Im Schatten Nürnbergs:Das Wunder von Fürth

Fürth hat mehr als 2000 Baudenkmäler, der Turm des Rathauses etwa erinnert an den Palazzo Vecchio in Florenz.

Fürth hat mehr als 2000 Baudenkmäler. Der Turm des Rathauses erinnert an den Palazzo Vecchio in Florenz.

(Foto: Martin Siepmann/Imagebroker/Imago)

Die Stadt war lange verkannt, doch der Wandel ist gelungen. Jetzt sollen die Touristen kommen.

Von Claudia Henzler

Als Horst Müller vor gut zwei Jahrzehnten sein erstes Büro im Rathaus bezog, war die mittelfränkische Stadt kein besonders schöner Ort. "Es hat grau und düster ausgeschaut", erinnert sich Fürths Wirtschaftsreferent (CSU). Zu Hause in Altdorf hat er damals erzählt: "In dieser Stadt bleibe ich kein halbes Jahr." Inzwischen hat Fürth einen beeindruckenden Wandel durchgemacht. Jene Stadt, die erst vom Niedergang von Grundig, dann von Quelle geschüttelt wurde, ist in den vergangenen Jahren regelrecht aufgeblüht.

Fast schon übermütig ist der Stadtrat nun sogar der Meinung, Fürth könnte für Städtereisende interessant sein, eine Tourismuskampagne ist in Planung. Und Oberbürgermeister Thomas Jung (SPD) ist seit Dienstag mit einem Infomobil auf Tour, um in München, Regensburg und Bamberg für seine Stadt zu werben. Denn die feiert ganzjährig, dass sich ihre Erhebung zu einer eigenständigen Stadt am 17. Mai zum 200. Mal jährt.

Trotz berühmter Söhne wie Bundeskanzler Ludwig Erhard, Max Grundig und Quelle-Gründer Gustav Schickedanz ist Fürth vielen Leuten kein Begriff. "Das einzige Ereignis, das Fürth in alle Geschichtsbücher gebracht hat", wie die Historikerin Barbara Ohm sagt, liegt 183 Jahre zurück: Damals dampfte der "Adler", die erste Eisenbahn in Deutschland, vom Nürnberger Plärrer zur Fürther Freiheit. Ohm war 15 Jahre lang Stadtheimatpflegerin und hatte es sich zur Aufgabe gemacht "dass die Fürther ihre Stadt kennenlernen und mögen" - und dass sie besser auf ihre Denkmäler achten.

Fürth ist eine der wenigen deutschen Großstädte, in denen das historische Ortsbild im Krieg und danach weitgehend bewahrt wurde, mit mehr als 2000 denkmalgeschützten Häusern. Lange wurde dieses Erbe vernachlässigt, inzwischen strahlen die meisten Sandsteinfassaden hell und freundlich. Sehenswert sind auch das Altstadtviertel mit seinen niedrigen Giebelbauten und hoher Kneipendichte und die Flussauen von Pegnitz und Rednitz, die sich in Fürth zur Regnitz vereinigen.

Seit 1999 ist Fürth außerdem Standort von Deutschlands drittgrößtem Jüdischen Museum, das soeben erweitert wurde und an diesem Sonntag seine Wiedereröffnung feiert. Mit einer weiteren Sehenswürdigkeit fremdeln die Fürther allerdings noch: Ludwig Erhard ist Gegenstand eines Museums, das kommende Woche von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier eingeweiht wird. Der moderne Klotz wurde recht unglücklich direkt an das Rathaus angebaut und ist architektonisch umstritten.

Ohm hat gerade ihr Buch "Fürth - Geschichte der Stadt" für eine Neuauflage überarbeitet. Ein fast zwei Kilogramm schwerer Wälzer, der auf kritische Einordnungen nicht verzichtet und die Entwicklung der Stadt bis in die Gegenwart nachzeichnet. Das Bemerkenswerteste an der jüngsten Vergangenheit ist aus ihrer Sicht "die große wirtschaftliche Veränderung".

Vor zwanzig Jahren lag Fürth bei den Wirtschaftsdaten auf Platz 82 von 83 deutschen Großstädten. Die Arbeitslosigkeit betrug deprimierende 13,7 Prozent. Eine Spätfolge der Industrialisierung, verschärft durch die Grundig-Krise, bei der im Jahr 1998 Tausende ihren Arbeitsplatz verloren, und den Wegzug der US-Streitkräfte. Bis Mitte der Neunziger war Fürth ein bedeutender Garnisonsstandort, dann standen plötzlich 280 Hektar leer.

