Hospize in Bayern:Schutzraum für die letzten Tage

  • In Bayern gibt es 16 Hospize mit insgesamt 162 Betten für unheilbar kranke Menschen. Hinzu kommen Palliativstationen an Kliniken und 31 Palliativteams.
  • Die Pflegekräfte wollen den sterbenden Menschen das Leben in ihren letzten Wochen und Monaten so angenehm wie möglich machen.
  • Krankenkassen und Spenden finanzieren die Hospize im Freistaat.

Von Tina Baier, Polling

Kurz bevor ein Mensch stirbt, will sein Körper keine Nahrung mehr aufnehmen. Barbara Rosengart und Schwester Angela wissen das und zwingen niemanden zum Essen. Rosengart ist stellvertretende Leiterin des Hospizes Pfaffenwinkel im oberbayerischen Polling; Schwester Angela leitet den ambulanten Dienst, dessen Mitarbeiter sterbenskranke Menschen daheim betreuen. "Bei uns wird niemand künstlich ernährt", sagt Rosengart. Und wenn ein Nierenkranker keine Dialyse mehr möchte, wird auch das respektiert.

Im Hospiz im Kloster Polling, das kürzlich von acht auf zehn Betten ausgebaut wurde, geht es darum, dass die Menschen in Würde sterben können. "Das bedeutet unter anderem, dass sie möglichst beschwerde- und schmerzfrei sind, und dass sie bis zum Schluss selbst über ihr Leben bestimmen dürfen", sagt Renate Dodell, Vorsitzende des Hospizvereins im Pfaffenwinkel. Für die "Gäste" - der Begriff "Patient" wird in Polling bewusst vermieden - gibt es keine Routine. "Jeder schläft, solange er will und frühstückt, wenn ihm danach ist", sagt Dodell. Jeder sucht aus, in welcher Bettwäsche er schlafen und welche Bilder er an der Wand haben möchte. Es gibt sogar ein Raucherzimmer, das auch Gäste mit Lungenkrebs nutzen dürfen. "Wir wollen den Menschen in ihren letzten Lebenswochen nicht vorschreiben, was sie zu tun oder zu lassen haben", sagt Dodell. Im Schnitt sterben die Gäste innerhalb von drei Wochen; die Hälfte sogar innerhalb der ersten beiden Wochen.

16 Hospize gibt es in Bayern

Das Pollinger Hospiz ist eine von 16 solchen Einrichtungen mit insgesamt 162 Betten in ganz Bayern. Außerdem gibt es ein Hospiz für sterbenskranke Kinder in Bad Grönenbach. Das reicht aber bei weitem nicht aus. Um den Bedarf im Freistaat zu decken, wären nach Berechnungen des Gesundheitsministeriums 208 Hospizbetten für Erwachsene notwendig. Die Behörde geht dabei von einem Hospizplatz pro 60 000 Einwohner aus. Dabei gibt es Regionen, die schon sehr gut versorgt sind. In anderen, wie etwa Miesbach, Rosenheim und Berchtesgaden ist die Versorgung aber noch schlecht. Und das, obwohl seit 2007 jeder Bürger ein Recht auf Palliativversorgung hat.

Hospiz Pfaffenwinkel

Im Hospiz Pfaffenwinkel in Polling werden Menschen bis zu ihrem Tod gepflegt.

(Foto: Sonja Marzoner)

Allerdings beschränkt sich die Palliativversorgung in Bayern nicht nur auf Hospize. Daneben gibt es 31 Palliativteams, so genannte SAPVs, die zu den todkranken Menschen nach Hause kommen und sie dort in ihrer vertrauten Umgebung versorgen. Vier weitere SAPVs haben sich auf Kinder und Jugendliche spezialisiert. Außerdem gibt es 48 Palliativstationen mit insgesamt 446 Plätzen in den bayerischen Krankenhäusern. Ausbauziel sind nach Informationen aus dem Gesundheitsministerium etwa 470 Palliativbetten in Krankenhäusern.

Strenge Kriterien für die Aufnahme

Die Aufnahmekriterien für die wenigen Hospizplätze wie in Polling sind streng definiert: Ein Arzt muss unter anderem bestätigen, dass sein Patient alle Voraussicht nach innerhalb "von Wochen oder wenigen Monaten" stirbt, und dass "eine Heilung ausgeschlossen" ist. Die meisten Menschen, die nach Polling kommen, leiden an Krebs; einige haben aber auch neurologische Krankheiten oder eine schwere Lungenerkrankung. Wer einen Platz in Polling bekommt oder vom ambulanten Dienst des Hospizvereins versorgt wird, muss dafür nichts bezahlen. Einen Teil der Kosten übernehmen die Krankenkassen, der Rest wird über Spenden finanziert. Viele Mitarbeiter und auch der Vorstand des Vereins arbeiten ehrenamtlich.

Der Begriff "Palliativmedizin" kommt vom lateinischen Verb "palliare" - schützen, mit einem Mantel umgeben. Während die heilenden Medizin Krankheiten bekämpft, geht es in der Palliativmedizin darum, die Lebensqualität unheilbar Kranker zu verbessern. Dazu gehört aber nicht nur, Schmerzen zu lindern. "Der Mensch als Ganzes wird betrachtet", sagt Christoph Ostgathe, Professor für Palliativmedizin in Erlangen. "Und auch die Angehörigen gehören mit ins Blickfeld."

