Süddeutsche Zeitung

Holzkirchen:Verhärtete Fronten im Kuhglockenstreit

  • Seit drei Jahren wird in Holzkirchen über den Einsatz von Kuhglocken gestritten - ein Ehepaar hatte gegen eine benachbarte Bäuerin geklagt.
  • Die Sache liegt inzwischen beim Oberlandesgericht, das wohl im Februar verhandeln wird.
  • Eine gütliche Lösung lehnen die beteiligten Parteien ab, das Gericht wird Ende Januar urteilen.

Von Matthias Köpf

Irgendwann bimmelt es dann doch. Die Beklagte hat diesmal zwar keine Kuhglocke dabei, leider, sonst immer und in allen Instanzen. Aber jetzt hält die Klägerin ihr Mobiltelefon in die Höhe und spielt, auf maximaler Lautstärke, eine Aufnahme ab. "Das war nachts um 1.15 Uhr. An einem Dienstag." Almatmosphäre macht sich trotzdem keine breit im Verhandlungssaal des Landgerichts München II, aber da geht es ja schon los. Holzkirchen liegt zwar im Landkreis Miesbach, dort aber der alpinen Idylle so fern wie es nur geht. Die boomende Marktgemeinde hat S-Bahn-Anschluss und ist längst mehr von der Pharmaindustrie geprägt als von den Milchbauern. Dennoch oder gerade deswegen ist Holzkirchen schon seit drei Jahren Schauplatz und Partei eines erbitterten Kuhglockenstreits, der am Freitag in eine Art Ehrenrunde gegangen ist.

Schon wer den Streit vom Zaun gebrochen hat, ist umstritten. Ein Ehepaar, das einige Jahre zuvor nach Holzkirchen zugezogen war, hat sich 2011 im Weiler Erlkam einen Bauernhof gekauft und ihn nach seinem Geschmack umgebaut, samt bunt illuminiertem Carport. 2014 hat dann die Gemeinde die angrenzende Wiese an eine Bäuerin vermietet, deren Hof keinen Kilometer Luftlinie entfernt in Föching liegt. Die Bäuerin ließ darauf 2015 erstmals Jungvieh mit Kuhglocken weiden, die Eheleute fühlten sich gestört. Es folgten ein Gespräch und einige Telefonate ohne viel Verständnis füreinander, dann eine einstweilige Verfügung gegen die Glocken und ein Prozess vor dem Amtsgericht Miesbach.

Die Ehefrau war als Zeugin geladen, wurde aber nicht gehört, sondern musste vor der Tür warten "in diesem Tumult, diesem Haberfeldtreiben", wie sie sagt. Von dem Vergleich, den ihr Mann drinnen mit der Bäuerin geschlossen hat, habe sie nichts mitbekommen, das ist ihrem Anwalt wichtig. Der ist auch Anwalt ihres Mannes und hat mit ihm hier am Landgericht schon einmal gegen die Kuhglocken prozessiert, trotz des Vergleichs, wonach die Kühe ab einer gewissen Entfernung zum Haus weiterhin Glocken tragen dürfen. Und genau wegen des gültigen Vergleichs hat das Landgericht die Klage 2017 abgewiesen. Die Sache liegt inzwischen beim Oberlandesgericht, das wohl im Februar verhandeln wird. Zur Sicherheit geht nun aber auch die Frau noch einmal gegen all das vor, was bei ihr Schlaflosigkeit und andere Probleme verursache und zudem den Wert des Anwesens schmälere.

Die Vorsitzende Richterin deutet aber Zweifel an, ob die Frau nicht doch auch an den Vergleich gebunden sein könnte. Denn ihr Mann, der mit hochpreisigen Autos handelt, ist alleiniger Eigentümer des Hauses. Außerdem wünscht sich nicht nur die Anwältin der mitverklagten Gemeinde, sondern auch das Gericht handfestere Angaben zur Lärmbelastung, als die privaten Messreihen des Mannes und die Messung, die ein Kamerateam von RTL inzwischen angestellt hat. Ein anderer Kameramann erinnert vor der Tür die Bäuerin daran, dass er doch schon mit ihr am Traktor gesessen sei, und überhaupt wirken die Kontrahentinnen fast so, als ob eine um etwas Restrealismus bemühte Heimatfilmredaktion ihre Rollen besetzt hätte.

Um die Rolle des Bösewichts im Großraum Holzkirchen bemüht sich der Anwalt der Klägerin, der in hessischem Zungenschlag Sachen sagt wie "Tradition ist keine Landwirtschaft" oder "Vor 100 Jahren war auch der Frauenraub Tradition" und zu verstehen gibt, dass es einen neuen Vergleich jedenfalls nicht wegen der Anwaltskosten geben werde: "Das Kostenargument ist aber für manche Leute kein Argument, weil das vernachlässigbar ist."

Die Vorsitzende bemüht sich trotzdem um eine gütliche Lösung, gerne auch ohne große Bühne, aber das kommt für keine der Parteien in Frage, auch für die Gemeinde nicht, die ihren verbliebenen Bauern möglichst wenige Einschränkungen aufbürden möchte. Die Bäuerin selbst will von GPS-Sendern fürs Vieh nichts wissen, wie sie ihr der Unternehmer zahlen würde: "Das mit der Technik, ich weiß nicht." Zudem müsse sie die Tiere gleich läuten hören, wenn sie nachts mal auskämen.

Glocken brauche im Flachland keiner, sagt der gegnerische Anwalt. "In Holland ist es genauso flach wie hier, und haben sie in Holland schon mal Kuhglocken gesehen?" Wobei sich der Richterin da neben der Frage der Notwendigkeit schon auch die der Ortsüblichkeit stellt. Die Bäuerin bekräftigt, sie halte sich an den Vergleich vom Amtsgericht und habe ja ganz am Anfang schon mal alle Glocken bis auf eine abgenommen - und doch sei kein Frieden gewesen. Trotzdem bietet sie so eine Lösung nun wieder an. Das müsse man erst testen, so die Antwort, aber für heuer ist die Wiese schon abgeweidet. Das Gericht will Ende Januar urteilen.

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SZ vom 10.11.2018/huy
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