Süddeutsche Zeitung

Umweltschutz:Holzöfen im Trend: Giftige Gemütlichkeit

In Bayern gibt es immer mehr Holzöfen. Sie stoßen große Mengen an Feinstaub aus, der die Luft in den Städten stärker als der Autoverkehr belastet. Die Politik sieht darüber hinweg.

Von Anton Rainer

Die Gemütlichkeit als Wert an sich hat in den vergangenen Jahren ein Comeback hingelegt. War sie noch in den Neunzigern eine eher anachronistische Tradition, besungen nur in Prosit-Wünschen und Dschungelbüchern, nennt sie sich heute "Hygge" und "Cozy" und hat als hipper Mythos wieder Einzug in deutsche Wohnzimmer gehalten. Duftkerzen und Räucherstäbchen gehören dazu und, natürlich, das knisternde Feuer am offenen Kamin.

Die Rückkehr zur heimeligen Holzheizung schlägt sich auch in den Absatzzahlen nieder: Rund 11,7 Millionen sogenannte Einzelraum-Feuerungsanlagen gibt es derzeit in ganz Deutschland, jährlich werden 300 000 Feuerstätten modernisiert oder neu errichtet. Das ist gut für die Industrie, die sich über die Beliebtheit ihrer Anlagen freuen kann (in jedem vierten Haushalt steht heute ein Kamin- oder Kachelofen), gut für die Politik, die diese Heizungen großzügig fördert und gut für die Reduktion von Treibhausgasen: Holz ist nämlich, wenn es nicht gerade über weite Strecken transportiert wird, fast CO₂-neutral.

Also bringt der hyggelige Heimbesitzer den Kamin zum Glühen - und glaubt, seiner Umwelt damit etwas Gutes zu tun. Ein Irrtum, denn herkömmliche Öfen stoßen große Mengen an Feinstaub aus. Beim Umweltbundesamt etwa geht man davon aus, dass "die Emissionen an gesundheitsschädlichem Feinstaub aus Holzfeuerungsanlagen" bereits heute "insgesamt höher als die aus den Motoren von Pkw und Lkw" sind. Nach einem Rückgang in den Jahren 2010 bis 2014 konnten in Jahr 2016 wieder 22 700 Tonnen Staub auf Kleinfeuerungsanlagen zurückgeführt werden.

"Dass Luftverschmutzung zu gravierenden Gesundheitsproblemen führen kann, ist allgemein bekannt", sagt Ralf Zimmermann, "höhere Feinstaubkonzentrationen in der Außenluft führen nachweislich zu mehr Lungen- und Tumorerkrankungen." Zimmermann hat den Lehrstuhl für Analytische Chemie an der Universität Rostock inne und leitet die entsprechende Abteilung am Münchner Helmholtz-Zentrum. In den vergangenen Jahren publizierte er immer wieder Studien, welche die Feinstaubbelastung in bayerischen Städten untersuchten, zwischen 2006 und 2008 etwa an bis zu acht Messstationen in Augsburg.

Gemeinsam mit seinen Kollegen fand Zimmermann unter anderem heraus, dass die Feinstaubwerte aus Hausbrand "in einem Wohngebiet mit hoher Dichte an Holzfeuerungen" um bis zu 3,7 Mikrogramm pro Kubikmeter höher lagen als im übrigen Stadtgebiet. Als er in Augsburg das Verzeichnis der Holzöfen gesehen habe, erinnert sich der Forscher, dachte er zuerst, da wäre ein Komma verrutscht - derart groß war die Verbreitung. Zehn bis 15 Prozent der Partikel konnten die Forscher auf diese Öfen zurückführen.

in Wohnvierteln steigt der Anteil von Holzheizungen am Feinstaub

In den Jahren danach stieg der Absatz von Holzöfen noch einmal deutlich an, während andere Feinstaubquellen an Bedeutung verloren: Kohleöfen sind heutzutage out, Dieselruß seit dem Einbau entsprechender Partikelfilter ein Ding der Vergangenheit. Dafür steigt, gerade in Wohnvierteln, der Anteil von Holzheizungen am Feinstaub. Nur wie groß dieser Effekt ist, kann niemand sagen.

