Hubert Aiwanger will nach Berlin:Mission Bundestag

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Hubert Aiwanger will seine Freien Wähler mit prominenter Hilfe in den Bundestag führen. Doch in der Partei schlägt ihm nicht nur Bewunderung entgegen, sondern auch offene Ablehnung. Die Kritik scheint den Parteichef nur noch mehr zu motivieren.

Mike Szymanski

Es ist Mittagszeit bei den Aiwangers. In der Küche klappern die Pfannen, und der Hubert, 41, sitzt gegenüber am langen Holztisch in der Stube. An der Wand hängt ein Kreuz, auf dem Tisch dampft das Schnitzel. Das Handy hat Sendepause, weil es auf dem Aiwanger-Hof im niederbayerischen Rahstorf nur draußen am Fischteich Empfang gibt.

Hubert Aiwanger auf Mission: Im nächsten Jahr will er mit seinen Freien Wählern bei der Bundestagswahl antreten. Zweifel am Erfolg lässt er nicht zu. (Foto: dapd)

Hier drinnen sendet jetzt nur einer, Aiwanger: "Ich bin ein Weltverbesserer-Typ, muss ich sagen." Und dieser Satz vom Chef der Freien Wähler steht erstmal so schwer im Raum wie der selbst gemachte Kartoffelsalat, den Mutter Aiwanger auftischt. Weltverbesserer? Kleiner geht es für Aiwanger nicht.

Er ist Bauer und - wenn man so will - ist er die Freien Wähler. Aiwanger ist deren Bundesvorsitzender, er ist deren Landeschef in Bayern, und er führt die 20-köpfige Fraktion im Landtag. Politik macht er hemdsärmlig wie ein Landwirt: "Man muss das Feld nur beackern", sagt er. Am Samstag zieht er wieder aufs Feld. "ESM stoppen" - steht auf Plakaten der Parteifreien. Sie wollen auf dem Münchner Stachus gegen die milliardenschweren Rettungspakete demonstrieren. Das "E" in ESM sieht aus wie das Euro-Zeichen und symbolisiert: Das wird teuer.

Aiwanger hat Europa-Skepsis ausgesät. Am Samstag will er nun die Ernte einfahren: den Protest der Bürger.

Die Parteifreien sind kaum wiederzuerkennen. Sie kommen von ganz unten - aus den Gemeinde- und Kreisräten. Kommunalpolitiker, mit denen man über Gebührenordnungen und Abwasserzweckverbände diskutieren kann. Und jetzt macht Aiwanger seit einigen Wochen auf ganz große Politik.

Nächstes Jahr will Aiwanger mit seinen Freien Wählern bei der Bundestagswahl antreten. Am 16. Juni entscheidet eine Bundesmitgliederversammlung über das in den eigenen Reihen höchst umstrittenes Vorhaben. Es geht um nichts weniger als das Selbstverständnis der Freien Wähler. In der Kommunalpolitik sind die Parteifreien eine feste Größe. Etwa jeder dritte Bürgermeister ist ein Parteifreier.

Aber Aiwanger reicht das schon lange nicht mehr. Er will das ganz große Rad drehen. 2008 wollte er es nur der CSU zeigen. "Seitdem ich mich für Politik interessiert habe, habe ich die CSU als unehrlich empfunden", erzählt er am Mittagstisch. Mit sensationellen 10,2 Prozent zogen die Freien Wähler damals in den Landtag ein und zwangen die CSU in eine Koalition mit der FDP. Trotzdem nimmt die CSU ihn nicht ernst und behandelt ihn wie einen Bauerntölpel. Jetzt will Aiwanger auch allen anderen beweisen, was er kann und will nach Berlin. Aiwanger ist auf einer Mission.

Seine Anhänger führt er damit an den Rand einer Zerreißprobe. Neue Inhalte müssen her, und neue Gesichter: Vor einigen Monaten ging Aiwanger unter die Bosse und verpflichtete den früheren Industrieverbandschef Hans-Olaf Henkel als Mitstreiter. Im vornehmen Haus der bayerischen Wirtschaft in München diskutierten sie über außer Kontrolle geratene Finanzmärkte. Nächste Woche will Aiwanger "keinen geringeren" als den Adenauer-Enkel Stephan Werhahn als Unterstützer präsentieren. Wie Trophäen zeigt er seine neuen Helfer her.

Derweil wächst an der Basis das Unbehagen. Henkel ein Parteifreier? Europa-Skepsis als Programm? Passt das? "Nicht so arg", sagt Josef Rid, Bezirkschef in Schwaben und Landwirt. "Wir wollen keine Protestwähler einsammeln." Walter Schnell, Bezirkschef in Mittelfranken, beschreibt erste Spaltungstendenzen: "Es wird Freie Wähler geben, die sich kommunal betätigen und andere, die sich überregional betätigen." Der Großteil der Freien Wähler im benachbarten Württemberg weigert sich bereits, mit Aiwanger in Richtung Berlin zu marschieren. "Egomane" nennen sie ihn dort.

Aber das ficht Aiwanger nicht an. Genauso wenig wie das Erstarken der Piraten, das den Freien Wählern Stimmen kostet und die Wahlschlappen der Freien Wähler bei den jüngsten Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen (0,2 Prozent), Schleswig-Holstein (0,6 Prozent), Saarland (0,9 Prozent), die ein Antreten bei der Bundestagswahl als aussichtslos erscheinen lassen. "Schwache Landesverbände", spielt er die Rückschläge herunter. "Die Freien Wähler treten an", sagt er. "Das Ding ist eigentlich durch."

Als Chef auf allen Ebenen regiert er durch - mit harter Hand: Als vergangene Woche Gabriele Pauli nach zahlreichen Eskapaden und ihrem Ausschluss aus der Fraktion 2009 um eine zweite Chance bat, servierte er sie ab. "Wir wollen sie nicht bei uns haben", entschied er. Aiwanger benutzt Themen wie Leute. Natürlich würde er lieber im Wahlkampf über Kommunalfinanzen reden, davon verstehen die Parteifreien etwas, sagt er. "Aber für die große Masse ist das nicht interessant genug." Also wettert er gegen die Griechenland-Hilfe - da kann jeder mitreden. Und Henkel und der Adenauer-Enkel sind gut, um in Talkshows eingeladen zu werden. Das räumt er so offen ein.

In der Partei schlägt ihm Bewunderung wie offene Ablehnung entgegen. "Er arbeitet wie ein Berserker", sagt etwa Niederbayerns Bezirkschef Heinrich Schmidt. Walter Schnell aus Mittelfranken nennt Aiwanger ein "Alphatier", er ziehe die Macht einfach an sich. Seiner Brachial-Politik haben die Freien Wähler viel zu verdanken. Sie hinterlässt aber auch Opfer, die zu Feinden werden: Aus Protest trat im Januar der Landesvorstand der Nachwuchsorganisation Junge Freie Wähler zurück.

Mitte März warf Bundesgeschäftsführerin Cordula Breitenfellner hin: mangelnde Teamfähigkeit warf sie ihm unter anderem vor. Noch deutlichere Worte fand wenige Wochen später Bernd Richter, Justiziar im Bundesvorstand, nach seinem Rückzug: "Charakterlosigkeit." Aiwanger solle bitteschön zurücktreten.

Zurücktreten? Zweifel an seinem Kurs? Wie Krümel wischt er das vom Tisch.

© SZ vom 01.06.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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