Hochwasser in Niederbayern:Retten, bergen, beruhigen

Seit 1993 hat es in Bayern 111 Katastrophen gegeben. Viele Helfer kennen sich untereinander und arbeiten routiniert. Dennoch ist jeder Einsatz erschütternd.

Von Dietrich Mittler

In der Nacht zum Donnerstag hat Herbert Wiedemann, der Geschäftsführer des BRK-Kreisverbandes Rottal-Inn, nur zwei Stunden geschlafen. Seit Stunden sehen ihn seine Kollegen vom Hochwasser-Krisenstab meist nur am Telefon. Wiedemanns Aufgabe: eintreffende Nachrichten auf Dringlichkeit filtern, dementsprechend Einsatzkräfte bündeln, innerhalb des Bayerischen Roten Kreuzes Verstärkung aus umliegenden Bereichen anfordern, um die vom Einsatz erschöpften Kollegen abzulösen.

Wiedemann ist noch ergriffen von den ersten Eindrücken, als das Wasser des sonst unauffälligen Simbachs um fünf Meter anschwoll und die Rettungsteams plötzlich verzweifelte Menschen von Auto- und Hausdächern holen mussten. "Das hier ist an Dramatik nicht mehr zu überbieten", sagt er.

Die zentrale Einsatzleitung liegt in der Hand der Feuerwehr. Immer wieder kommen die Vertreter der einzelnen Hilfsdienste, darunter auch das Technische Hilfswerk, zusammen, um ihr Vorgehen zu koordinieren. Das geschieht ruhig, ohne große Aufregung, absolut professionell. "Dadurch, dass wir in der Vergangenheit schon immer wieder solche Schadensereignisse hatten, kennen wir uns alle sehr gut und arbeiten vertraut Hand in Hand", sagt Wiedemann.

Insgesamt 111 Katastrophen verzeichnet die Statistik der Rettungsdienste in Bayern von 1993 bis 2015 - so etwa die Hochwasser in den Jahren 1998, 2001, 2004 und 2013. Dann der tragische Einsturz der Eissporthalle in Bad Reichenhall oder 2015 der Sägewerkbrand im Landkreis Hof, um nur einige der Großeinsätze herauszugreifen, bei denen sich die bayerischen Retter bewähren mussten.

Zu diesen Ereignissen wird nun das verhängnisvolle Hochwasser im Kreis Rottal- Inn dazukommen. Mehrere Tote haben die Rettungstaucher der Wasserwacht mittlerweile aus Gebäuden bergen können. Der Partner von Wiedemanns Tochter Veronika - auch sie ist als Helferin des Roten Kreuzes im Dauereinsatz - war einer derjenigen, die am Donnerstag die Leiche eines etwa 75-jährigen Mannes geborgen haben.

Wiedemann, selbst ausgebildeter Rettungstaucher, weiß, was damit verbunden ist - insbesondere, wenn vielleicht noch die Angehörigen am Einsatzort dabei sind: "Wenn du in einem überfluteten Keller in der Drecksbrühe als Taucher umherkrabbelst und nicht weißt, was dich dort erwartet, dann ist das kein gutes Gefühl", sagt er - von den Gefahren einmal ganz abgesehen. Aber Wiedemann sieht das nüchtern: "Unsere Leute machen das ja nicht zum ersten Mal, die sind für solche Einsätze trainiert." Doch wenn die Strömung zu stark wird, werden die Tauchgänge abgebrochen. Die Sicherheit der Retter geht vor, wenn am Einsatzort keine Lebenszeichen darauf deuten, dass hier noch Menschen gerettet werden können.

"Wenn man Menschen sieht, die ohne Schuhe vor uns stehen"

Etwa 1300 Einsatzkräfte aktivierte das BRK bei der Hochwasserkatastrophe 2013, als die Landkreise Deggendorf und Straubing im Wasser versanken. Beim Einsatz im Kreis Rottal-Inn waren es in der ersten Nacht 250, dann am Donnerstagmorgen, als sich die Lage etwas entspannte, gut 170. Unter ihnen ist auch Veronika Wiedemann, die sich als Mitglied der BRK-Bereitschaften engagiert. Sie wirkt mit bei der Koordination, um die Geborgenen mit Lebensmitteln zu versorgen, ihnen - wenn sie in letzter Minute vor den Fluten aus dem Haus gerettet wurden - auch Kleidung und einen Platz zum Schlafen zu organisieren.

"Es ist erschütternd, wenn man Menschen sieht, die zum Teil ohne Schuhe und Strümpfe vor uns stehen. Viele von ihnen sind total fertig, weil sie nur schlecht oder gar nicht versichert sind", sagt die junge Helferin. Oft helfe nur beruhigendes Zureden durch die Experten des Kriseninterventionsteams, wenn etwa nur ein Teil der Familie bereits in Sicherheit ist. "Zu uns kamen Frauen, die waren verzweifelt, weil zwar sie gerettet waren, der Mann aber weiterhin im Haus bleiben wollte."

Michael Sperlein, Einsatzleiter für den Wasserrettungsdienst in Passau, kennt diese Belastung aus eigenem Erleben, als die Fluten 2013 seiner Heimatstadt zusetzten. Er ist nun auch in Simbach am Inn mit dabei. Und er weiß, unter welchem Stress seine Leute draußen gerade sind - insgesamt 130 Wasserwachtler, von ihnen sechs ausgebildete Luftretter, die dann eingreifen, wenn selbst die für Hochwasser-Einsätze konzipierten Flachwasserboote nicht mehr an die verzweifelten Menschen herankommen und eine Bergung nur noch mit dem Hubschrauber möglich ist. "Die Schwierigkeit ist einfach die unbekannte Wasserlage", sagt er. Überflutete Straßenlaternen können schnell eine Bootsschraube beschädigen, und dann geraten die Retter selbst in Gefahr.

Oft hilft bei solchen Einsätzen dann nur Erfahrung - und eine gute Ausrüstung. Dafür sorgt nicht zuletzt das bayerische Innenministerium, das viel Geld in den Katastrophenschutz steckt. Seit dem Jahr 2009 wurden aus Staatsmitteln mit mehr als 14 Millionen Euro Einsatzfahrzeuge und wichtige Ausrüstungsgegenstände für die freiwilligen Hilfsorganisationen und die Feuerwehren finanziert.

Auf die Hochwasserkatastrophe im Juni 2013 reagierte das Innenministerium mit einem neu geschaffenen Sonderinvestitionsprogramm. "Es umfasst eine optimale Ausrüstung für die Bekämpfung von Hochwasser und hat bei einer Laufzeit von 2015 bis 2018 ein Volumen von 24,2 Millionen Euro", heißt es aus dem Ministerium.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: