Hochwasser in Niederbayern:Das große Aufräumen

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Ein Anwohner watet im Deggendorfer Ortsteil Fischerdorf durch das Hochwasser. (Foto: dpa)

Eine stinkende Brühe aus Heizöl und Gülle, Treibgut und Tierkadavern - allein im Raum Deggendorf hat das Hochwasser eine halbe Milliarde Euro Schaden angerichtet. Nun durften Hunderte Anwohner in Niederbayern erstmals in ihre Häuser zurück. Doch was sie sehen, treibt vielen die Tränen in die Augen.

Von Wolfgang Wittl, Deggendorf/Passau

Am Wochenende war viel von Entspannung zu hören, von haltenden Dämmen und sinkenden Pegelständen. Für die vom Hochwasser geplagten Menschen in Niederbayern bedeutete diese vermeintlich gute Nachricht vor allem, dass sie erstmals einen ungeschminkten Blick auf das wahre Ausmaß der Katastrophe bekamen. Hunderte Anwohner im Landkreis Deggendorf und Passau durften in ihre Häuser zurückkehren. Was sie sahen, trieb ihnen die Tränen in die Augen.

Am schlimmsten stellt sich die Situation weiterhin in den Deggendorfer Stadtteilen Fischerdorf, Natternberg sowie in der Gemeinde Niederalteich dar. Dort durften lediglich jene Hausbesitzer die Orte betreten, deren Anwesen wieder zugänglich waren. Jeder Anwohner erhielt eine Nummer, die er abends wieder abgeben musste, danach ging es zurück in die Notquartiere. Aus Angst vor Plünderungen wurden die Gebiete von 21 Uhr an von der Polizei abgeriegelt.

Viele Menschen müssen sich mit ihrem Wunsch, in ihren eigenen vier Wänden nach dem Rechten zu sehen, weiterhin gedulden: Zu groß ist die Gefahr für Leib und Leben. Wegen defekter Fotovoltaikanlagen etwa kann es vorkommen, dass Gebäude unter Strom stehen. "Jedes Haus bietet seine eigene Überraschung", sagt der Deggendorfer Landrat Christian Bernreiter. Etwa 3000 Menschen warten darauf, in ihre Häuser zurückzukehren. Bis diese wieder bewohnbar sind, können noch Wochen vergehen. Manche Gebäude müssen desinfiziert und von Grund auf saniert werden.

Der Sprecher des Landratsamtes bezifferte die Schäden allein im Raum Deggendorf auf 500 Millionen Euro. Diese Summe übertrifft alle bisher in Bayern durch Hochwasser entstandenen Schäden. In Passau geht die Stadt von weiteren 100 Millionen Euro Schäden nur in Privathaushalten aus. Insgesamt dürfte die Schadenssumme in Bayern in die Milliarden gehen. Ministerpräsident Horst Seehofer stellte bereits weitere Unterstützung für die Flutopfer in Aussicht.

Er kündigte außerdem an, weiter massiv in den Hochwasserschutz zu investieren. Der Freistaat habe in den vergangenen 15 Jahren unglaubliche Summen für die Beseitigung von Überschwemmungsschäden aufwenden müssen, sagte Seehofer. Es sei sinnvoller, mehr Kraft auf die Prävention solcher Katastrophen zu verwenden, auch wenn sich diese nie ganz vermeiden ließen. Es sei nicht nur eine Modernisierung der Dämme erforderlich, sondern auch die Schaffung weiterer Rückhalteflächen, sagte Seehofer.

"Stinkende Brühe"

Obwohl die Pegel der Donau am Wochenende weiter sanken, bot sich im Raum Deggendorf ein verheerendes Bild. Das Wasser zwischen den Häuserzeilen vermengte sich mit Gülle und Heizöl, mit Treibgut und Tierkadavern zu einer einzigen Kloake. Neben zahlreichen Wildtieren trieben auch tote Bullen in der "stinkenden Brühe", wie ein Sprecher der Stadt sagte.

Ein Landwirt hatte mehr als hundert Rinder erschießen lassen müssen, um ihnen ein qualvolles Ertrinken zu ersparen. Er war davon ausgegangen, dass die Tiere auf dem höher gelegenen Stall seines Hofes in Sicherheit wären. Seuchengefahr bestand den Behörden zufolge nicht. Soldaten sammelten die Kadaver mit Booten ein und brachten sie in die Tierkörperbeseitigung.

Derzeit sind in Bayern etwa 900 Soldaten für die Krisenregionen abgestellt, gut die Hälfte in Deggendorf. Die Polizei säuberte am Samstag die gesperrte A 3 mit Wasserwerfern vom Schlamm. Bis sie zwischen Garham und Straubing wieder befahrbar ist, werden noch Tage vergehen. Auch die A 92 zwischen Plattling und Deggendorf wird an diesem Montag erneut für Aufräumarbeiten gesperrt.