Heute ist die Arbeitslosenquote auf 4,9 Prozent gesunken, den geringsten Wert seit mehr als 30 Jahren. Jung spricht gerne vom "Fürther Wirtschaftswunder", erst neulich informierte er darüber, dass in fünf Jahren mehr als 5000 neue sozialversicherungspflichtige Jobs entstanden sind. Auch die Einwohnerzahl, die jahrzehntelang um die Hunderttausend pendelte, ist rasant gestiegen, auf aktuell 127 000. Trotz der Investitionen, die dieses Wachstum nötig gemacht hat, konnte die Stadt auch noch Schulden abbauen.

Die Schlüssel: Mut, Eigeninitiative und Risiko

Rückblickend sagt Wirtschaftsreferent Horst Müller: "Der Abzug der Amerikaner war eine Riesenchance." Er schaffte Platz für neue Siedlungen und mehrere Gewerbegebiete, die inzwischen fast vollständig belegt sind. Ganz grob lässt sich Fürths Wiederbelebung in drei Phasen unterteilen: Erst ging es um die Wirtschaft, dann ums Stadtbild, schließlich um den Handel.

Das war natürlich kein Spaziergang und nicht frei von Rückschlägen wie der Quelle-Pleite 2009. Gelungen ist Fürth der Wandel teils durch Mut zur Eigeninitiative und zum Risiko, teils durch die gute Konjunktur, vor allem aber durch massive Unterstützung von Freistaat, Bund und EU - auch, aber nicht nur in Form von millionenschweren Zuschüssen. Fürth bekam ein staatlich finanziertes Forschungsinstitut und das Landesamt für Statistik, wovon die Münchner Mitarbeiter gar nicht begeistert waren. Und der Bund zwang Fürth nicht, die frei gewordenen Kasernenflächen zu kaufen, sondern entwickelte sie mit der Stadt gemeinsam.

Die Stadt selbst investierte beispielsweise ins Wirtschaftsreferat und stellte Mitarbeiter ein, die sich um die Wünsche ansässiger Firmen und um Neuansiedlungen kümmerten. Heute ist Fürth nicht mehr abhängig von zwei großen Arbeitgebern, man ist deutlich breiter aufgestellt. Eine wichtige Rolle spielen Unternehmen wie der Spielzeughersteller Simba-Dickie, dessen Bobbycar zur Grundausstattung junger Familien gehört, der Helm- und Skibrillenhersteller Uvex oder der Discounter Norma, der in Fürth seinen Stammsitz hat.

Um der Verwahrlosung der Häuser in der Innenstadt entgegenzuwirken, wurde das Bund-Länder-Förderprogramm "Soziale Stadt" aufgelegt. Quartiersmanager warben für die öffentlich geförderte Sanierungen und grüne Hinterhöfe und förderten das Engagement der Bewohner für ihr Viertel. Städtische Großprojekte, etwa die Renovierung des Theaters, kamen hinzu.

Mittlerweile flanieren die Fürther daheim

Am Wochenende ist der Wandel auch in der Fußgängerzone sichtbar. Lange stiegen die Fürther lieber in die U-Bahn, um in Nürnberg einkaufen zu gehen. Jetzt flanieren sie wieder daheim, auch wenn es dort noch einen Überhang an Telefonläden und Imbissketten gibt. Das Projekt "Soziale Stadt" wirkte auch hier positiv, zusätzlich bekam die Stadt von der EU Geld für einen neuen Bodenbelag in der Fußgängerzone und einen zentralen Platz in der Altstadt. Außerdem wurden Läden mit mehr Verkaufsfläche geschaffen, die für Bekleidungsketten attraktiv sind. OB Jung hatte sich erst für den Bau eines wuchtigen Einkaufszentrums eingesetzt, war aber an heftigem Widerstand gescheitert.

Verwirklicht wurde schließlich die Neue Mitte II, ein weniger radikaler Eingriff ins Stadtbild. "Ich bin im Nachhinein froh, dass das erste Projekt verhindert wurde", sagt Jung heute. Auch das Nachfolgeprojekt war umstritten, weil die Stadt dafür ein altes Hotel abreißen ließ. Im Obergeschoss des Neubaus erinnert ein Fensterschlussstein aus der Hotelfassade daran. Dort ist eine Bücherei mit Café und Dachterrasse untergebracht, was Barbara Ohm für ein wichtiges Signal hält: "Dass hier eine Volksbücherei drin ist, das hat viele versöhnt mit dem Bau." Vollständig zufrieden mit Fürths Entwicklung ist sie selbst übrigens noch nicht. Nach der Zeit der Wirtschaftsförderung müsse es jetzt um Kultur gehen. "Da haben wir Nachholbedarf."

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