Süddeutsche Zeitung

Hungerstreik von Asylbewerbern in Würzburg:Gefangen in einem freien Land

Neun iranische Asylbewerber sind seit neun Tagen im Hungerstreik und protestieren damit gegen ihre Asylbedingungen in Würzburg. Wenn auch nicht von der Politik, so erhalten sie doch viel Zuspruch - auch von Menschen, die Ähnliches erlebt haben.

Olaf Przybilla

In Bad Griesbach hat Yadollah Davoudi die Geschichte über die Iraner im Hungerstreik gelesen, die Erschütterung über den Fall in Würzburg ist ihm noch anzumerken. Davoudi, 50, humpelt, sein Knie musste bei einem Spezialisten in Niederbayern behandelt werden, jetzt ist es ruhiggestellt.

Die neun Asylbewerber in Würzburg aber wollte der Arzt unbedingt besuchen, von Niederbayern ist er also nach Unterfranken gefahren. Anhand dieser Geschichte, sagt Davoudi, laufe seine eigene Vergangenheit nochmals wie ein Film vor ihm ab. Auch er ist aus Iran geflohen, vor 28 Jahren. Auch er lebte nach der Flucht für Monate in einer Sammelunterkunft, eine furchtbare Zeit. Aber: Davoudi wurde damals als politischer Flüchtling anerkannt.

Es ist die zweite Woche, der neunte Tag in Würzburg, an dem die Iraner vor dem Rathaus hungern. Natürlich, man sei geschwächt, sagt Hassan Hosseinzadeh, Bauchschmerzen stellten sich ein, Kopfschmerzen. Die Kraft aber lasse kaum nach, "wir beziehen die Energie aus den Reaktionen, die wir erfahren". Von Menschen wie dem Arzt Davoudi.

Hosseinzadeh hat das nicht erwartet, diese Zuwendung der Leute. Vor allem aber hat er nicht erwartet, dass so viele Passanten völlig verblüfft sind über Schicksale wie das seine. Wie kann das sein in Deutschland, fragen ihn diese Menschen, wie kann das vor allem im reichen Bayern sein, dass einer wie er seit fast fünf Jahren in einer Gemeinschaftsunterkunft - einer ehemaligen Kaserne - sein Leben fristen muss. Ohne Perspektive. Ohne arbeiten zu dürfen. Ohne dass ihm jemand sagen könnte, wann er aus diesem scheußlichen Areal am Stadtrand ausziehen kann. Und ob er dort überhaupt irgendwann rauskommt.

Hosseinzadeh hat die Opposition in Iran unterstützt, er wurde eingesperrt. Nach drei Wochen konnte er aus der Haft fliehen. Im Jahr 2007 kam er nach Zirndorf, ins Sammellager. Von dort aus wurde er nach ein paar Monaten in die ehemalige Kaserne nach Würzburg verlegt. Seither gilt er als "Geduldeter". Seit fast fünf Jahren: geduldet in Bayern.

Die Geschichte des Arztes Davoudi verlief ähnlich. Auch Davoudi hat damals die Opposition in Iran unterstützt. Auch Davoudi kam ins Gefängnis. Und auch Davoudi flüchtete aus seinem Heimatland. Zu Fuß überquerte er die Grenze, die Einzelheiten seiner Flucht sind abenteuerlich. 1984 kam er nach West-Berlin, von dort wurde er in eine Sammelunterkunft nach Rheinland-Pfalz verlegt. Diese Monate in der Ungewissheit, diese Monate, in denen alles, auch das Schlimmste, möglich zu sein schien, gehören zum Furchtbarsten, was Davoudi - damals 23 Jahre alt - erlebt hat, sagt er. Ein Leben am Abgrund, wie das der Hungerstreikenden in Würzburg. Mit einem Unterschied: Im Frühling 1985 wurde Davoudi als politischer Flüchtling anerkannt. Nach der Facharztausbildung in Würzburg ist der Urologe heute Spezialist für roboterassistierte Operationen.

Davoudi wirkt nicht wie einer, der anderen aufdrängt, wie viele Steuern er zahlt. Im Angesicht des Würzburger Falles müsse das aber mal sein, sagt er. Davoudi leitet eine Praxis in Wuppertal mit sieben Angestellten, eine knapp sechsstellige Summe an Steuern zahlt er im Jahr. Er sage das deshalb, weil er gelesen hat, was Kommentar-Schreiber im Internet über einen Fall wie den von Hosseinzadeh äußern - und er kennt die Argumente dieser Leute nur zu gut: Man könne doch nicht die ganze Welt retten, das koste den Steuerzahler viel Geld. Oder: Das Leben in einer ehemaligen Kaserne sei so schlecht sicher nicht. Und: Es werden wohl auch wirtschaftliche Argumente sein, die einen wie Hosseinzadeh nach Deutschland getrieben haben.

Hosseinzadeh hat sein damals dreijähriges Kind in Iran zurückgelassen. "Leute, die in so einem Fall von einem Wirtschaftsflüchtling reden, machen mich unglaublich wütend", sagt Davoudi. In den Augen mancher Leute war auch er das: ein Wirtschaftsflüchtling. Heute kann man sagen, dass das Land ziemlich profitiert von diesem Flüchtling.

Auf zwei Wochen haben die Iraner ihren Hungerstreik angelegt, möglicherweise aber wird ihr Zelt noch länger vor dem Würzburger Rathaus stehen. Inzwischen interessieren sich immer mehr Menschen dafür, unter welchen Umständen die Flüchtlinge leben. Mehrere Abgeordnete haben die Iraner besucht, am Dienstag forderten die Grüne Jugend und die Jungen Liberalen Konsequenzen: Asylsuchende müssten individuell, nicht in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht werden, die Residenzpflicht gehöre abgeschafft, auch Essenspakete solle es nicht länger geben.

Die Hungerstreiks in den Unterkünften in Bayern häuften sich. "Es ist empörend, dass politische Flüchtlinge keine andere Möglichkeit sehen, auf ihre Situation aufmerksam zu machen", sagt Miriam Werner, Sprecherin der Grünen Jugend Bayern. Im Januar hatte sich ein iranischer Asylbewerber in Würzburg das Leben genommen.

Die Hungerstreikenden hoffen noch immer, dass Sozialministerin Christine Haderthauer nach Würzburg kommt und sich ein Bild von den Umständen macht. Die CSU-Politikerin hat das bereits abgelehnt. In die frühere Kaserne in Würzburg seien in jüngerer Zeit 1,2 Millionen Euro investiert worden, die Bedingungen dort hätten sich deutlich verbessert. Das Gefühl, im Gefängnis zu leben, mit schönerer Farbe und besseren Türen, habe man trotzdem, sagt einer der Iraner.

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SZ vom 28.03.2012/wib
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