Nur der Bürgermeister oder Sitzungsleiter muss im Rathaus bleiben, der Rest des Gemeinderats kann sich theoretisch über den Bildschirm daheim zuschalten - wenn die Mitglieder das möchten und sofern eine Mehrheit zuvor diese Option beschließt. Zum neuen Jahr wird Stadt- und Gemeinderäten sowie Kreis- und Bezirkstagen die Möglichkeit hybrider Tagungen verlässlich eingeräumt.
Wie das Innenministerium am Mittwoch auf Nachfrage der SZ mitteilte, hat der Landtag die gesetzliche Grundlage dafür in die Wege geleitet. Sie folgt auf eine Experimentierphase, die Kommunen das Instrument für die Corona-Krise an die Hand gab; allerdings war diese Ermächtigung nur bis zum Jahresende 2022 befristet. Der Probelauf sollte aber, wie das Ministerium bei der Einführung 2021 betont hatte, unabhängig von der Pandemie "mehr Handlungsspielräume verschaffen". Zum Beispiel für die Vereinbarkeit kommunaler Ehrenämter mit Familie und Beruf.
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Die Kommunen können frei entscheiden, "ob und für welche Fälle sie Hybridsitzungen zulassen wollen", heißt es aus dem Ministerium. Städte, Gemeinden und Landkreise, die bisher Hybridsitzungen nicht auf pandemie- oder krankheitsbedingte Abwesenheiten beschränkten, berichteten aber von "mehr Flexibilität". Man schaffe somit einen "Baustein, der künftig dazu führen kann, kommunale Ehrenämter auch für Frauen attraktiver zu machen".
Immer wieder hört man in der Lokalpolitik, dass vor allem Mütter erst gar nicht kandidieren wollen, da abendliche Präsenzsitzungen nicht mit dem Familienleben in Einklang zu bringen sind. Die Kommunalwahl vor zwei Jahren hatte nur geringe Steigerungen des Frauenanteils ergeben: Zum Beispiel in Räten kreisangehöriger Städte und Gemeinden liegt er jetzt bei 22 Prozent.
Nur 6,4 Prozent der Gemeinden tagten zuletzt hybrid
Bisher hatten erstaunlich wenige Kommunen die Testphase wirklich genutzt. Das zeigte ein Bericht an den Innenausschuss des Landtags im Oktober. 52 Prozent aller kreisfreien Städte tagten demnach - mitunter sogar regelmäßig - zuletzt hybrid; aber lediglich 21 Prozent der Landkreise, 17 Prozent der Großen Kreisstädte und nur 6,4 Prozent der kreisangehörigen Gemeinden. Datenschutz, maue Debattenkultur ohne direkten Austausch und finanzielle Sorgen wegen der anzuschaffenden Technik - derlei Gründe wurden von zögerlichen Kommunen häufig genannt.
Manche Räte, hieß es vom Bayerischen Gemeindetag, seien womöglich bisher zurückhaltend beim Kauf von Kameras und Mikrofonen gewesen, weil die dauerhafte Regelung ausstand. Ohne gesetzliche Grundlage wäre die Investition ja quasi für die Katz gewesen. Andere Kommunen wollten laut Evaluierung übrigens noch weitergehen, die Landkreise Traunstein und Nürnberger Land regten rein digitale Sitzungen an. Das Ministerium hatte hierbei Bedenken: Dies bedeute, "dass sich jedes Mitglied eines kommunalen Gremiums zwangsläufig digital zuschalten muss. Also auch die Mitglieder, die lieber in Präsenz teilnehmen wollen".
Kurios mutet der Weg der neuen Regelung im Landtag an. So rügte die Opposition im Oktober, dass das Vorhaben zeitlich nicht mehr bis zum Jahresbeginn beschlossen werden könne. Kommunalen Gremien, die schon hybrid tagen, hätte also im Januar die Basis dafür gefehlt. Nun haben die Regierungsfraktionen CSU und Freie Wähler die Hybridsitzungen als Änderungsantrag beim bereits weit gediehenen neuen Rettungsdienstgesetz dazu gepackt.
Eine eigene erste Lesung im Landtag entfällt also, bei der zweiten Anfang Dezember wird es naturgemäß vor allem ums Rettungswesen gehen. Ein Verfahren, das laut Innenministerium "nicht unüblich" ist und einen "zeitlichen Vorteil" nutzt. Johannes Becher (Grüne) findet die "Huckepack"-Gesetzgebung mit derart verschiedenen Themen zwar "etwas schräg", auch hätte man beim formalen Weg weitere Ideen zur Stärkung des kommunalen Ehrenamts ansprechen können. Andererseits sei das eben die Chance, noch Planungssicherheit für die Kommunen zu bekommen. Aber auch, meint Becher, "das Eingeständnis der Staatsregierung, dass sie hier viel zu spät dran war".