Homosexualität in Bayern:Uwe und Christian auf dem Dorfe

Homosexualität in Bayern: Uwe Brockmann und Christian Korbmann in ihrem Garten. Vor den Toren Münchens leben beide seit vielen Jahren als Paar.

Uwe Brockmann und Christian Korbmann in ihrem Garten. Vor den Toren Münchens leben beide seit vielen Jahren als Paar.

(Foto: Christian Endt, Fotografie & Lic)

Selbst Abgeordnete der CSU haben im Bundestag für die "Ehe für alle" gestimmt. Aber ist Schwulsein in Bayern auch auf dem Land akzeptiert? Drei Männer erzählen.

Von Lisa Schnell

37 Jahre war Christian Korbmann allein, bis er am richtigen Tag in die Sauna ging. Er sah die nackten Männer, wie sie sich ansahen, wie sie ihn ansahen, und er fühlte, was es mit ihm machte. Auf einmal ergab alles Sinn: Warum ihm keine Frau im Dorf gefiel, warum alle fünf Geschwister geheiratet und den Hof der Eltern verlassen haben und nur er nicht.

Mit 37 Jahren bekam er seinen ersten Kuss, spürte die Aufregung der ersten Umarmung. Durch die Tür der Sauna ging Christian Korbmann in eine andere Welt. Eine, in der er nicht mehr alleine war. In der es den Michi gab und den Thomas, aber vor allem den Uwe.

"Uwe Brockmann und Christian Korbmann" steht auf dem Briefkasten der zwei an einem verwitterten Holzhaus in Glonn seit zehn Jahren. Zwei schwule Männer auf dem Dorf - oder wie Korbmann sagen würde: "zwei, die liaba mit Männern beinand sind". Beide sind sie 59 Jahre alt. Korbmann ist der schweigsame Landwirt in Arbeitshose und Birkenstock, der Fragen gerne mit einem Wort beantwortet.

Brockmann ist der, der die Stille mit Geschichten füllt. Wie er früher noch Glitzerkleidchen und Pumps getragen hat, wie er jetzt die Kinder im Dorf über die Vorzüge von Kondomen aufklärt und dem Nachbar klar machen will, dass die Kirche Schwule diskriminiert.

Alles kein Problem, kein Getuschel, kein Geraune. Und das in einem Dorf, in dem jeder jeden kennt. Wo im Landkreis Ebersberg mehr als 43 Prozent die CSU wählen, für die Schwule einmal eine "schrille Minderheit" waren. Jetzt aber hat die CSU einen Wagen auf dem Münchner Christopher Street Day (CSD). Was in den Achtzigern noch eine Protestbewegung für Gleichberechtigung war, erinnert nun immer mehr an einen Wettbewerb, wer das schönste Lederhöschen trägt.

Wogegen soll man auch noch protestieren, wenn selbst sieben Abgeordnete von der CSU im Bundestag für die Ehe für alle stimmen? Wer 2017 wissen will, wie es in Bayern Männern geht, die Männer lieben, der trifft Paare wie Korbmann und Brockmann. Der hört, dass vieles besser geworden ist, selbst auf dem Land. Man trifft aber auch Männer wie Daniel Janisch, der nicht Daniel Janisch heißt. Der ein Doppelleben führt und Angst hat, in seinem Dorf zum Gespött zu werden. Wie haben sie es in Glonn geschafft, und wovor hat Janisch so Angst? Zwei Geschichten, die zeigen, wie weit Bayern gekommen ist und wie lang der Weg noch ist.

Wenn jemand fragt, wer sein Freund sei, sagt Korbmann: "mein Mitbewohner". Auch er wollte am Anfang nicht mit vollem Namen in der Zeitung stehen. Wer weiß, wie das die Landwirte finden, bei denen er arbeitet? Er erinnert sich noch gut, als er zum ersten Mal hörte, was manche von Menschen wie ihm hielten. Es waren die Siebziger, die Hosen hatten Schlag und die Tapeten LSD-Muster. Korbmann ging damals gern tanzen im Wirtshaus, Bälle von der Feuerwehr oder einem Verein.

Er drehte sich zum Disco-Fox, wohl das einzige Mal, dass er eine Frau in den Armen hielt, da hörte er laute Buh-Rufe. Zwei Männer hatten es gewagt, als Paar zu erscheinen. Sie waren sofort wieder weg. Dass er selbst auch so einer war, wusste er damals noch nicht. Es vergingen zwanzig Jahre, manche würden die Zeit einsam nennen. Korbmann nicht. Er genießt die Zweisamkeit, aber er braucht sie nicht. Viel Arbeit, Familie, das war sein Leben. Und dann fuhr er in die Sauna nach Bad Aibling.

Manchmal traf er einen aus der Sauna auf der Straße. Ein kurzes Nicken, ein knappes Servus, und das war's. Dass er gern mit Männern "beinand" ist, hat er niemandem gesagt, nicht seinen Freunden, nicht der Familie. Vielleicht, weil er kein Mann ist, der viel redet. Vielleicht, weil man über "so was" eben nicht spricht. Was seine Mutter dachte, wenn manchmal ein Mann bei ihnen übernachtete, weiß er nicht. Sie haben nie darüber gesprochen. In München wäre wohl alles anders gewesen, offener. Aber Korbmann ist die Stadt einfach zu laut.

