An ihnen soll es an diesem Vormittag offenbar nicht liegen. Ganz im Gegenteil, Sabine, Sabrina, Sandra, Annika, und Melissa liegen ja selbst nur im hohen Gras, rühren sich kaum und werden wohl wiederkäuen. Für die Schar förmlich gekleideter Menschen, deren Köpfe über die dichte Fichtenhecke ragen, gibt es zum Beispiel den Holzspalter zu hören, den der Bauer drüben auf der anderen Seite just an dem Vormittag angeworfen hat. Oder das Bimmeln der Glocken seiner vier Jungrinder. Oder das Sirren der Drohne, die einer der vielen Pressefotografen über der Szenerie am Ortsrand des Weilers Erlkam bei Holzkirchen aufsteigen lässt.
Nur bei Sabine, Sabrina, Sandra, Annika, und Melissa klingelt gar nichts, wobei Melissa auch gar keine Glocke trägt. Das ist dem 5. Zivilsenat des Oberlandesgerichts München aber zu wenig, ist er doch eigens herausgefahren, um sich selbst einen Eindruck zu machen von den Kuhglocken, deretwegen ein Unternehmerpaar aus Erlkam und die Bäuerin Regina Killer aus dem nahen Föching schon seit fünf Jahren verschiedenste Gerichte beschäftigen.
Obwohl: Der Bundesgerichtshof wollte sich im vergangenen Dezember ja gar nicht mit dem Fall befassen, denn die Angelegenheit habe keine grundsätzliche Bedeutung. Das sehen die Streitparteien allerdings anders. Ihnen geht es längt ums Prinzip, weshalb trotz aller Bemühungen der jeweiligen Richter auch nie ein Vergleich zustande kam - bis auf diesen einen Vergleich ganz am Anfang vor dem Amtsgericht in Miesbach.
Damals hatte der wegen nächtlicher Lärmbelästigung klagende Autohändler eingewilligt, dass Regina Killers Kühe weiterhin ihre Kuhglocken tragen dürfen, so lange sie weiter als 20 Meter von seinem Gartenzaun entfernt sind. Das waren sie seither immer, weshalb das von dem Unternehmer dann trotzdem angerufene Landgericht und danach auch das Oberlandesgericht jeweils zu dem Schluss kamen, er bleibe an den Vergleich gebunden. Angesichts dieser Niederlagen hatte aber inzwischen auch seine Ehefrau, die mit dem Vergleich am Amtsgericht nach eigenen Angaben nichts zu tun hatte, am Landgericht eine ganz ähnliche Klage eingereicht, die am Dienstag nun also auch schon vom OLG verhandelt wurde.
Die Rollen der Zugezogenen und der Einheimischen scheinen klar verteilt
Dass es auf ihrer Seite jedenfalls nicht am Geld, an den Prozesskosten und an den Anwaltshonoraren scheitern werde, hatte eben dieser Anwalt auch schon einmal sehr deutlich gemacht. Regina Killer aber mag sich nicht kaufen lassen, wie sie sagt. Sie hat alle Angebote, ihre Kühe statt der Glocken mit lautlosen GPS-Sendern auszustatten, rundweg abgelehnt und beharrt darauf, dass das mit den Glocken auf einem bayerischen Bauernhof nun einmal so gehöre und darum auch so bleiben müsse. Die Glocken seien nicht nur irgendwo droben auf der Alm, sondern auch im vergleichsweise flachen Holzkirchen nötig, um abgängige Tiere wiederzufinden. Außerdem vermittelten sie ihr "einfach so ein Heimatgefühl. Wenn man die Glocken hört, dann weiß man, es ist Sommer."
Das Unternehmerpaar ist zu einer Zeit in sein teuer bezahltes und aufwendig hergerichtetes Haus nach Erlkam gezogen, als die Wiese nur gemäht wurde und nicht als Weide diente. Erst etwas später hat die deswegen mitverklagte Gemeinde Holzkirchen sie an Regina Killer verpachtet, welche sie seither eben als Weide nutzt. Trotzdem scheinen die Rollen der Zugezogenen und der Einheimischen klar verteilt - und weil sie sich kaum besser besetzen ließen, wird jede Runde im Holzkirchner Kuhglockenstreit zum Medienereignis, was die Einigungsbereitschaft nicht erhöht hat, allen richterlichen Bemühungen zum Trotz.
Die Oberlandesrichter schicken jetzt Regina Killer hinter der Hecke hervor, damit sie ihre Kühe eine Runde über die Weide treibt und die Glocken endlich zum Klingen bringt. Drüben rattert weiter der Holzspalter. Schließlich schreiten alle Prozessbeteiligten selbst heran, nur das Unternehmerpaar bleibt hinter seiner Hecke, wie es das nach Angaben einiger Erlkamer eigentlich sowieso immer tut. "Dann begeben wir uns jetzt mal in eine Entfernung von plus/minus 30 Metern von den Kühen", schlägt der Vorsitzende vor, und an Ort und Stelle beklagt sich dann der Anwalt der Kläger, dass Killer nur trächtige Mutterkühe auf die Weide getrieben habe und nicht das agile Jungvieh wie sonst immer.
Später im Gerichtssaal in München rügt das auch der Vorsitzende, der den Ortstermin als "mehr oder weniger nutzlos" ansieht. Mittels richterlicher Handyapp wurden auch aus wenigen Metern Entfernung Lärmwerte klar unter dem einschlägigen Richtwert gemessen. Es gebe also für beide Seiten Gründe für einen Vergleich - und am Ende einigen sie sich tatsächlich: Höchstens drei Kühe dürfen künftig noch Glocken tragen, deren Durchmesser darf maximal zwölf Zentimeter betragen. Die Abstandsregelung von 2015 gilt weiter.