Süddeutsche Zeitung

Einzelhandel:"Immer wenn ein Kleiner stirbt, geht ein Stück Identität verloren"

Sabine Vogl schließt ihren Legoladen in Ingolstadt - auch deswegen, weil die Kunden an Weihnachten lieber im Internet kauften.

Von Johann Osel, Ingolstadt

Die Leidenschaft von Sabine Vogl für kleine, bunte Legosteine begann Ende der Achtzigerjahre, auch wenn ihr das damals "ein bisschen aufgezwungen" wurde, wie sie sich erinnert. Erst ihren Vater hatte damals das Spielzeug fasziniert, danach die Tochter. Als sich das Mädchen für die Barbiepuppen ein Haus wünschte, blieb das Geschenk aus; Sabine baute es sich prompt selbst, aus Lego. Der Vater - begeisterter Sammler und Bastler, der zum Beispiel das Ingolstädter Rathaus nachbaute - hatte 1999 sein Hobby zum Beruf gemacht und seinen Legoladen eröffnet, 2008 übernahm diesen die Tochter. Eine feste Adresse in der Ingolstädter Altstadt, Kunden schwärmen über die Beratung und Auswahl, am meisten jedoch über die Fülle an Ersatzteilen. Jetzt aber ist Schluss: Nach 20 Jahren schließt Vogl das Fachgeschäft. Den Ausschlag gab ein miserables Weihnachtsgeschäft. Kunden blieben aus, kauften anscheinend mehr denn je online, Vogls Lager ist voll. Miese machen will sie allerdings nicht - daher kam der Entschluss zum Aufgeben.

Die Umsätze des Einzelhandels in Bayern haben zwar am Ende des Weihnachtsgeschäfts noch leicht angezogen, insgesamt aber liegen sie nur auf Vorjahresniveau. "Mit einem blauen Auge davongekommen", sagt Bernd Ohlmann, Sprecher des Handelsverbands Bayern. Besonders kleine, inhabergeführte Läden seien unzufrieden, so die Rückmeldungen. 20 Prozent des Jahresumsatzes mache man im Einzelhandel im Durchschnitt an Weihnachten - in manchen Sparten, etwa bei Spielwaren, sei von bis zu 40 Prozent auszugehen. Woran liegt's, dass es nicht lief? Vor allem am Internet. Die Weihnachtsumsätze online lagen im Freistaat jüngst mit knapp 2,3 Milliarden Euro auf Rekordhöhe - im Vorjahresvergleich ein Plus von zwölf Prozent. Ein Trend, der schon seit einigen Jahren auftritt; und der nur krönt, was sich vielerorts das Jahr über zeigt.

2019 lief im "Kleine Bausteine", so der Name des Ladens, eigentlich von Anfang an schlecht. Ein wenig habe sich das Ganze also abgezeichnet, dass es dann "so schlimm" kam, war jedoch überraschend, sagt Vogl. Zwei Jahrzehnte lang seien zum Fest stets viele Kunden gekommen, bei Neuheiten und den großen Technikartikeln war sie mitunter ausverkauft. Nun aber "bin ich oft da gehockt und habe Löcher in die Wand gestarrt". Von Kunden, die wegen Teilen kamen, habe sie häufig gehört, dass sie die Hauptprodukte eben im Netz kaufen. Mit dem Jahresabschluss hatte es sie "schwarz auf weiß - dass ich draufzahlen müsste", erzählt die gelernte Bankkauffrau. "Es war ja nie so, dass man mit dem Laden reich geworden wäre, da war auch Hobby und Herz im Spiel." Aber sie müsse einsehen: Als kleine Händlerin könne sie "einfach nicht mehr mithalten".

Nun ist es ist nicht so, dass die Bayern weniger ausgegeben hätten für Geschenke, zeigt die Weihnachtsumfrage 2019 der FOM Hochschule für Oekonomie & Management. Sondern anders: Laut Umfrage ist 62 Prozent der Befragten Einkaufen im Internet wichtig oder sehr wichtig; das Fachgeschäft in der Stadt erhält hier nur 53 Prozent Zustimmung, der Fachmarkt etwa für Elektronik oder das Kaufhaus sogar noch weniger. Ohlmann sagt, Kunden bekämen im Internet "die beste Produktauswahl der Welt, 24 Stunden am Tag" mitsamt Rückgabemöglichkeit, dazu werde die Bequemlichkeit bedient. Er führt auch das Phänomen des "Beratungsdiebstahls" auf - dass Kunden im Laden die Produkte prüfen, dann online ordern. Das ist Sabine Vogl nicht sonderlich aufgefallen, es sei eher generell Flaute gewesen.

Nicht so freilich am Samstag, als die Schließung Stadtgespräch war. Schlangen vorm Geschäft und weinende Kinder habe es gegeben, auch Überredungsversuche: "Wollen Sie sich's nicht noch überlegen?" Doch Vogl sagt, sie bräuchte viele solcher Samstage. Geschäftsaufgaben seien, sagt Ohlmann, fatal für Innenstädte und Fußgängerzonen. "Immer wenn ein Kleiner stirbt, geht ein Stück Identität verloren." In Ingolstadt sind Leerstände im Zentrum ein Aufregerthema - auch wenn zuletzt ein großer Textildiscounter mehr Frequenz in die Altstadt brachte.

Der Abverkauf bei Vogl läuft, wohl bis Mai zieht sich die "Abwicklung" hin. Auf weniger Stress und mehr Zeit für ihren kleinen Sohn freue sie sich zwar, aber wehmütig sei sie. "Schlimm wird's wahrscheinlich, wenn ich definitiv zusperre." Sehr traurig sei ihr Vater. Sie müsse "sein Lebenswerk zumachen".

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SZ vom 14.01.2020/vewo
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