in einer Mitteilung heißt. Es gebe offensichtlich immer mehr Räte, "die sich dem Diktat von kaum einer Handvoll Gutsherren nicht länger unterwerfen wollen". Das Bündnis sieht sich als vereinigte Opposition auf Zeit und hatte sich im Zuge der Skandale rund um das Ingolstädter Klinikum und Alt-OB Alfred Lehmann (CSU) zusammengetan. Im Klinikum ermittelt die Staatsanwaltschaft seit 2016 in einem Geflecht rund um den Ex-Geschäftsführer, er soll Verwandten lukrative Aufträge verschafft haben. Alt-OB Lehmann steht wegen des Verdachts der Vorteilsnahme bei Immobiliendeals im Visier der Ermittler. Das Vierer-Bündnis stellte Kataloge mit Dutzenden Fragen an die Stadt, die nach ihrer Ansicht unzureichend beantwortet wurden. Das Klima war zuletzt oft gereizt: von Oppositionsseite die Anwürfe, dass es sich um ein "System der Filzokratie" handele; von Seiten der CSU und FW kamen Ausdrücke wie "Brunnenvergifter". Man sei in einer Lage, sagte im Januar der dienstälteste Stadtrat Manfred Schuhmann (SPD), seit 1972 im Gremium, in der Nachfragen an die CSU "zur Unverschämtheit hochstilisiert" würden. Er sah eine "schleichenden Entmachtung des Kollegialgremiums Stadtrat". Die vier Fraktionschefs schreiben nun, ihr "Schulterschluss" habe das Bröckeln der Koalition eingeleitet. Zudem hört man: "Frau Soffner bestätigt uns schwarz auf weiß, was wir seit Jahren denken - dass die CSU ein reiner Machterhaltungsverein ist."

Fortan haben CSU und FW inklusive OB 25 Stimmen im Stadtrat - und die Opposition 26. Dennoch werden Initiativen gegen CSU und FW erst mal nicht durchzuboxen sein. Denn unter den 26 Räten sind: ein Republikaner, den das Vierer-Bündnis meidet, ein FDP-Mann, der meist nach Sachfragen und nie nach Lagern entscheidet, und ein weiterer Unabhängiger. Mit Spannung wird erwartet, was Soffner und die FW-Abtrünnigen tun, ob sie sich verbünden, wem sie dann zugeneigt wären. Wohl kaum dürften sie pauschal den Mehrheitsbeschaffer für jene Koalition spielen, aus deren Fraktionen sie just geflüchtet sind. "Für unsere Ideen und Überzeugungen müssen wir jetzt über die Koalition hinaus Gespräche führen", sagt CSU-Fraktionschefin Klein aber zuversichtlich. "Wenn unsere Ideen und Überzeugungen gut und richtig sind, dann kriegen wir auch eine Mehrheit."

© SZ vom 10.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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