Hoher Krankenstand:Altenpflege wird zum Pflegefall

Pflegeheim

In keinem Beruf gibt es in Bayern so viele Fehlzeiten wie bei den Altenpflegern.

(Foto: dpa)
  • AOK-Report: Mitarbeiter in der Altenpflege haben die häufigsten und längsten Fehlzeiten aller Berufe.
  • Der Krankenstand der Beschäftigten in bayerischen Pflegeheimen ist um mehr als 40 Prozent höher als der Durchschnitt der Beschäftigten aller Branchen.
  • Die Jobs in Pflegeheimen sind nicht nur körperlich anstrengend, sie belasten auch die Psyche.

Von Dietrich Mittler

Andreas Reiter hat viel Kraft investiert, hat sich hochgearbeitet bis zum Pflegedienstleiter. Doch nun hat er nach zehn Jahren ernüchternder Erfahrungen in drei bayerischen Altenpflege-Einrichtungen das Handtuch geworfen. "Es ist mir zu keiner Zeit gelungen, für Mitarbeiter in der Pflege befriedigende Arbeitsbedingungen zu schaffen", schreibt Reiter (Name geändert) an den Münchner Pflegeexperten Claus Fussek. Reiter teilt in seiner Mail mit, er wolle nicht mehr dafür verantwortlich sein, "wenn Mitarbeiter überfordert und Bewohner nicht gut gepflegt sind".

Während in der Pflegebranche solche Schreiben oft in der Schublade "Einzelfall" verschwinden, kommt die AOK Bayern zu anderen Schlüssen - und die basieren auf den Daten von gut 45 000 Versicherten, die in Altenpflege-Einrichtungen tätig sind: "Der Krankenstand der Beschäftigten in bayerischen Pflegeheimen ist um mehr als 40 Prozent höher als der Durchschnitt der Beschäftigten aller Branchen", teilte am Mittwoch Bayerns größte Krankenkasse in München mit. Im Klartext heißt das: In keinem anderen Beruf erkranken die Mitarbeiter so oft und so lange - und das liege eindeutig an den täglichen Belastungen.

Für die Beschäftigten verbessert sich nichts

Bereits beim vorangegangenen "Report Pflege 2013" hatte die AOK auf diesen Trend in der Altenpflege hingewiesen. Für die Mehrzahl der in den Pflegeheimen Beschäftigten - mehr als 82 Prozent davon sind Frauen - hat sich offenbar nichts verbessert. Im Gegenteil: "Der Gesamtkrankenstand der Branche hat 2014 seinen bisher höchsten Wert erreicht", heißt es im neuen Report - und das gilt auch für gravierende Krankheitsfälle: "Die Pflegebranche weist einen deutlich höheren Anteil an Ausfalltagen durch Langzeiterkrankungen auf", stellen die Autoren der Studie fest.

Die Liste berufstypischer Gesundheitsbelastungen in der Pflegebranche ist lang. Dazu zählt vor allem die Infektionsgefahr durch den engen Körperkontakt mit erkrankten alten Menschen. Gefürchtet sind bei Pflegekräften auch Verletzungen, zu denen es etwa beim Umgang mit Spritzen oder ähnlich spitzen beziehungsweise scharfen Gegenständen kommen kann. Solcherlei Verletzungen sind besonders kritisch "bei gleichzeitigem Umgang mit Körperflüssigkeiten", heißt es im Report.

Belastender Beruf

Hoher Krankenstand: Der Krankenstand bei Beschäftigten in Pflegeheimen steigt kontinuierlich. (SZ-Grafik/Quelle: AOK-Pflegereport)

Der Krankenstand bei Beschäftigten in Pflegeheimen steigt kontinuierlich. (SZ-Grafik/Quelle: AOK-Pflegereport)

Deutlich zugenommen haben in Bayerns Heimen die Fehlzeiten aufgrund psychischer Störungen. Im Jahr 2014 machten sie 7,5 Prozent aller krankheitsbedingten Ausfälle aus, im Vorjahr lag der Wert noch bei 6,9 Prozent. Auch hier sind die Pflegekräfte offensichtlich einem weit höheren Gesundheitsrisiko ausgesetzt als die Beschäftigten anderer Branchen, in denen immerhin auch 5,1 Prozent durch psychische Störungen im Betrieb ausfallen.

Die AOK-Spezialisten, die allein im vergangenen Jahr in 338 bayerischen Alten- und Pflegeheimen mit Mitarbeitern und Führungskräften passende Gesundheitskonzepte ausgearbeitet haben, erklären sich dies so: Pflegekräfte seien mehr als viele andere Berufstätige "gefühlsmäßig belastenden Situationen" ausgesetzt - etwa bei der Begleitung Sterbender. Belastungsfaktoren seien auch die unregelmäßige Arbeitszeit sowie die vielen Bereitschafts- und Wochenenddienste. Die Beschwerden durch schweres Heben und Tragen - etwa wenn bettlägerige Menschen umgehoben werden müssen - verursachen indes neben den psychischen Erkrankungen die längsten Ausfallzeiten. Die Falldauer beträgt hier im Schnitt mehr als 22 Tage.

"Leistungsverdichtung" sorgt für Krankheit

Karlheinz Bayer, bei der AOK Bayern mit zuständig für betriebliches Gesundheitsmanagement, spricht oft und lange mit Pflegekräften, um so herauszufinden, was verbessert werden sollte. Häufig, so sagt er, hört er diesen Satz: "Ich mache diesen Job ja gerne, aber ich habe Bedenken, dass ich das bis zum Rentenalter durchhalte."

Oft werden Bayer und seine mehr als 20 in Bayern eingesetzten Kollegen auch mit dem Wort "Leistungsverdichtung" konfrontiert. Die nimmt Pflegekräften offenbar immer mehr die Luft zum Atmen. "Angesichts des weiter nach oben gehenden Durchschnittsalters der Beschäftigten sind steigende Krankenstände zu erwarten", sagt Hubertus Räde, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der AOK Bayern.

Pflegedienstleiter Andreas Reiter, der sich mit seiner Mail an Claus Fussek gewandt hatte, will indes nicht länger in der Pflege arbeiten. "Ich werde mich beruflich umorientieren", schreibt er. Reiter will nun Kaufmann im Gesundheitswesen werden.

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