In Iran inhaftierter Abdolfatta Soltani:Wenn der Staatsfeind einen Menschenrechtspreis bekommt

Der Preis als Fluch? 2009 bekam der Anwalt Abdolfatta Soltani, der viele bekannte Dissidenten in Iran verteidigt hat, den Nürnberger Menschenrechtspreis. Doch kürzlich ist der 58-Jährige in seiner Heimat zu 18 Jahren Haft verurteilt worden - auch als Strafe für seine Auszeichnung.

Olaf Przybilla, Nürnberg

Der Anruf aus Nürnberg erreichte Maede Soltani im Herbst 2008. Wenn sie sich jetzt daran erinnert, dann schließt sie kurz die Augen. Es ist vermutlich immer ein schönes Gefühl, wenn man mitgeteilt bekommt, dass ein naher Verwandter mit einem Preis ausgezeichnet wird.

Und natürlich empfand sie Stolz damals, Stolz auf ihren Vater, den Anwalt Abdolfatta h Soltani, der so viele bekannte Dissidenten in Iran verteidigt hat wie wohl kaum ein anderer. Stolz aber war nicht das vorherrschende Gefühl. Eher habe sie Geborgenheit empfunden, sagt Maede Soltani, die "verblüffende Gewissheit, dass es da Menschen in einer deutschen Stadt gibt, die das Leben meines Vaters aus der Entfernung verfolgen und seine Arbeit wertschätzen".

Maede Soltani, 31, hat feuchte Augen, als sie das sagt, und betrachtet man die Geschichte ihres Vaters, dann könnte das in diesem Moment mehrere Gründe haben. Es könnte daran liegen, dass Abdolfattah Soltani den Internationalen Nürnberger Menschenrechtspreis am 4. Oktober 2009 im Nürnberger Opernhaus persönlich entgegen nehmen wollte, dies aber nicht konnte: Weil er im Flughafen in Teheran zwar den Stempel schon im Reisepass hatte - ihm dieser Pass aber kurz vor Abflug im Warteraum noch von zwei iranischen Sicherheitsbeamten abgenommen wurde. Es könnte auch daran liegen, dass ihre Mutter Masoumeh Dehghan - die den Preis stellvertretend für ihren Mann, den Menschenrechtsanwalt Soltani in Nürnberg entgegennahm - in der Zwischenzeit große Probleme in ihrem Heimatland Iran bekommen hat. Eben weil sie diesen Preis in Nürnberg entgegen genommen hat.

Und es könnte daran liegen, dass ihr Vater kürzlich in Iran zu einer 18-jährigen Haftstrafe verurteilt worden ist, zuzüglich eines anschließenden Berufsverbots von 20 Jahren. Einer der vier Anklagepunkte, die das berüchtigte Revolutionsgericht in Teheran dem 58-Jährigen zu Last legt, lautet auf "Annahme eines ungesetzlichen Preises". Dahinter verbirgt sich nichts anderes als der Nürnberger Menschenrechtspreis des Jahres 2009.

Der Preis als Fluch? Maede Soltani schüttelt sanft den Kopf und lächelt. Sie hört die Frage offenbar nicht zum ersten Mal, in Nürnberg bewegt sie in diesen Tagen viele. 1995 wurde der Preis erstmals in Nürnberg verliehen, fast auf den Tag genau 60 Jahre nach der Verabschiedung der nationalsozialistischen Rassengesetze, die auf für alle Zeiten mit dem Namen einer Stadt in Nordbayern verbunden sind: Nürnberg. Der Preis versteht sich als Antwort der Stadt auf die staatlich verordneten Menschenrechtsverbrechen der NS-Zeit - und als Symbol dafür, "dass von Nürnberg nie mehr andere Signale ausgehen dürfen als solche des Friedens, der Versöhnung und der Achtung der Menschenrechte", wie es in der Preisbeschreibung heißt.

Und dann verurteilt ein Gericht einen Anwalt - und verhängt allein zwei Jahre Haft für die Annahme dieses Preises. In Nürnberg muss das wie ein Albtraum wirken, wie die denkbar zynischste Pointe eines menschenverachtenden Regimes. "Entsetzt und empört" sei er, sagt Oberbürgermeister Ulrich Maly, mit dem Urteil würden alle Rechtsprinzipien auf den Kopf gestellt.

