Hochwasserschutz in Oberbayern:Poldergeist

Hochwasser in Bayern

Oberwöhr, ein Stadtteil von Rosenheim, unter Wasser.

(Foto: Peter Kneffel/dpa)

In Feldolling bei Rosenheim soll ein Hochwasser-Rückhaltebecken entstehen, das so viel Wasser fasst wie 2640 Schwimmbecken. Die Bürger aber fürchten, dass ihr Dorf geopfert werden soll - damit große und reiche Gemeinden nicht absaufen.

Von Heiner Effern, Feldolling

Ein Turm aus 2640 olympischen Schwimmbecken, 50 Meter lang, 25 Meter breit, zwei Meter tief. Wenn man sie aufeinander stapeln würde, wären sie deutlich höher als der Mont Blanc. So viel Wasser, wie dieser Becken-Turm fassen würde, soll künftig ein Flutpolder in Feldolling (Kreis Rosenheim) aufnehmen können. "Hätten wir den beim Hochwasser 2013 gehabt, wäre nichts passiert. Wir hätten einen Schaden von 150 Millionen Euro verhindert", sagt Paul Geisenhofer, Leiter des Wasserwirtschaftsamts in Rosenheim. Seit mehr als 15 Jahren planen seine Mitarbeiter das riesige Auffangbecken an der Mangfall, das gut 40 000 Anwohner am Unterlauf schützen soll. Im Winter könnte die Behörde eine Baugenehmigung erhalten - wenn kein Polder-Nachbar klagt.

Seit die Donau im Juni 2013 ganze Landstriche und Städte wie Passau schwer geschädigt hat, ist der Hochwasserschutz wieder ins Zentrum der Politik gerückt. Das neue Allheilmittel im Kampf gegen die Fluten sind künstliche Rückhaltebecken, die einem Hochwasser die Wucht nehmen sollen. Eine "Perlenkette von Poldern" plant Bayerns Umweltminister Marcel Huber an der Donau. An der Iller ist bereits ein Auffangbecken fertig, das nächste Projekt vor dem Abschluss ist der Polder in Feldolling.

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(Foto: SZ-Grafik)

Im Katastrophenfall soll das Wasser der Mangfall künstlich ausgeleitet werden und dann bis zu neun Meter hoch auf den Wiesen stehen. Auf Höhe der Feldollinger Häuser auf der anderen Flussseite sollen es noch immer vier Meter sein. Der Damm soll an der höchsten Stelle elf Meter hoch werden. 6,6 Millionen Kubikmeter Wasser soll der Polder fassen, 55 Millionen Euro kosten. Immer wieder betont die Rosenheimer Oberbürgermeisterin Gabriele Bauer: "Der Polder muss gebaut werden, um die Menschen am Unterlauf zu schützen."

Das kleine Nest, das sich nicht wehren kann

Die Feldollinger fürchten jedoch, dass sie und ihr Ort dafür geopfert werden sollen. Oben die Reichen am Tegernsee, unten die vielen Anwohner in Kolbermoor und Rosenheim, mittendrin das kleine Nest, das sich nicht wehren kann. So fühlen sich die Anwohner. Tausend Fragen schwirren umher: Drücken die Fluten im Polder mit ihrem Gewicht das Grundwasser in die Häuser auf der anderen Seite der Mangfall? Wie schlimm leiden die Felder, wenn das Wasser bis zu drei Tage darauf steht? Wer räumt den von den Fluten angeschwemmten Abfall und Schlamm weg? Wie hoch sind die ökologischen Schäden? Ihre Sorgen konnte ihnen das Wasserwirtschaftsamt bisher nicht nehmen. Die Fakten kämen nur in Salamitaktik heraus, ärgern sich die Feldollinger. Das Amt verweist dagegen auf zahlreiche Informationsveranstaltungen und Gespräche.

