Influenza-Erkrankungen:Fiebriger Ausnahmezustand

Grippewelle

Wer eine von einem Virus aus der Corona-Gruppe ausgelöste Grippe durchgemacht hat, könnte gut auf Covid-19 vorbereitet sein.

(Foto: Andreas Gebert/dpa)
  • Das Grippevirus breitet sich weiter aus.
  • Krank werden vor allem jüngere Menschen zwischen 20 und 40 Jahren, weil sie nicht geimpft sind.
  • Diese Saison ist zudem besonders heftig, da der Grippe-Impfstoff nicht optimal auf die zirkulierenden Erreger passt.

Von Sarah Kanning

26 Notfälle in zehn Stunden, davon 20 Mal schwere Grippe: hochroter Kopf, Reizhusten, extreme Gliederschmerzen, hohes Fieber. Allgemeinmediziner Mirko Böhme aus Sulzberg bei Kempten erinnert sich mit Schrecken an den Notdienst am Wochenende. "So viel war hier noch nie los", sagt er. In seiner Praxis herrscht seit vergangener Woche quasi der Ausnahmezustand: 20 Patienten kommen täglich mit schweren Grippesymptomen zu ihm, die Kranken sind jung, die Verläufe schwer. Die meisten muss der Arzt für eine Woche krankschreiben.

Das Grippevirus hat Bayern fest im Griff. Allein in den vergangenen Tagen wurden im Freistaat 1032 neue Influenza-Fälle registriert. Gerade im südlichen Schwaben, wo Böhmes Praxis liegt, befindet sich ein regelrechtes Grippe-Epizentrum. Seit Jahresbeginn haben die bayerischen Gesundheitsbehörden 2709 Influenza-Erkrankungen registriert - 2214 Erkrankungen mehr als im selben Zeitraum vor einem Jahr mit 495 gemeldeten Influenza-Erkrankungen. Der massive Anstieg ist laut Claudia Schuller, Sprecherin des bayerisches Landesamts für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit in Erlangen, jedoch kein Grund zur Panik: "Im Vergleich zum Vorjahr klingen die Zahlen für 2015 krass, aber wenn wir uns die Verläufe der Grippeausbreitung von 2011/12 und 2012/13 anschauen, ist es eine normale Grippewelle."

Grippe-Impfstoff passt nicht zu Erregern

Aus einem anderen Grund ist diese Saison aber besonders heftig: Der Grippe-Impfstoff passt nicht optimal auf die zirkulierenden Erreger vom Virus-Subtyp A(H3N2), der für 80 Prozent der Erkrankungen verantwortlich ist. Der Subtyp hat sich durch einen Gendrift so stark verändert, dass auch Geimpfte an der Grippe dieses Typs erkranken, auch wenn bei ihnen der Verlauf deutlich abgeschwächt ist.

Grippeimpfung

"Wir leben im Land der Impfgegner", sagt Mirko Böhme, Allgemeinmediziner aus Sulzberg. "So schlimm wie in diesem Jahr war es noch nie mit der Grippe." Sein Eindruck deckt sich mit den Erhebungen des Robert-Koch-Instituts. Demnach ist Deutschland von den Zielvorgaben der Europäischen Union zur Grippeimpfung weit entfernt. Die Ständige Impfkommission empfiehlt die Impfung für Personen ab 60 Jahre, für alle Frauen, die während der Influenzasaison schwanger sind, für Personen mit chronischen Krankheiten sowie für Alten- oder Pflegeheimbewohner. In der Saison 2011/12 ließen sich 29 Prozent der erwachsenen Bevölkerung impfen. Auch wenn der Impfstoff in diesem Jahr nicht optimal zu den grassierenden Viren passt, rät das bayerische Landesamt für Gesundheit auch jetzt noch zu einer Impfung: Falls man sich mit Grippeviren vom Typ A(H3N2) ansteckt, sei der Verlauf schwächer, gegen Viren vom Typ B schütze die Impfung in jedem Fall. skan

Die Anfangssymptome sind typisch: Ganz spontan geht es Leuten, die sich gerade noch fit fühlten, schlagartig schlecht. So schlagartig, dass sie sich vermeintlich gesund zum Abendessen setzen und sich beim Nachtisch fiebrig fühlen, Brechreiz bekommen und dass Rückenschmerzen einsetzen. Die Neu-Ansteckungen für Bayern sind extrem: Allein in der ersten Februarwoche erkrankten in der Oberpfalz 257 Personen an Influenza, in Oberbayern 277, in Oberfranken 199. Da aber längst nicht alle Erkrankten zum Arzt gehen und selbst dort nicht alle Patienten mit Influenza-Symptomen getestet werden, gehen Gesundheitsexperten von einer hohen Dunkelziffer und weitaus höheren Zahlen aus.

Meist erkranken junge Leute zwischen 20 und 40

Interessant daran ist, dass die meisten Erkrankten junge Leute sind, zwischen 20 und 40 Jahren, wie Ärzte aus ihren Allgemeinarztpraxen berichten. Jürgen Büttner aus Roth beobachtet diesen Trend seit Jahren: "Leute über 60 oder chronisch Kranke sind meist über Jahre hinweg gegen Grippe geimpft, die Jüngeren nicht", sagt der Allgemeinmediziner. Er versuche daher gerade Leute, die viel mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren oder an einem Schalter arbeiteten, von einer Impfung zu überzeugen. Eine Grippewelle könnte sich schließlich bis Ende Februar hinziehen.

Eine echte Grippe ist gefährlich, weil sie - anders als eine Erkältung oder ein grippaler Infekt - den gesamten Körper befällt. "Influenza wird oft unterschätzt", heißt es aus dem Landesamts für Gesundheit. Gerade wenn wie in Franken noch der Norovirus dazukomme, seien Menschen anfällig für Grippe. Temperaturen um die null Grad lockten die Leute bei Sonne in die Straßencafés, Jacke auf, der Rücken kühlt aus, der Körper muss die Temperaturunterschiede ausgleichen.

Wie viele Menschen jedes Jahr an Grippe sterben, lässt sich nur rückwirkend durch statistische Verfahren aus der Zahl der Gesamttodesfälle schätzen. Für die Saison 2012/13, mit der diese Grippewelle verglichen wird, liegen die Zahlen je nach Schätzung des Robert-Koch-Instituts zwischen bundesweit 20 000 und 28 000 Toten. Für die aktuelle Saison nennt das Institut momentan noch eine sehr viel kleinere Zahl: 18.

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