Sorgen bereitet den Krisenstäben die Verunreinigung durch ausgetretenes Öl und Chemikalien. Spezialisten des Technischen Hilfswerks versuchen ein Abfließen in die Donau zu verhindern. Der Hydrogeologe Alfons Baier von der Universität Erlangen-Nürnberg warnte im Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa vor Umwelt- und Gesundheitsrisiken. Mit dem Hochwasser breiteten sich neben Chemikalien aus der Kanalisation auch Coli-Bakterien, Insektengifte, Pestizide und Fungizide aus - stark verdünnt zwar, aber dennoch großflächig. Behörden sollten daher die Trinkwasserqualität und landwirtschaftliche Erzeugnisse aus den überfluteten Regionen verstärkt kontrollieren.

Allerdings sei zu befürchten, dass das Personal dafür nicht ausreiche. "Wenn wir weiter Flüsse begradigen und eindämmen, Flächen versiegeln und Feuchtgebiete großräumig entwässern, müssen wir in Zukunft mit immer stärkeren Hochwassern rechnen", mahnte Baier. Andere Experten warnen wegen zu hoher Keimbelastung bereits vor dem Baden in Badeseen. Das Landratsamt im schwäbischen Dillingen erklärte, es sei von Verschmutzungen durch das Ablaufwasser der Donau auszugehen.

In Passau, das sein schlimmstes Hochwasser seit mehr als 500 Jahren erlebte, laufen die Aufräumarbeiten auf Hochtouren. Strom- und Trinkwasserversorgung sind größtenteils wieder hergestellt, die meisten Straßenzüge vom Sperrmüll gesäubert. Mehr als 20 Lastwagen waren zu Spitzenzeiten im Einsatz, um den Abfall zu entsorgen.

Diesen Montag wird die Verwaltung wieder ins Rathaus ziehen. An Normalbetrieb sei freilich noch nicht zu denken, sagte Stadt-Sprecher Herbert Zillinger. Den 5000 betroffenen Anwohnern stehen ebenfalls arbeitsreiche Wochen bevor. Sie werden in ihren Häusern Böden herausreißen, Putz abschlagen und Heizungen erneuern müssen. Auch hier verursachte das ausgetretene Öl die größten Schäden.

Problematisch sei vor allem die Benachrichtigung der Bürger gewesen, sagte Zillinger. Nachdem alle technischen Hilfsmittel versagt hatten, sei man wieder zum guten, alten Handzettel zurückgekehrt. Dennoch machten falsche Gerüchte die Runde, etwa dass sich Keime und Coli-Bakterien im Trinkwasser befänden. In Straubing wurde kolportiert, die Klinik habe evakuiert werden müssen. In Deggendorf hieß es, einzelne Stadtteile seien geplündert worden. Nichts davon erwies sich als wahr.

1000 Anträge auf Soforthilfe

Erfreulich aus Sicht der Kommunen lief die staatliche Unterstützung an. In Passau waren bis Samstagabend 1000 Anträge auf Soforthilfe eingegangen. Die zugesagten Mittel seien schnell und unkompliziert eingetroffen, "aber sie reichen bei weitem nicht aus", verlautete aus dem Rathaus. Groß ist nach wie vor die Hilfsbereitschaft aus der Bevölkerung. In Deggendorf wurden 200 Wohnungen erfasst, in die obdachlose Flutopfer einziehen können. Kirchen, Firmen und Privatleute haben gespendet oder Initiativen gegründet.

Auf einem Konto des Sozialministeriums sind bis zum Wochenende 55.000 Euro eingegangen. Der Deggendorfer Bundestagsabgeordnete Gerhard Drexler (FDP) schlägt die Herausgabe einer Notopfer-Briefmarke vor. Zusätzlich zu den regulären Briefmarke sollte jede Postsendung mit einer Notopfer-Marke von fünf Cent beklebt werden. In einem Jahr könnten so 900 Millionen Euro für die Hochwasseropfer zusammenkommen.

Mit Spannung erwartet der Krisenstab in Deggendorf, wie sich die bis Dienstag angekündigten Niederschläge auf die Lage auswirken. Um die neuen Mengen aufnehmen zu können, muss der Sylvensteinspeicher nach und nach Wasser abgeben. Dadurch ist zu erwarten, dass die Isar bei Deggendorf auch in den kommenden Tagen einen konstant hohen Pegel aufweisen wird.

© SZ vom 10.06.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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