Schwulsein war das Letzte, was er sein wollte

Und dann kam Uwe. An einem heißen Tag im Mai saßen sie zum ersten Mal auf seiner orangefarbenen Decke an der Isar. Ein halbes Jahr später zog Brockmann nach Glonn. Er, der mit 16 den ersten Freund hatte, sich im kleinen Schwarzen durch die Szene feierte, sollte auf's Land. Eine Hexenjagd habe er erwartet, sagt Brockmann, aber nicht erlebt. Er weiß noch, wie er das erste Mal mit Großfamilie Korbmann bei Kaffee und Kuchen in der Küche saß, unterm Kruzifix. Kein betretenes Schweigen, keine komischen Blicke.

"Ah, du bist der Uwe", hieß es, und von jetzt an war er einfach immer dabei. Warum der eigene Sohn oder der Bruder jetzt mit einem Mann zusammen ist, wie es ihm all die Jahre ging, darüber wurde nie gesprochen. Korbmann findet das nicht schlimm. Sie können sich noch erinnern, wie Peter Gauweiler Männer wie sie "absondern" wollte. Warum heute noch jemand Angst hat, offen schwul zu leben, kann Brockmann nicht verstehen. Sein Freund schon. "Man muss bereit sein", sagt er.

17 Jahre nach dem ersten CSD in München wurde Daniel Janisch geboren. Er war zwölf, als Deutschland einen schwulen Außenminister bekam, er war 14, als im Fernsehen der erste Bauer seinen Mann suchte. Und trotzdem: Janisch ist noch nicht bereit. Oder nur halb. Es kommt darauf an, wo man ihn trifft. In einem Café in München sitzt ein hochgewachsener 20-Jähriger, bartlose weiche Wangen, feine Gesichtszüge, schlanke Glieder.

Janisch erzählt von seinem Freund, den er seit zwei Jahren hat. Die Nachbarn hören mit. Es stört ihn nicht. Nicht hier, in der Stadt. "Born that way" steht auf dem Aschenbecher auf dem Tisch. In München sind er und sein Freund zwei Männer, die sich lieben. Bei ihm daheim, im Dorf bei Traunstein, spielen sie Kumpel. Nicht einmal umarmt hat Janisch seinen Freund, als er ihn das erste Mal dort vom Bahnhof abholte. Warum?

Schwul, das waren in Janischs Jugend die seltsamen Schuhe oder der uncoole Haarschnitt eines Mitschülers. Schwul war auch der Typ eine Klasse unter ihm. Er lief in Frauenkleidern und geschminkt durch die Schulgänge. "Schwuchtel" nannten ihn die anderen. Nein, Schwulsein war das Letzte, was Janisch sein wollte. Doch er ahnte, dass er das nicht entscheiden konnte. In der siebten Klasse fing Janisch an, Pornos zu schauen. Die Frauen interessierten ihn nicht, die Männer schon. Niemand durfte von seinem Geheimnis wissen.

Janisch ist noch nicht so weit

"Na, hast du noch keine Freundin?", fragte die Tante an Weihnachten. Janisch schüttelte stumm den Kopf. Wenn es irgendwie um Schwule ging, erstarrte er, machte innerlich die Augen zu und zählte die Minuten, bis die Gefahr vorbei war. "Sieht das schwul aus?", fragte er sich bei allem, was er kaufte. Ständig rechnete er damit, entdeckt zu werden. Dann würde sich der Boden unter ihm auftun und ihn verschlingen, das war klar. An einem dunklen Ort aber war er auch so schon. Er wurde älter, er wusste, er ist schwul, und er wurde still.

Und das, obwohl er sicher war, seine Familie würde ihn genauso lieben. Aber in seinem Dorf waren Männer eben nicht "beinand". So jemanden wie ihn gab es dort nicht, da war er sicher. Dass das nicht stimmt, entdeckte er mit 18, nicht in der Sauna, sondern im Internet auf einer Seite für junge Schwule. Dort traf er seinen Freund. Nur Janischs Familie und engste Freunde wissen von ihm. Seine Mutter umarmte ihn und fragte, wie sie ihm hätte helfen können.

Geholfen hätte, wenn schwul nicht immer nur ein anderes Wort für "scheiße" gewesen wäre, wenn er ein Paar wie Korbmann und Brockmann gekannt hätte, sagt Janisch. Er selbst geht in München in Schulen, um über Homosexualität zu sprechen. Dort sitzen immer ein paar, die schon geoutet sind. In der Stadt sei das Klima offener, einfach, weil es Schwule im Alltag gebe, sagt Janisch.

Aber könnte er selbst nicht etwas verändern? Sein Dorf offener machen, in dem er einfach die Hand seines Freundes nimmt? Janisch nickt. "Es ist eine Entwicklung", sagt er. Er ist noch nicht so weit. Mittlerweile umarmt er seinen Freund, wenn er am Bahnhof ankommt. Vielleicht küsst er ihn irgendwann.

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