Gibt es also doch den Fluch der guten Tat? Maede Soltani kennt diese Bedenken, aber man muss ihr nicht lange zuhören, um zu ahnen, dass sie gegenstandslos sind. Kaum etwas, sagt sie, habe ihrem Vater vermutlich so geholfen wie dieser Preis aus Nürnberg.

Sie erinnert an die Haftbedingungen, unter denen ihr Vater in den Jahren davor zu leiden hatte. 2006 etwa, als Soltani - als Gründer des Vereins zur Verteidigung der Menschenrechte in Iran - wegen angeblicher Offenlegung vertraulicher Unterlagen und Propaganda gegen die Islamische Republik festgenommen wurde. Das Revolutionsgericht verurteilte ihn damals zu fünf Jahren Haft. 219 Tage lang saß Soltani in Einzelhaft: keinen Stift ließen sie ihm, keine Zeitung, kein Papier, keine Medikamente. Zunächst wusste seine Familie nicht mal, wohin sie den Anwalt verschleppt hatten, bis Soltani von einem Revisionsgericht in allen Punkten freigesprochen wurde.

"Von weitem drücke ich Eure Hand"

Nach dem jüngsten Urteil des Revolutionsgerichtes - neben der Preisannahme wurde Soltani diesmal wegen Gründung eines Zentrums für Menschenrechte, regimefeindlicher Propaganda und Verschwörung gegen die Staatssicherheit verurteilt - sitzt der Anwalt derzeit wieder in Haft.

Diesmal aber darf seine Frau einmal pro Woche mit ihm telefonieren. Nur kurz, ein bis zwei Minuten dürfen die Gespräche dauern. "Aber wir wissen diesmal, wo er ist und wie es ihm geht", sagt Maede Soltani.

Dass die Aufmerksamkeit aus Nürnberg, die Briefaktionen, Mahnwachen und Interventionen von Abgeordneten aller Parteien zu dieser neuen Offenheit beitragen, davon ist die Tochter des Anwalts überzeugt. "Wir sind Nürnberg sehr dankbar", sagt sie. Wie eine Floskel klingt das nicht. Maede Soltani ist 2009 - damals lebte und arbeitete die Industriegrafikerin in Berlin - zur Preisverleihung nach Nürnberg gekommen. Sie hat im Opernhaus ihre "zweite Mutter" getroffen, wie sie die Friedensnobelpreisträgerin Shirin Ebadi nennt, einst eine enge Kollegin ihres Vaters in der Kanzlei in Teheran. Sie hat gesehen, wie ein großes Bild ihres Vaters auf der Leinwand erschien und hat gehört, wie er am Telefon "von weitem drücke ich Eure Hand" sagte. Und sie war ergriffen von diesem Moment.

In der Heimat ist ihr Vater von Leuten, die von sich behaupten, einen Gottesstaat errichtet zu haben, immer wieder zum Staatsfeind erklärt worden. "Und ein paar Tausend Kilometer davon entfernt wird meinem Vater so eine Ehre zuteil", sagt sie. "Es ist ein schönes Gefühl."

Vor einem halben Jahr ist Maede Soltani nach Nürnberg gezogen. Sie ist 2005 nach Deutschland gekommen, nach Göttingen, um dort mit einer Promotion zu beginnen. 2008 dann Berlin, Prenzlauer Berg. Und nun Nürnberg: Die Kontakte zu der Stadt waren seit der Preisverleihung eng, als sie eine Stellenanzeige eines auf die Ausstattung von Wissenschaftsmuseen spezialisierten Unternehmens in Schwaig bei Nürnberg entdeckte, bewarb sie sich dort. Jetzt lebt sie in der Stadt, die ihr Vater vor drei Jahren nicht besuchen durfte.

Ihrer Mutter kam kürzlich für sechs Tage in Untersuchungshaft: Wegen des Vorwurfs der "Annahme eines ungesetzlichen Preises" wird in Teheran weiter gegen sie ermittelt. Druck auf die Verwandten von Kritikern aufzubauen, das ist die Methode des Regimes.

Am Armgelenk trägt Maede Soltani zwei grüne Bändchen. Grün ist die Farbe der Demokratiebewegung in ihrer Heimat. Und grün ist die Farbe der Hoffnung. Die will sie nicht aufgeben: Schon einmal hatte ein Richterspruch gegen ihren Vater vor dem Revisionsgericht keinen Bestand, das Verfahren endete mit einem Freispruch in allen Punkten. "Meinen Vater", sagt Maede Soltani, "wird dieses Regime nicht brechen."

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