Süddeutsche Zeitung

Hochwasser in Bayern:Damm in Rosenheim bricht

"Das ist eine katastrophale Entwicklung", so ein Sprecher des Krisenstabs. In Rosenheim ist ein Damm gebrochen, etwa 1000 Menschen müssen ihre Wohnungen verlassen. Auch Passau versinkt im Wasser, für mehrere Regionen in Ober- und Ostbayern ist der Katastrophenfall ausgerufen.

Von Andreas Ross, Wolfgang Wittl, Mike Szymanski und Heiner Effern

Gegen 22 Uhr bricht der Damm, die Fluten der Mangfall schießen in den Rosenheimer Stadtteil Oberwöhr. Etwa 1000 Menschen müssen ihre Wohnungen verlassen, wie viele dem gefolgt sind, ist unklar. "Das ist eine katastrophale Entwicklung", sagt ein Sprecher des Krisenstabs im Rosenheimer Landratsamt. Denn der Damm habe völlig überraschend in Rosenheim nachgegeben, an einer Stelle, "die wir nie auf der Rechnung hatten". Den ganzen Nachmittag und Abend kämpften die Helfer gegen einen Durchbruch in der flussaufwärts gelegenen Nachbarstadt Kolbermoor.

Der Damm tropfte dort bereits. Die Sandsäcke, die Hunderte Helfer angeschleppt haben, drohten nicht zu reichen. Ein Hubschrauber der Bundespolizei warf sogenannte Bigpacks ab, das sind voluminöse Plastiksäcke, die jeweils einen Kubikmeter Sand enthalten. An den gefährdeten Stellen errichteten Helfer einen etwa eineinhalb Meter hohen Ersatzdamm, um Kolbermoor und die angrenzenden Rosenheimer Stadtteile zu schützen. Der Höhepunkt des Hochwassers wurde an der Mangfall für Mitternacht erwartet.

Schon am Nachmittag waren in Kolbermoor 200 Bewohner einer Siedlung in Sicherheit gebracht worden. Im Rosenheimer Stadtteil Schwaig wurden die Menschen aufgefordert, ihre Häuser zu verlassen. In Oberwöhr wurden Anwohner mit Lautsprecherdurchsagen gebeten, sicherheitshalber ihre Fahrzeuge und sonstige Gegenstände aus Tiefgaragen und von den Straßen zu entfernen. Die Dämme des Inns hielten dem Hochwasser bislang stand, anders als zuletzt im Jahr 2005.

In Passau wird ein neues Jahrhunderthochwasser erwartet

Umweltminister Marcel Huber hatte am Sonntag im Dauerregen die Krisenregionen im südostbayerischen Raum besucht. "So was hat man noch nicht gesehen", sagte Huber. "Die neuen Dämme halten, die alten sind knapp davor zu brechen." Wegen der Wassermassen habe die Autobahn A 8 komplett für den Verkehr gesperrt werden müssen, allein dieser Zustand werde die Region ins Chaos stürzen.

Dramatisch entwickelte sich die Lage auch in Passau, wo die Stadt am Sonntag den Katastrophenfall ausrief. Oberbürgermeister Jürgen Dupper (SPD) rechnet mit einem "neuen Jahrhunderthochwasser". Fachleute erwarteten an der Donau einen Pegelstand bis zu zwölf Meter. Der Inn soll die Marke von acht Metern überschreiten. Normalerweise liegen die Pegelstände von Donau und Inn bei 4,50 Meter. Mehr als 500 ehrenamtliche Helfer von Feuerwehren, Wasserwacht, Rotem Kreuz und Technischem Hilfswerk stemmten sich gegen die Fluten. Da die Pegel schneller stiegen als erwartet, forderte die Stadt Hilfe von der Bundeswehr an. Auch beim Jahrhunderthochwasser im August 2002, als die Donau auf 10,81 Meter anschwoll, hatte die Bundeswehr eingreifen müssen.

Anwohner versuchten ihr Hab und Gut am Sonntag teilweise mit Schlauchbooten in Sicherheit zu bringen. Autos versanken in den trüben Fluten, Buslinien wurden eingestellt. Wasserwacht und DLRG richteten für Stadtteile, die anders nicht mehr erreichbar waren, einen Bootsverkehr ein. 14 Passauer Schulen müssen die Pfingstferien unfreiwillig verlängern.

