Süddeutsche Zeitung

Hundert Tage Regierung Söder:Ein Brandbrief stört das Selbstlob

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder ist mit sich äußerst zufrieden. Der frühere CSU-Fraktionschef Alois Glück indes blickt fassungslos auf die Entwicklung seiner Partei

Von Wolfgang Wittl

Hundert Tage steht Markus Söder als Ministerpräsident an der Spitze des Freistaats, und wie könnte er ein erstes Fazit seiner Amtszeit stilgerechter zelebrieren als mit einem Weißwurstfrühstück? Söder hat am Freitag in die Staatskanzlei eingeladen, doch sein Resümee zielt weit über Bayerns Landesgrenzen hinaus. Im Grunde gehe es ja um 200 Tage, sagt er: 100 Tage in Bayern, 100 Tage große Koalition in Berlin. Man muss kein Prophet sein, um zu erahnen, wer in der Bilanz besser wegkommt. Doch auch Söder muss sich heftige Kritik gefallen lassen - sie kommt nicht nur von der Opposition, sondern auch aus seiner CSU.

Sich und seiner Mannschaft erteilt Söder gute Zensuren. Von den 100 Projekten, die er in seiner ersten Regierungserklärung angekündigt hat, seien zwei Drittel bereits in Angriff genommen: "62 sind entweder beschlossen, schon umgesetzt oder die Umsetzung ist auf den Weg gebracht worden." An der Stelle lohnt sich für ihn der erste Blick auf die Bundesregierung, die ähnlich lange im Amt ist: "In Bayern wird regiert und konsequent entschieden und nichts auf die lange Bank geschoben. Wir sind das Gegenmodell zu Berlin."

Auch der zweite Blick fällt nicht freundlicher aus: "Eher ein Mühlstein" sei Berlin für den Landtagswahlkampf der CSU, belastend und schwer. Der erbittert geführte Asylstreit müsse daher schnell entschieden werden, fordert Söder. Eine Prognose zu den EU-Gipfelgesprächen und den sich daraus ergebenden Folgen will er nicht abgeben. Die Ergebnisse abwarten, dann bewerten, das ist der Plan. Aber fest steht für Söder: Die Berliner Auseinandersetzung über die Flüchtlingspolitik spiele "eine zentrale Rolle für die Glaubwürdigkeit und Entscheidungskraft" auch in Bayern.

An diesem Sonntag trifft sich Angela Merkel in Brüssel mit mehreren europäischen Regierungschefs, um über die Zuwanderungsfrage zu beraten. Ende nächster Woche kommen alle EU-Mitgliedsstaaten zusammen. Bis dahin hat die CSU der Kanzlerin eine Frist gesetzt: Sollte Merkel ohne Ergebnisse zurückkehren, will Bundesinnenminister Horst Seehofer an deutschen Grenzen mit der Zurückweisung von Asylbewerbern beginnen, die bereits in anderen EU-Ländern registriert worden sind. Merkel lehnt diese Pläne ab und hat bereits vorsorglich auf ihre Richtlinienkompetenz verwiesen.

Richtlinienkompetenz? Er sehe das ganz wie Seehofer, sagt Söder. Das sei doch wohl eher eine verfassungsrechtliche Frage, die sich hier gar nicht stelle. Die CSU wappnet sich schon jetzt für die nächste und vielleicht letzte Runde in diesem zähen Kampf. Für Sonntag, 1. Juli, hat sie eine Vorstandssitzung angesetzt, umgehend nach Merkels EU-Gipfel will sie die weitere Strategie besprechen. Kommt es dann zum Bruch mit der CDU?

Für den liberalen Flügel in der CSU wäre dies "Wahnsinn" und "Bankrotterklärung", wie einer seiner Vertreter sagt. Offen äußert sich im Moment kaum jemand, zu groß ist der interne Druck vor der Landtagswahl, zu aufgeheizt die Stimmung in den Gremien, die jede Verschärfung im Flüchtlingsstreit einstimmig durchgewinkt haben. Auch Söder lobt am Freitag den Zusammenhalt in der CSU. "Wir sind so einig und geschlossen, wie wir es seit Jahren nicht waren." Partei und Staatsregierung agierten wie "aus einem Guss", seine Zusammenarbeit mit Parteichef Seehofer funktioniere so gut wie lange nicht.

