Süddeutsche Zeitung

Ingolstadt:Wenn Autos mit Ampeln reden

  • Wer als Autofahrer im Straßenverkehr unterwegs ist, ärgert sich häufig über plötzlich schaltende Ampeln.
  • Der Autobauer Audi testet dafür zurzeit in Ingolstadt eine Lösung: Umgerüstete Ampeln sollen mit den Autos kommunizieren.
  • Es ist ein Pionierprojekt, das über Ingolstadt hinaus Nachahmer finden soll.

Von Johann Osel

Der Countdown an der roten Ampel beginnt, es zählt abwärts auf der Anzeige über dem Lenkrad: 57, 56, 55 Sekunden. "Gelassener" fühlt sich die Probefahrerin, "ich weiß, das ist so - und muss nicht dauernd auf die Ampel starren, schon mit dem Fuß halb aufm Gaspedal". Der Audi-Mitarbeiter auf dem Beifahrersitz meint: "Wir nennen es: souveräner fahren. Man ist informierter."

Weiter geht es durch das nasskalte Ingolstadt, bei der nächsten Ampel heißt es einige Hundert Meter vorher: Wenn die Fahrerin bei ihren gut 50 Kilometern pro Stunde bleibt, erwischt sie genau die grüne Welle. Anfahrt - pünktlich schaltet die Ampel auf freie Fahrt. "Der hat ja immer recht", staunt die Dame. "Der", das ist in dem Fall so dahingesagt. Es ist der Computer. Oder der Ampelinformationsdienst.

Für Ingolstädter ist der örtliche Straßenverkehr oft nicht vergnügungssteuerpflichtig. Zwar gibt es ein breites, zuverlässiges Busnetz, die Audi-Stadt ist aber vor allem Auto-Stadt - verstopfte Straßen sind Alltag. Doch künftig sollen kluge Ampeln und mitdenkende Autos miteinander kommunizieren. Das bringt sicher nicht die Lösung aller Probleme und ist kein Ende von "Stop and go" im Berufsverkehr, gilt aber als ein Baustein für Besserung.

Die Fahrer neuerer Audi-Modelle sehen, bei welcher Geschwindigkeit sie die nächste grüne Ampel schaffen oder wie lange sie warten müssen. Fahren soll so entspannter und effizienter werden, auch Sprit sparen. Am Mittwoch wurde das Projekt von Stadt und Autobauer vorgestellt, inklusive Testfahrten. Und mit Zeitplan: Mehrere Dutzende Ampeln sind bereits umgerüstet. Bis zum Jahr 2022 sollen dann alle Ampelkreuzungen auf dem Stand sein, insgesamt 160 Stück.

Audi hat in den USA mit der realen Erprobung angefangen, in Las Vegas. Inzwischen läuft der Dienst etwa in Los Angeles, Denver und Washington D.C., in der Hauptstadt sind 1000 Kreuzungen mit Ampelinformation vernetzt. Ingolstadt ist europäischer Pionier, weitere Städte, die noch geheim sind, sollen kommendes Jahr folgen. Die Auswahl Ingolstadts liege natürlich am Sitz des Autobauers und der hohen Flottendichte hier, sagt Peter Steiner, Geschäftsführer der zuständigen Audi-Tochter; aber relevant sei auch der Wille der Stadtpolitik und die "technikaffine Bevölkerung".

Das hört Oberbürgermeister Christian Lösel (CSU) bei der Präsentation gern. Für ihn zeigt sich jedoch noch eine andere Dimension außer der Entlastung der Bürger im Verkehr. Die Autobranche ist im Umbruch, man werde "alles tun, um die Arbeitsplätze der Zukunft auch am Standort zu schaffen". Entwicklung, Erprobung und Ansiedlung von Zukunftstechnologien in Ingolstadt, so stellt er sich es vor. Studien attestierten der Stadt schon eine gute Ausgangslage im digitalen Metier, als "Smart-City", sowie im Wettbewerb der Standorte. Das wolle man allerdings noch verstärken.

Nun fahren in Ingolstadt viele Leute einen Audi, aber wahrlich nicht alle. Die Hoffnung ist, dass sich in den kommenden Jahren andere Hersteller ins System einklinken, den Anfang würden da wohl Marken unter dem VW-Konzerndach machen. Zumindest bietet Ingolstadt dann die Infrastruktur für den flüssigeren Verkehr. Dass es noch gut zwei Jahre dauert mit der Komplettumstellung der Ampeln - dafür bittet Stadtbaurätin Renate Preßlein-Lehle um Verständnis.

Es stecke jede Menge Technik und Know-how hinter einer Ampelsteuerung, das alles sei nicht so trivial, wie man womöglich glaube. Auch dauere die Umgestaltung oft einige Tage, das müsse man also "in verdaubaren Portionen" tun, "sonst würden wir die Stadt lahmlegen". Von der Vernetzung aller Ampeln und den Daten daraus erhofft sie sich auch Impulse für eine bessere Verkehrssteuerung.

Bei der Testfahrt ist alles im Fluss, werktags am späten Vormittag aber auch kaum überraschend. Ein anderer Fahrer ordnet sich falsch ein und blockiert, die Fahrerin hält - das Auto rechnet mit, es wird nichts mit dem versprochenen Grün. Zu Dummheiten verleitet das System übrigens nicht. Wer rasend austesten will, ob er eine grüne Ampel schafft, hat 20 Prozent Marge über dem Tempo-Limit. Sonst erkennt das System die Faxen und schaltet ab. Ein Problem: Andere Verkehrsteilnehmer wissen nicht, was der Fahrer weiß, und ärgern sich vielleicht über ein Ausrollen. Bei Audi hatten sie, spaßeshalber, an einen Aufkleber am Heck gedacht, wie bei "Baby an Bord". Der Aufdruck: "Ich verstehe die Ampeln."

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SZ vom 14.11.2019/vfs
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