"Ich versuche, den Menschen zu vermitteln, dass es in Ordnung war, wie sie gelebt haben", sagt Schwester Angela. Am Ende des Lebens sei den meisten wichtig, dass gewürdigt wird, was sie geleistet haben. Damit solche Gespräche überhaupt möglich werden, versucht Schwester Angela sowohl den Gästen als auch den Angehörigen nahezubringen, dass Sterben normal ist und zum Leben dazugehört.

Lebenswerte letzte Tage

Denn der Tod ist für viele Menschen ein Tabuthema. Manche Angehörige hätten solche Angst, einem sterbenskranken Familienmitglied die Wahrheit zu sagen, dass sie behaupten, das Hospiz sei eine Reha, sagt Rosengart. Sie betrachtet es dann als ihre Aufgabe, ehrlich mit den Menschen über ihre Situation zu sprechen, sie aber damit nicht allein zu lassen. Rosengart erinnert sich noch gut an eine todkranke Frau, die es nicht übers Herz brachte, ihrer neunjährigen Tochter zu sagen, dass sie im Hospiz war und bald sterben würde. Als das Mädchen die Mutter fragte, ob sie zu ihrer Kommunion kommen könne, antwortete die Frau, sie könne nicht, weil sie an diesem Tag selbst Geburtstag habe. "Das Mädchen hat geglaubt, dass seine Mutter es nicht mehr lieb hat", sagt Rosengart. In vielen Gesprächen mit Mutter und Tochter sei es dann gelungen, die Situation zu klären.

Hospiz Pfaffenwinkel

Auch im Hospiz geht es nicht ohne Büroarbeit.

(Foto: Sonja Marzoner)

Manche Lebensgeschichten sind auch für die Helfer sehr belastend. Schwester Angela erzählt von einer noch jungen Frau, die gerade ein Baby bekommen hatte und dann in Polling an einem Gehirntumor starb. "Wir waren alle sehr froh, als wir erfuhren, dass ihre Schwester das Baby adoptiert hat", sagt sie. Sieben Jahre später starb dann auch die Schwester an Krebs im Hospiz. "Das Mädchen war gerade mal sieben Jahre alt, als es seine zweite Mutter verlor", sagt Schwester Angela.

Betreuung sterbender Menschen verbessern

Eine große Angst vieler Menschen am Ende ihres Lebens ist es, einsam zu sterben. Nachts, wenn es dunkel ist, ist diese Angst besonders stark. Die Grenze zwischen Leben und Tod verschwimmt und es gibt Momente, in denen Gäste nicht mehr wissen, ob sie noch am Leben sind oder schon tot. In Polling stehen deshalb in der Nacht die meisten Türen offen. "Viele Gäste beruhigt es, wenn sie ab und zu ein Geräusch hören", sagt Rosengart. In den Zimmern selbst gibt es eine Nachtbeleuchtung, damit es nicht ganz dunkel ist. "Es ist immer sofort jemand da", sagt eine krebskranke ältere Dame, deren Zimmer hinten rechts im Hospiz liegt.

Hospiz Pfaffenwinkel

Hell und freundlich ist es in den Räumen des Hospizes.

(Foto: Sonja Marzoner)

Auf einer Expertentagung zum Thema Palliativmedizin, auf der sich kürzlich in der Evangelischen Akademie in Tutzing Mediziner, Theologen und Politiker austauschten, waren sich alle einig, dass neue Gesetze zur Sterbehilfe, wie sie derzeit im Bundestag diskutiert werden, eigentlich nicht nötig wären, wenn stattdessen die Betreuung sterbender Menschen verbessert würde. Der Bundestag will in diesem Jahr neue gesetzliche Regelungen zur Sterbehilfe beschließen. Diskutiert werden verschiedene Vorschläge von der Zulassung ärztlichen Beihilfe zum Suizid bis zum Verbot von Sterbehilfevereinen. Wenn todkranke Menschen sagen, dass sie nicht mehr leben wollen, hängt das nach Erfahrung von Dodell oft mit unerträglichen Schmerzen, Übelkeit oder Luftnot oder der Angst davor zusammen. "Doch dagegen gibt es Medikamente", sagt Dodell.

Die kleinen Dinge werden immer wichtiger

"Sie habe zeitweise solche Schmerzen gehabt, dass sie nicht mehr habe leben wollen, sagt die Dame, die in einem Spezialstuhl sitzt und gerade zu Mittag gegessen hat. Aber hier im Hospiz "lebe ich wie im Himmel". Die Schmerzen seien jetzt erträglich, "meine Kinder kommen jeden Tag zu Besuch, das gibt mir Kraft. Und das Essen ist auch sehr gut". In Polling weiß man, dass es oft die kleinen Dinge sind, die das Leben noch lebenswert machen. In der Küche, die bewusst nicht wie eine Krankenhausküche eingerichtet ist, hängt eine Pinnwand, auf der die Vorlieben jedes einzelnen Gastes vermerkt sind: "Abends gerne Bier", steht hinter einem der Namen; "mag Limo", oder: "hat eigenen Tee und Honig im Zimmer", hinter anderen.

Einem Gast haben sie in Polling einmal die Zähne mit Bier geputzt. Der Mann konnte selbst nicht mehr trinken, wollte aber vor seinem Tod unbedingt noch einmal den Geschmack von Bier im Mund haben.

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