Und doch sind die Reihen der CSU nicht so fest, wie man meinen möchte. Vor allem die Älteren mit jahrzehntelanger Erfahrung blicken fassungslos auf die Eskalation im Flüchtlingsstreit. Der frühere Fraktionschef Alois Glück hat führenden Köpfen seiner Partei einen Brandbrief geschrieben, in dem er sie tadelt, dass die CSU ihre "beachtlichen Erfolge in der Korrektur der Flüchtlingspolitik" plötzlich verschweige. Stattdessen werde "um jeden Preis" eine "Asylwende" gefordert. "Damit wird eine Dynamik des Konflikts zwischen den Unionsparteien und mit der Bundeskanzlerin geschürt, den bald niemand mehr beherrschen kann", schreibt Glück. Auf Nachfrage will er sich nicht äußern, er lehnt jedes Interview ab. Doch der Brief hat in der Partei Kreise gezogen, er liegt der SZ vor. Den historischen Bruch mit der CDU bezeichnet Glück inzwischen als "reales Risiko", da helfe später auch nicht ein "das haben wir nicht gewollt". Der Preis für Bayern, Deutschland und Europa sei dann "unermesslich hoch".

Auch Söder muss sich massive Kritik gefallen lassen für seine Betonung des Nationalstaats. Ohne die Namen Trump und Putin zu nennen, stellt Glück den Ministerpräsidenten mit ihnen in eine Reihe: "Es bedarf hier keines besonderen Hinweises, welche Akteure in der internationalen Politik diese Linie vertreten und wie sehr wir uns bisher dagegen gestellt haben." Söders Linie sei eine Absage an die in diesen Zeiten mehr denn je wichtige Kursbestimmung von Franz Josef Strauß: "Bayern ist unsere Heimat, Deutschland unser Vaterland, Europa unsere Zukunft."

Natürlich sei die Landtagswahl und das Meinungsbild in den Umfragen ein wichtiger Faktor, räumt Glück ein. "Aber was begründet die Erwartungen, dass die CSU mit diesem Konfliktkurs bei der Landtagswahl mehr Zustimmung bekommt als gegenwärtig in den Umfragen?" Es gebe auch viele Anhaltspunkte, schreibt Glück, die dafür sprächen, "dass die Verluste in der bisherigen Wählerschaft größer sein werden als der Zugewinn".

Auch der Ehrenvorsitzende Theo Waigel mahnt seine Partei zur Besonnenheit. "Wer mit dem Gedanken spielt, eine bundesweite CSU könne 18 Prozent erreichen, während die CDU nur noch auf 22 Prozent kommt, ist blind für die Realität und töricht in der Strategie", schrieb er in einem Gastbeitrag im Münchner Merkur. Das Auseinanderfallen von CDU und CSU "würde nicht nur eine Krise der Unionsparteien und der regierenden Koalition bedeuten, sie könnte der Beginn einer gefährlichen Staatskrise sein, die an die Zeiten von 1929 bis 1932 erinnert". CDU und CSU "würden sich im Bruder- und Schwesterkampf verhaken zum Nutzen der politischen Gegner und zum Ergötzen der radikalen Rechten". Waigel hält den Konflikt aber noch für lösbar.

Söder sagte am Freitag, die Landtagswahl am 14. Oktober werde erst in den letzten Tagen entschieden. "Ich halte alles für möglich - alles." Entscheidend sei, "dass man langen Atem hat und gute Nerven. Und das hat man nur, wenn man von seiner Arbeit überzeugt ist." SPD, Freie Wähler und Grüne sind jedoch überzeugt, dass Söder einen "Fehlstart" hingelegt habe. Er spalte das Land und treibe die CSU in Berlin "bewusst in den Koalitionsbruch", um seine Wahlchancen zu erhöhen.

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Quelle:
SZ vom 23.06.2018
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