Hungerstreik von Flüchtlingen:"Wenn acht Leute auf 15 Quadratmetern leben, kann man von Hygiene nicht mehr reden"

Lesezeit: 3 min

  • 150 Flüchtlinge aus Sierra Leone halten nach eigenen Aussagen seit vergangenem Freitag Hungerstreik im Deggendorfer Transitzentrum.
  • Viele klagen über enge Zimmer, mangelnde Hygiene und schlechtes Essen.
  • Die Regierung von Niederbayern sieht den Streik als nicht gerechtfertigt an.

Von Andreas Glas, Deggendorf

Es gibt Putengeschnetzeltes, Reis und Salat. "Schmeckt gut", sagt ein Mann aus Aserbaidschan und hebt den Daumen. Alles gut also im Deggendorfer Transitzentrum? Es ist Mittwoch, kurz nach halb zwölf, die Kantine ist fast leer.

Rund 150 Flüchtlinge aus Sierra Leone halten nach eigenen Aussagen Hungerstreik, seit vergangenem Freitag schon. Sie wollen nichts mehr essen und schlafen aus Protest auf der Straße. Sie wollen nicht mehr warten, dass sich etwas ändert. An diesem Mittwoch tragen sie ihren Protest auf die Deggendorfer Straßen. Mit Plakaten und Megafonen. Sie wollen raus aus der Tristesse im Transitzentrum.

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Seit der Hungerstreik bekannt ist, wabern Fragen durch die Öffentlichkeit: Wie schlimm sind die Zustände im Transitzentrum wirklich? Wie ernst meinen es die Flüchtlinge mit dem Hungerstreik? Was wollen sie damit bezwecken?

Dieser Mittwoch in Deggendorf hat viele Antworten zu bieten, aber wenig Gewissheit. Der Protest beginnt um 10.35 Uhr, da ziehen die 150 Männer, Frauen und Kinder los. "Wer uns nach Italien abschiebt, wirft uns auf die Straße", sagt einer der jungen Flüchtlinge aus Sierra Leone. Seinen Namen will er nicht sagen, keiner will das. Sie fürchten um ihren Rest an Bleibeperspektive, wenn sie offen die deutsche Asylpolitik beklagen.

Und sie fürchten Italien. Dort sind sie die meisten von ihnen hergekommen - und dorthin müssten sie als "Dublin-Fälle" zurück, weil sie in Italien erstmals europäischen Boden betreten haben. "In Italien mussten wir in Bahnhöfen schlafen oder auf der Straße", sagt der junge Mann, in Italien würden Frauen und Kinder in die Prostitution getrieben.

Solche Aussagen sind es, die manchen Einheimischen stutzig machen: Wenn es in Italien so schlimm ist, wieso schimpfen die Flüchtlinge über das Land, das sie nun besser behandelt? Weil besser nicht gleich gut ist, sagen die Flüchtlinge. Viele klagen über die engen Zimmer, mangelnde Hygiene und schlechtes Essen im Deggendorfer Transitzentrum.

Die Regierung von Niederbayern, die Betreiberin des Zentrums, hält dagegen: Für die Hygiene seien die Bewohner auch selbst verantwortlich. Hans-Jürgen Weißenborn, Caritas-Chef in Deggendorf, wiederum sagt: "Wenn acht Leute auf 15 Quadratmetern leben, kann man von Hygiene nicht mehr reden."

Während die Flüchtlinge am Mittwoch durch die Straßen ziehen, lädt die Regierung von Niederbayern die Presse zum Rundgang durchs Transitzentrum. Die Öffentlichkeit soll sehen, dass alles in bester Ordnung ist. Man läuft beim Rundgang auf grauem Fußboden zwischen kahlen Wänden, durch lange Gänge und unter kaltem Röhrenlicht.

Man spürt sofort, warum hier keiner gerne lebt. Andererseits: Das Essen sieht okay aus, die Toiletten sind sauber, die Flure frisch gewischt. Also doch alles halb so schlimm? "Die wissen ja, dass Journalisten kommen. Deswegen haben sie sauber gemacht", sagt einer der Flüchtlinge.

Am Rundgang nimmt auch Christine Kamm teil, asylpolitische Sprecherin der Landtags-Grünen. Zweimal täglich werde geputzt, sagt die Regierung, aber auch Kamm machen die feuchten Böden und der Geruch von Reinigungsmitteln misstrauisch: "Die reale Situation ist eine ganz andere." Nur: Wer will das so genau wissen? Die reale Situation kennen nur die Bewohner und die Betreiber des Zentrums - und beide sagen ganz unterschiedliche Dinge. Viele Antworten, wenig Gewissheit.

Dann sagt Kamm einen Satz, der wohl das eigentliche Problem trifft: "Für kurze Zeit ist das hier vielleicht erträglich." Aber 24 Monate, sagt Kamm, seien eben keine kurze Zeit. Bis zu 24 Monate nämlich müssen die Flüchtlinge im Transitzentrum ausharren, bis sie in eine normale Gemeinschaftsunterkunft kommen - oder eben abgeschoben werden. Denn dafür hat die Staatsregierung das Zentrum eingerichtet: um Asylverfahren zu beschleunigen und Asylbewerber mit geringer Bleiberecht zügiger abschieben zu können.

Nicht das Essen ist das Kernproblem

Ob nun das Putengeschnetzelte allen schmeckt, hält auch Gottfried Rösch nicht für das Kernproblem. Schon lange kümmert sich der evangelische Pfarrer um die Menschen im Transitzentrum. Worunter die Flüchtlinge wirklich leiden, findet er, das könne ein Rundgang durch Zimmer und Toiletten nicht sichtbar machen, das könne nur spüren, wer dort lebt. Das Gefühl der "Entmündigung", sagt Rösch.

"Allein wenn sie nicht selber kochen dürfen, ist das eine Katastrophe." Auch Privatsphäre gebe es nicht, wenn so viele Menschen ein kleines Zimmer teilen. Und dann, sagt Rösch, sei da das Gefühl der Perspektivlosigkeit. Es gibt zwar Unterricht, aber nur Sprachunterricht und nur für Bewohner zwischen sechs und 20 Jahren. "Viele junge, begabte Männer, die arbeiten wollen, können nur herumsitzen", sagt Rösch. "Das ist schlimm."

Auch für die Flüchtlinge, die an diesem Mittwoch protestieren, geht es in Wahrheit um mehr als um Putengeschnetzeltes und den Zustand der Toiletten. "Stop deportation", rufen sie durch die Deggendorfer Straßen. Und: "No 24 months in this camp." Sie wollen, dass die Abschiebungen aufhören, wollen eine Perspektive, wollen keine zwei Jahre warten, bis sie (vielleicht) Licht sehen am Ende der langen, kahlen Flure des Transitzentrums. Nur: Ob ein Hungerstreik das richtige Mittel ist?

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"Das ist der einzige Druck, den wir ausüben können", sagt einer der Flüchtlinge. Er erzählt, dass auch schwangere Frauen und Kinder hungern. "Die meinen das sehr ernst mit dem Hungerstreik", sagt Pfarrer Rösch. Aber dass Schwangere und Kinder mitmachen müssen, "das geht nicht", da müsse das Jugendamt einschreiten. Ein Flüchtling dagegen sagt: "Wenn wir sterben, dann sterben wir alle zusammen."

© SZ vom 21.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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