Süddeutsche Zeitung

Oberfranken:Wer lesen kann und 15 Kilo heben, der kriegt den Job

In Hof ist die Arbeitslosigkeit groß. Nun eröffnet Amazon dort ein Logistikzentrum mit 1000 Jobs ohne große Anforderungen. Doch nicht alle freuen sich über den neuen Arbeitgeber.

Von Clara Lipkowski, Hof

Die Anforderungen sind schnell aufgezählt: Wer nahe Hof einen Job sucht, muss Deutsch oder Englisch beherrschen - und 15 Kilo heben können. Eine Ausbildung ist nicht nötig, ein Studium auch nicht. Kein Bewerbungsschreiben, kein Lebenslauf. Amazon, der Internetriese, stellt ein.

Der Online-Händler ist derzeit wieder Gesprächsthema in Hof, die Eröffnung des Logistikzentrums Hof/Gattendorf in einer Art Tech-Park von Stadt, Landkreis und Gemeinde Gattendorf steht nach gut eineinhalb Jahren Bauzeit kurz bevor. Im Mai soll es so weit sein. Es ist das zweite große Logistikzentrum in Bayern, neben Graben bei Augsburg. 1000 Arbeitsplätze soll das Warenlager im ersten Jahr der Region bescheren. Dafür hatte Amazon großflächig geworben: Mit Flyern in Briefkästen, auf Plakaten, demnächst auch noch auf Pizzakartons. Schnelles Essen und schnell einen Job, so die Devise.

Bereits mehr als 900 Stellen seien schon vergeben, sagt ein Amazon-Sprecher am Freitag, mehr als 700 davon im Versand, vor allem für Geringqualifizierte. Die übrigen für Führungs- und Fachkräfte in IT oder Technik. Die Offensive kommt bei vielen in der Region gut an - die Stadt Hof gehört in Bayern oft zu den Negativrekordhaltern bei der Arbeitslosenquote, sie liegt derzeit mit 5,6 gleichauf mit Fürth und knapp hinter Schweinfurt (6,0), aber weit über dem bayerischen Durchschnitt von 3,3. Unter den Hofer Arbeitslosen sind sehr viele Menschen ohne Schul- oder Ausbildungsabschluss. Amazon trifft also einen Nerv.

Auch Martin Löhnert hatte von der Einstellungsoffensive Wind bekommen. Der 22-Jährige sitzt am Dienstagnachmittag in einem Großraumbüro in Hof und hat soeben ein letztes Formular unterschrieben. Einen "Quali" habe er, sagt er, einen qualifizierenden Mittelschulabschluss also, eine Ausbildung aber nicht. Und im Callcenter wolle er jetzt nicht mehr arbeiten, da sitze er hauptsächlich. Bei Amazon werde er packen oder schichten, das körperliche Arbeiten finde er gut. Mitte Mai fängt er an.

Das Büro, in dem er sitzt, hat Amazon für die Akquise aufgemacht. In Laufnähe zur Innenstadt kann man hier klingeln und sich bewerben. Zwar werden die kurz gehaltenen Bewerbungsgespräche dann online geführt, im Büro aber geht es zum Hebetest. Drei Kisten heben, umschichten, dabei die Knie beugen, bloß nicht den Rücken krumm machen. Und: Beim Wenden nicht den Oberkörper verdrehen, sondern immer den gesamten Körper. So erklärt es ein Recruiter.

Die Übung ist zugleich ein Lesetest. An der Wand hängen Anweisungen. Wer die nicht lesen kann, bekommt keinen Job - weil entsprechende Schilder in der Logistikhalle auch verstanden werden müssen. Ja, es sei schon vorgekommen, dass Interessierte daran gescheitert seien, sagt der Recruiter. Wer besteht, wird für den Job-Ausweis fotografiert, dann geht es zur Vertragsunterschrift.

Vor zu viel Schleppen im Warenlager hat der Hofer Löhnert keine Sorge. Dazu beigetragen haben könnte, dass Amazon schon länger versucht, Bedenken über harte Arbeitsbedingungen zu zerstreuen, die in der Vergangenheit Schlagzeilen gemacht hatten. Sprecher Thorsten Schwindhammer sagt: Große Fensterflächen am Standort böten viel Tageslicht, die Arbeitsplätze seien klimatisiert, die Wege zu Pausenräumen kurz. Außerdem übernähmen Roboter die vielen Laufwege, die Ware komme zu den Mitarbeitenden.

"Das Lohnniveau war bei uns bedenklich niedrig."

Und Amazon lockt mit dem Lohn: 12,60 Euro brutto beim Einstieg, automatische Erhöhung nach zwölf und 24 Monaten. Vergleichsweise hoch, vor allem in Hof. Auch für Löhnert ein Grund, sich zu bewerben. Das stößt aber nicht bei allen auf Gegenliebe. Aus der Stadt ist zu hören, dass Bäcker, Metzgerinnen, Einzelhändler fürchten, Personal könnte abwandern. Oberbürgermeisterin Eva Döhla (SPD) findet gerade die höheren Löhne gut. Überhaupt sei mit Amazon von Beginn an "alles sehr professionell und zuverlässig" gelaufen, meint sie. "Das Lohnniveau war bei uns bedenklich niedrig", ein bisschen Druck sei nicht verkehrt. Und es sei schön, dass jetzt mal jemand potenziellen Beschäftigen nachlaufe. Worauf Döhla auch hofft: Dass mit den Arbeitsplätzen die Kaufkraft für Hof steigt.

Darauf setzt auch Amazon: Vor allem Menschen aus Hof selbst und der nahen Umgebung träten die Stellen an. Nicht, wie befürchtet, aus anderen Bundesländern oder dem nahen Tschechien. Für die Beschäftigten zahlt Amazon im ersten Jahr eine neu geschaffene Busverbindung. Anschließend, sagt Döhla, werde ausgewertet, wie stark der Bus genutzt wurde und entschieden, wer die Kosten trägt.

Und doch bleibt Kritik. Großartig viel Gewerbesteuer wird Amazon Hof wohl nicht bringen. Da macht sich Döhla keine Illusionen, das sei wohl der Konzernstruktur geschuldet. "Der Effekt, den wir erwarten, ist der auf den Arbeitsmarkt, nicht einer wegen der Gewerbesteuer." Der Unternehmenssprecher betont, Amazon zahle alle Steuern, die nach deutschem und EU-Recht anfallen. Und da ist der Flächenverbrauch. Fragt man beim Bund Naturschutz (BN) in Hof, äußert sich ein zwiegespaltener Kreisgeschäftsführer. Einerseits, sagt Wolfgang Degelmann, sei der Flächenfraß enorm. Das räumt auch Döhla ein, daran gebe es nichts schönzureden. Im mittelfränkischen Allersberg etwa kämpft der BN deswegen gegen ein Amazon-Sortierzentrum. Andererseits, findet Degelmann, seien die Arbeitsplätze gut für das strukturschwache Hof. Döhla betont, Ausgleichsflächen würden regelkonform geschaffen, in direkter Nähe.

In Hof jedenfalls kann sich Amazon nicht über zu wenig Zulauf beklagen. Nach Martin Löhnert klingeln zwei weitere Männer beim Büro. Sie haben schon bei Amazon in Bayreuth gearbeitet, dort steht ein kleineres Verteilzentrum. Jetzt wollen sie näher zu ihrem Wohnort im Versandhaus anfangen.

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