Folgen des Juni-Hochwassers 2024:Gemeinden verlangen mehr Rechte im Hochwasserschutz

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Versunken in den Fluten der Schmutter: Die schwäbische Ortschaft Nordendorf Anfang Juni 2024.  (Foto: Imago/Michael Bihlmayer)

Bei einer Experten-Anhörung im Landtag fordern Kommunen weniger Bürokratie und „striktere Zugriffsmöglichkeiten“ auf Grundstücke. Doch es gibt auch große Fortschritte in Bayern.

Von Christian Sebald

Nordendorf im Landkreis Augsburg ist vom Juni-Hochwasser 2024 schlimm getroffen worden. So schlimm, dass Bürgermeister Tobias Kunz nach wie vor „täglich mit den Folgen befasst ist“. So hat es Kunz am Donnerstag im Landtag berichtet. Die Schmutter, die an Nordendorf vorbeifließt, war seinerzeit nach tagelangen Regenfällen gleichsam außer Rand und Band. Nach einem verzweifelten Kampf der Nordendorfer Bevölkerung, der örtlichen Feuerwehr und anderer Einsatzkräfte überschwemmten die braunen Fluten die provisorischen Dämme, die zuvor in stundenlanger Plackerei errichtet worden waren, und setzten den Ort unter Wasser.

So wie Nordendorf ist es Anfang Juni 2024 vielen Gemeinden vor allem in Schwaben ergangen. Vielerorts traten Bäche und Flüsse über die Ufer und fluteten ganze Regionen. Mindestens vier Menschen starben in dem Hochwasser, 26 wurden verletzt, Tausende mussten aus ihren Häusern gerettet werden. Fast 85 000 Helfer und Helferinnen waren tagelang im Einsatz. Experten schätzen die Schäden in Bayern auf etwa zwei Milliarden Euro.

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In der Landtags-Anhörung berichtete Bürgermeister Kunz den Abgeordneten von dem jahrelangen Kampf um den Hochwasserschutz für das Dorf. „Es geht dabei eigentlich um eine kleine Maßnahme“, sagte Kunz, um einen Deich an der Schmutter, der erhöht und ertüchtigt werden muss, ein Projekt für knapp zwei Millionen Euro. Aber das Projekt läuft bereits seit elf Jahren. „Zum ersten Mal beantragt worden ist es 2014“, berichtete Kunz. Nun, ein Dreivierteljahr nach dem Juni-Hochwasser 2024, rechnet er damit, dass es zum Jahresende 2025 das Genehmigungsverfahren beginnen kann. Baubeginn könnte dann 2029 sein, sagte Kunz. Für die Bauarbeiten selbst veranschlagt er nur ein halbes Jahr.

Für den Kommunalpolitiker kann es das nicht sein. „Das muss viel schneller gehen“, sagte er. Zumal Nordendorf und das jahrelange Hin und Her für den Hochwasserschutz dort kein Einzelfall sind in Bayern. Das machte Kunz wiederholt deutlich. Die Forderungen der Kommunen: Die Wasserwirtschaftsämter müssen unbürokratischer arbeiten, die Verfahren müssen entschlackt werden. Vor allem müssen die Kommune mehr Kompetenzen erhalten. „Und die Grundstücke für den Hochwasserschutz müssen verfügbar sein“, sagte Kunz. „Wir brauchen striktere Zugriffsmöglichkeiten.“

Aber einmal abgesehen von den langwierigen Verfahren, ist Bayern beim Hochwasserschutz alles in allem gut aufgestellt. Das haben Experten wie Bernhard Böhm von der Deutschen Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall den Landtagsabgeordneten in der Anhörung bestätigt. Deutschlandweit rangiert der Freistaat vorne. Seit dem Pfingsthochwasser 1999 hat Bayern vier Milliarden Euro in seine Hochwasserschutz-Programme gepumpt. Mit dem Geld wurden Hunderte Kilometer Dämme und Deiche saniert und neu errichtet. Zig Millionen wurden auch in Rückhaltebecken und teils mobile Hochwasserschutzwände investiert, etwa bei Kloster Weltenburg an der Donau.

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Der natürliche Hochwasserschutz ist ebenfalls gestärkt worden, wenngleich in deutlich geringerem Umfang als der technische. Insgesamt wurden weit mehr als tausend Kilometer Gewässerstrecke und fast 3000 Hektar Auwälder renaturiert. Außerdem gibt es Hochwassergefahrenkarten und dergleichen Informationsmaterial mehr. Und der Freistaat setzt sein Engagement fort. Bis 2030 investiert er weitere zwei Milliarden Euro in den Hochwasserschutz, wie der Vorsitzende des Umweltausschusses des Landtags, Alexander Flierl (CSU) schon im Vorfeld der Anhörung betont hat.

Gleichwohl gibt es Verbesserungsbedarf. Und zwar nicht nur, weil die Klimakrise fortschreitet und allein deshalb die bisherigen Konzepte nicht ein für alle Mal ausreichen werden. Sondern, weil Freistaat und Staatsregierung bisher nicht alle Möglichkeiten ausschöpfen. Vor allem bei den Planungs- und Genehmigungsverfahren. Georg Loy von der Vereinigung der Bayerischen Energie- und Wasserwirtschaft forderte deshalb offen, Hochwasserschutz- und andere Klimaanpassungsmaßnahmen endlich als Projekte von übergeordneten öffentlichen Interesse in die entsprechenden Gesetze aufzunehmen.

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Dann entfielen nämlich nicht nur aufwendige und zeitraubende naturschutzfachliche Prüfungen, wie Loy anführte, sodass sich die Verfahren kürzen ließen. Sondern der Freistaat könnte außerdem die notwendigen Grundstücke schneller beschaffen, weil man widerspenstige Grundbesitzer enteignen könnte, wie das ja im Straßenbau durchaus üblich ist. Die Forderung selbst ist nicht neu. Vor allem unmittelbar nach Hochwasserkatastrophen wird sie vorgebracht. So hatte Umweltminister Thorsten Glauber (FW), der kraft Amtes für den Hochwasserschutz in Bayern zuständig ist, sie sich direkt nach dem Juni-Hochwasser 2024 zu eigen gemacht. Er wurde aber schnell von Ministerpräsident Markus Söder (CSU) zurückgepfiffen – getreu dem Grundsatz der CSU, dass in Bayern der Grundsatz Freiwilligkeit vor Zwang gelte.

Einigkeit herrscht in der Expertenwelt inzwischen außerdem darin, dass der Freistaat die unterschiedlichen Schutzpotenziale gleichermaßen ausschöpfen müsse. Also eben auch die des natürlichen Rückhalts in der Fläche, etwa durch die Renaturierung von Mooren, bodenschonende Wirtschaftsweisen im Ackerbau, damit die Fluren möglichst viel Niederschlagswasser aufnehmen können, und dergleichen mehr. Nicht nur nach Überzeugung der Grünen hat der Freistaat da großen Nachholbedarf.

Bis vor wenigen Jahren waren es vor allem Umweltverbände und einzelne Wissenschaftler wie der Bodenkundler Professor Karl Auerswald, die die Forderung nach sehr viel mehr natürlichem Rückhalt vorbrachten. Nun ist sie auch Konsens unter Ingenieuren wie Professor Markus Disse von der TU München, seinem Kollegen von der TU Dresden, Jürgen Stamm und Professor Wolfgang Günthert von der Bundeswehr-Universität München. Und selbstverständlich wird sie von Klimaforschern wie Professor Harald Kunstmann von der Uni Augsburg geteilt.

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