Auch wenn die Feldollinger noch so sachlich argumentierten, endeten die Gespräche immer mit demselben Vorwurf, sagt der Bauer Franz Schmelmer: "Ihr seid emotionale und unsolidarische Spinner, die gegen alles sind." Schmelmer, der auch Sprecher des Ortsrates ist, den die Feldollinger alle zwei Jahre als demokratische Vertretung ihres Weilers wählen, kämpft seit 14 Jahren gegen den Polder. Er zweifelt an der Rechtmäßigkeit der Planung. Dieser liegt ein Raumordnungsverfahren aus dem Jahr 2000 zugrunde, bei dem mehrere Standorte untersucht wurden.

Die Ausgangslage damals sei eine komplett andere gewesen, sagt Schmelmer. Das Wasserwirtschaftsamt wollte damals in Feldolling einen Polder mit 2,9 Millionen Kubikmetern Fassungsvolumen bauen. Eine Sanierung und Erhöhung der Mangfalldämme war nicht vorgesehen. Erst ein paar Jahre danach, 2004, beschloss die Staatsregierung den Klimaaufschlag, der eine Verbesserung des gesamten Hochwasserschutzes um 15 Prozent vorschreibt - was die Planungen in Feldolling massiv veränderte.

Es gibt keine Alternative

Im Jahr 2014 sind nun doch die Deiche saniert, der Klima-Effekt ist eingerechnet und der geplante Polder ist auf ein Volumen von 6,6 Millionen Kubikmetern angewachsen, wozu auch die schon vorhandenen Staubecken der nahen Leitzachkraftwerke beitragen. Die Feldollinger halten deswegen ein komplett neues Raumordnungsverfahren für nötig, da andere Standorte unter falschen Voraussetzungen geprüft worden seien. Sie fordern ein dezentrales Konzept mit mehreren kleinen Poldern. "Wir werden und wollen solidarisch sein. Ein Polder in der ursprünglich geplanten Größe von 2,9 Millionen Kubikmetern könnte schon stehen", sagt Schmelmer.

Das Ergebnis aller Untersuchungen für den besten Standort sei auch unter veränderten Vorzeichen eindeutig, sagt Wasserwirtschaftsamts-Chef Geisenhofer. Mangfall und Leitzach fließen oberhalb zusammen. "Wir haben in Feldolling die einzigartige Situation, dass wir fast deren gesamtes Einzugsgebiet erfassen." Der Bau mehrerer Polder sei wirtschaftlich, ökologisch und von der Wirksamkeit her keine Alternative.

Die Bürger sind skeptisch

Doch die Feldollinger trauen den Aussagen der Wasserwirtschaftler nicht. Schon gar nicht mehr seit der Sache mit dem Grundwasser. Die Behörde habe partout nichts davon wissen wollen, dass Grundwasser unter der Mangfall hindurchgelangen kann, sagt Otmar Ries von der Bürgerinitiative Mangfalltal. Nur auf Druck der Feldollinger seien Messungen vorgenommen worden. Diese hätten belegt, dass das Gewicht des Wassers im Polder das Grundwasser unter der Mangfall hindurchschieben und die Häuser drüben gefährden könnte.

Den Fakt räumt das Wasserwirtschaftsamt ein, den Weg zu dieser Erkenntnis schildert die Behörde jedoch anders. "Der Wunsch zur genaueren Prüfung kam sehr früh schon von den Bürgern. Das haben wir gemacht, weil wir die Beteiligung der Öffentlichkeit ernst nehmen. Zu einem späteren Zeitpunkt hätten wir das Grundwasser ohnehin detailliert untersucht", sagt Geisenhofer. Nun werde man eine Drainage in den Boden einbauen, die durchdrückendes Grundwasser abtransportieren werde. "Wir sind überzeugt, dass sich keine Verschlechterungen ergeben werden."

"Das Wasserwirtschaftsamt liefert die passende Planung zum politischen Konzept. Die machen nicht mehr ihren Job", sagt Ortssprecher Schmelmer. Die Feldollinger würden sich "gegen die Arroganz der Planer" wehren: Viele würden unter den jetzigen Bedingungen die für den Polder notwendigen Grundstücke nicht an den Staat verkaufen. Und eine Klage stehe offen. "Damit ist zwar keinem gedient, wir sind kompromissbereit. Momentan wird uns aber der Rechtsweg aufgezwungen."

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