Insgesamt 54 Luftmessstationen betreibt das Bayerische Landesamt für Umwelt (LfU), verteilt auf den ganzen Freistaat. Wenn irgendwo im Land Grenzwerte überschritten werden, blinkt auf der Webseite des LfU ein gelber oder roter Punkt, und das Interpretieren geht los. Zwar unterscheiden die Messstationen klar zwischen verschiedenen Größen (PM10 steht für Schwebstaubpartikel mit Durchmessern unter zehn Mikrometern, PM2,5 misst noch kleinere Teilchen) - über die Herkunft des Staubs aber wissen die Forscher kaum etwas.

"Anhand dieser Daten kann nicht zwischen den Quellen des Feinstaubs unterschieden werden", sagt ein Sprecher des LfU. Und überhaupt sind die Messstationen des Landesamts nicht optimal dafür geeignet, Feinstaub aus Heizungsemissionen zu erfassen. Der Großteil der Geräte steht streng nach den gesetzlichen Vorgaben in Straßennähe, wo dank Bremsstaub und Kupplungsabrieb lange der meiste Feinstaub vermutet wurde. Und 22 von 54 Stationen geben überhaupt keine Feinstaubwerte wieder, schon gar nicht die besonders feinen Partikel, weil sie nicht dafür ausgerüstet sind.

Insgesamt sechs bayerische Messtationen verzeichneten in den vergangenen Tagen trotz dieser offensichtlichen Unschärfen eine nur mehr "ausreichende" Luftqualität: Zweimal in München, dreimal in Augsburg, einmal in Sulzbach-Rosenberg färbten sich die Punkte auf der Landkarte gelb. Für PM10, die "größeren" Partikel, gilt im Tagesmittel eine Obergrenze von 50 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft - gerade am späten Abend, wenn die Glut im Ofen nur langsam erkaltet, wird dieser Wert häufig überschritten, sogar abseits der Wohngebiete.

Weil am Ende des Tages aber nur mit dem Durchschnitt - dem gerundeten Mittelwert - gerechnet wird, scheint die Übertretung dieses Grenzwerts in der Regel nicht auf. Und wenn sie es tut, spielt das meist auch keine Rolle, denn an 35 Tagen pro Jahr darf der Wert ohne Probleme überschritten werden - wie 2017 in der Münchner Landshuter Allee, wo an einem Tag sogar das Zehnfache der erlaubten Feinstaubmenge gemessen wurde.

"Nicht mehr zeitgemäß" findet Ralf Zimmermann diese Form der Messung. Er spricht sich für eine deutliche Verschärfung der Messmethoden aus, für engere Zeitfenster und eine bessere Gewichtung. So sind ultrafeine Partikel und organische Kohlenwasserstoffe (PAKs), wie sie vor allem beim Anfeuern entstehen, um ein Vielfaches gefährlicher als der Feinstaub aus dem Straßenverkehr - müssten also auch strenger kontrolliert werden. PAKs etwa sind krebserregend, geruchsintensive Phenole hingegen machen vor allem Asthmatikern und anderen Lungenkranken zu schaffen. "Hier ist ein beherzteres Handeln der Politik für den Gesundheitsschutz geboten", sagt Zimmermann, "es muss mehr und schneller passieren."

Der Meteorologe Jörg Kachelmann fordert aus diesem Grund schon seit längerem ein Verbot des "Hausbrands", er spricht von der "Holzofen-Lüge", der "unendlichen Dummheit von Politikern" und einer langsamen Vergiftung durch "Reichenstaub", benannt nach den Villenvierteln, in denen Holzöfen eingebaut werden. Ganz so weit möchten die meisten Forscher nicht gehen, strengere Grenzwerte würden schon ausreichen, schließlich beruhen die aktuellen Vorgaben "auf einem Erkenntnisstand, der zum Teil über 30 Jahre alt ist." Deutlich zu lasch also.

Das 2010 verabschiedete "Bundes-Immissionsschutzgesetz" sollte zumindest den schlimmsten Qualmern zu Leibe rücken, im vergangenen Jahr lief die zweite Gnadenfrist, diesmal für vor 1984 gebaute Öfen, aus. Sie mussten nachgerüstet oder außer Betrieb genommen werden. Regelmäßig kontrolliert werden vom Bayerischen Kaminkehrerverband aber vor allem große Kessel, im letzten Jahr etwa mehr als 92 000 Feuerungsanlagen für feste Brennstoffe. Das Ergebnis: Rund 93 Prozent erfüllten die "strengeren" Grenzwerte ohne Probleme. Ein Ende der giftigen Gemütlichkeit scheint damit nicht in Sicht.

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Quelle:
SZ vom 10.11.2018/huy
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