Auch in etlichen Städten und Gemeinden in Oberbayern fallen der Unterricht und sogar die Abiturprüfungen aus. Sie werden zu einem späteren Zeitpunkt nachgeholt. Dort hatte sich die Lage am Samstagvormittag kurzzeitig entspannt. Doch bereits am Nachmittag setzte neuer Starkregen ein, der über Nacht anhielt. Die Region rund um den Chiemsee, den Tegernsee und das Berchtesgadener Land sowie Stadt und Landkreis Rosenheim wurden zum Krisengebiet. Bereits am Sonntagvormittag wurden Teile des Ortes Marquartstein im Kreis Traunstein geräumt. Mehrere Ortschaften waren von der Außenwelt abgeschnitten. In Inzell wurde ein Campingplatz evakuiert.

Am Sonntagmittag wurde für das Berchtesgadener Land, die Landkreise Miesbach und Mühldorf sowie für die Region Rosenheim der Katastrophenfall ausgerufen. Auch die Bundesstraßen 2, 305, 20 und 307 wurden in Teilabschnitten wegen hohen Wasserstands und umgestürzter Bäume gesperrt. Vor allem die aus Österreich kommende Tiroler Achen verursachte mit ihren gewaltigen Wassermassen Verkehrsprobleme.

Katastrophale Verhältnisse im Berchtesgadener Land und im Kreis Traunstein

Auch für Bahnreisende von München über Freilassing nach Salzburg und umgekehrt ging nichts mehr, weil Unterspülungen des Gleiskörpers und Murenabgänge den Zugbetrieb nicht mehr zuließen. Der Bahnhof Rosenheim wurde am Sonntagabend wegen Überflutung gesperrt. Viele Urlauber standen in Staus oder mussten weite Umwege in Kauf nehmen. Ihr Dilemma begann bereits auf österreichischer Seite, wo die Tauernautobahn nach Murenabgängen geschlossen werden musste.

Katastrophal entwickelten sich auch die Verhältnisse im Berchtesgadener Land und im Kreis Traunstein. Teile von Freilassing und Tittmoning sowie die Altstadt von Laufen wurden von der Salzach überflutet. Wegen aufgeweichter Hänge kam es vielerorts zu Erdrutschen und gesperrten Straßen. In Grassau mussten 50 Menschen aus einem Asylbewerberheim in Sicherheit gebracht werden.

Land unter hieß es auch in Deggendorf, wo die Isar in die Donau mündet. Das gerade erst angelegte Gelände der Landesgartenschau 2014 wurde weitflächig überflutet. Die Schifffahrt zwischen Straubing und Vilshofen musste - wie auch in anderen Teilen Bayerns - eingestellt werden. Immer wieder kam es zu gefährlichen und teils skurrilen Rettungsaktionen. Bei Plattling wurden fünf Kanuten aus Norddeutschland und England befreit, die über Nacht vom Hochwasser eingeschlossen worden waren. Im mittelfränkischen Gutenstetten holten 50 Helfer einen jungen Mann mit einem Radlader vom Dach seines im Wasser eingeschlossenen Autos.

In Regensburg richteten Stadt und Landratsamt Bürgertelefone ein. Es könne nicht mehr ausgeschlossen werden, dass die Donau am Montag am Eisernen Steg einen Pegelstand von 6,50 Metern erreichen werde, hieß es. Damit würden auch die mobilen Schutzelemente überflutet werden. Anwohner wurden bereits mit Handzetteln auf ein Notfallszenario vorbereitet.

Kritisch entwickelte sich auch die Situation im Landkreis Kelheim. Der Krisenstab des Landratsamtes beobachtete mit Sorge die Entwicklung am Kloster Weltenburg, das nach dem Pfingsthochwasser 1999 aufwendig renoviert werden musste. Ob der 2006 für zwei Millionen Euro installierte Hochwasserschutz den Wassermassen trotzt, wird sich wohl erst Anfang der Woche mit dem Erreichen des kritischen Scheitelpunktes zeigen. Auch kleinere ostbayerische Flüsse wie der Regen, die Abens und die Vils verwandelten ihre Auen teilweise in Seenlandschaften. Das Allgäu, das noch bei den Hochwassern 1999 und 2005 mit schweren Schäden zu kämpfen hatte, zählte diesmal nicht zu den Krisenregionen. Die Iller konnte auch im gefährdeten Kempten im Zaum gehalten werden.

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SZ vom 03.06.2013/tba
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