Höhlenforscher im Interview:"Da laufen Minuten wie Stunden weg"

Plötzliche Wetteränderungen und Wassereinbrüche: Andreas Wolf vom Höhlenforscherverband kennt die Gefahren, denen der Verunglückte in der Riesending-Höhle ausgesetzt ist. Er weiß auch, was Forscher antreibt, immer wieder hinabzusteigen.

Von Martina Scherf

Der Münchner Andreas Wolf ist stellvertretender Vorsitzender des deutschen Höhlenforscherverbandes. Er war schon oft am Untersberg, allerdings noch nicht tief in der Riesending-Schachthöhle. Er ist seit 30 Jahren Höhlenforscher und hat viele Expeditionen und Rettungseinsätze geleitet.

SZ: Was treibt die Höhlenforscher an? Reine Neugier, der Sog der Finsternis?

Andreas Wolf: Es ist natürlich Neugier, Neuland zu entdecken, auf dem noch kein anderer war. Wir kennen die Oberfläche des Mondes, aber wir wissen wenig darüber, wie es im Inneren der Berge aussieht. Höhlenforschung ist die Raumfahrt des kleinen Mannes. Aber wir sammeln auch wichtige Daten.

Welche Erkenntnisse gewinnen Sie da?

Wir messen die Ausdehnung der Höhlen, zeichnen genaue Pläne, wo kommt Wasser rein, wo tritt es aus? Was passiert bei Regen, woher kommt der Wind? Wir bohren Tropfsteine an, aus den Sedimenten lässt sich die Entstehungsgeschichte der Höhle rekonstruieren, und notieren Funde zur Biodiversität. Bis zu einer Tiefe von mehreren hundert Meter gibt es ja Fledermäuse und anderes Kleingetier. Der Untersberg zum Beispiel liefert Trinkwasser für Salzburg, deshalb sind die dortigen Geologen sehr an den Daten interessiert.

Wie lange bleiben Sie unten?

Meistens mehrere Tage, manchmal auch mehr als eine Woche.

Kriegt man da nicht einen Höhlenkoller?

Nein, im Gegenteil, das ist ein wunderbarer Rückzugsort aus der Hektik des Alltags. Man muss eine oder zwei Wochen nicht ans Telefon gehen und kann auch mal in Ruhe ein gutes Buch lesen.

Es gäbe gemütlichere Orte zum Entspannen als in der Kälte, ohne Licht . . .

Nicht für uns Höhlengänger.

Wie bereiten Sie sich auf die Exkursion vor?

Das beginnt schon lange vorher, man plant akribisch die Versorgung, die Tagesetappen, sondiert die Schneelage und verfolgt genau die Zehn-Tages-Wetterprognose. Da steigt schon die Aufregung und die Vorfreude, bevor es richtig losgeht.

Steinschlag als "Restrisiko"

Und innen drin, in völliger Dunkelheit, verliert man da nicht das Zeitgefühl?

Doch, da laufen Minuten wie Stunden weg. Deshalb ist die Planung ja so wichtig. Die eiserne Regel lautet auch: immer mindestens zu dritt gehen.

Was macht man, wenn sich plötzlich das Wetter ändert und Wasser einbricht?

Das ist mir auch schon passiert. Aber man findet fast immer ein Ausweichquartier. Dann baut man sich aus der Schutzfolie, die man dabei hat, einen Umhang, stellt eine Kerze zwischen die Beine als Wärmequelle und wartet, bis der Wasserspiegel wieder sinkt. Da muss man halt die Zeit totschlagen und sich in Geduld üben.

Kann man das Wasser wenigstens trinken?

Das sollte man vermeiden, denn man weiß ja nie, ob nicht Bakterien drin sind. Es sei denn, man hat - was kaum der Fall ist - ein Schnapserl zum Desinfizieren dabei.

Was isst man unterwegs, wenn der Rucksack mit Ausrüstung vollgestopft ist?

Bei langen Touren Trockennahrung. Wenn man nicht so tief absteigt und weniger Ausrüstung schleppen muss, gibt es auch mal ein Steak.

Wenn Sie sich nun tagelang vorbereitet haben und am Eingang der Höhle feststellen, das Wetter spielt nicht mit, ist es dann nicht eine Versuchung, trotzdem reinzugehen?

Natürlich, denn man hat ja nicht so viel Urlaub, dass man jederzeit wieder eine Tour machen könnte. Aber da muss die Vernunft siegen. Mir ist das schon öfter passiert, dass wir oben standen, alles genau geplant und uns gefreut hatten, und dann sagte uns die Höhle: Meine Herren, das wird heute nichts. Dann sind wir eben wieder nach Hause gefahren.

Wie oft passieren Unfälle wie jetzt am Untersberg?

Das ist zum Glück sehr, sehr selten. So ein Steinschlag ist aber ein Restrisiko, das sich einfach nicht ausschließen lässt. Ich bin jetzt seit 30 Jahren in Höhlen unterwegs. Mir ist auch schon mal das Wasser gestiegen, sodass ich eingeschlossen war, oder ein Seil eingefroren, das sind aber Banalitäten. Dann muss man halt am Schachtgrund ausharren. Wir Höhlenforscher sind eine kleine eingeschworene Gemeinschaft und kennen uns gut. Wir sind keine Hasardeure.

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