Hochwasser in Bayern:Der Deichgraf von Deggendorf

Hochwasser in Bayern - Deggendorf

Christian Bernreiter (ganz links) bespricht mit Innenminister Herrmann, Oberbürgermeister Moser und Staatssekretär Sibler die Lage in Deggendorf.

(Foto: Armin Weigel/dpa)

Er packt mit an und braucht nur wenig Schlaf: Der CSU-Landrat Christian Bernreiter besteht in den Tagen der Hochwasserkatastrophe seine größte Bewährungsprobe als Leiter des Krisenstabs. Der Politiker wird nun bereits als Minister in Seehofers Kabinett gehandelt.

Von Wolfgang Wittl

Christian Bernreiter weiß genau, wie es sich anfühlt, wenn sich ein Damm bis obenhin vollgesaugt hat. Er geht in die Knie, wippt leicht nach vorne und wieder zurück. "Am Schluss ist das wie ein Wasserbett", sagt er. Mit 16 Jahren trat Bernreiter in die Feuerwehr ein, er hat selbst Sandsäcke geschichtet. Jetzt ist er 49 und sieht zu, dass überall genügend Sandsäcke verteilt werden. Bernreiter ist der Landrat von Deggendorf - und so etwas wie der Krisenmann der Stunde.

Wer allzu leichtfertig über Politiker schimpft, muss dieser Tage nur nach Niederbayern fahren. Er wird dann eines Besseren belehrt. Hier laufen die Bürgermeister und Landräte durch die Straßen, als wären es die Häuser ihrer Kinder, die da abgesoffen sind. "Passt alles?", "wie geht's euch?", "braucht's irgendwas?" - für jeden haben sie einen Satz übrig, manchmal packen sie selbst mit an.

Bernreiter ist gerade mit einer Delegation des Regensburger Bischofs unterwegs, als ihm auf der Brücke nach Fischerdorf drei dreckverschmierte Frauen entgegenkommen: "Wie schaut's aus?", fragt er. "Wir haben immer noch Wasser im Haus, aber es wird schon."

Als Leiter des Krisenstabs blüht Bernreiter erst richtig auf

Wäre die Lage nicht derart desaströs, man müsste behaupten, Bernreiter befindet sich in seinem Element. Je mehr zu tun, je größer die Herausforderung ist, desto lieber ist es ihm. Enge Mitarbeiter schildern ihn als Macher, als einen, der gar nicht anders kann, als stets volles Tempo zu gehen. Wenn nicht gerade eine Krankenhausfusion ansteht, klinkt er sich eben in irgendwelche Gesetzesinitiativen ein. Nur kein Stillstand. Es gibt Politiker, die mussten sich während eines Hochwassers krankschreiben lassen, weil sie der Aufgabe nicht gewachsen waren. Bernreiter blüht als Leiter des Krisenstabs erst richtig auf. Vertraute sagen, sie hätten Angst um seine Gesundheit, so sehr stehe er unter Adrenalin.

Während der Bischof mit Flutopfern redet, gibt Bernreiter ein Interview. Er trägt sein Krisenoutfit: kariertes Hemd, aufgekrempelte Ärmel, Jeans, schwarze Halbschuhe. In Gummistiefeln ist er selten anzutreffen, meistens in der Nacht. Diesmal haben sie ihn um halb zwei geweckt, weil die Helfer moralischen Beistand brauchten. 1000 Feuerwehrleute und Soldaten ackerten, um die geborstenen Dämme zu flicken. Es war ihre letzte Chance, ehe die nächste Flutwelle auf Fischerdorf zurollte. 50 000 Sandsäcke wurden bewegt, natürlich haben sie es geschafft. "Sehr stolz" sei er, sagt Bernreiter.

Über sich spricht er weniger gern. Schlafmangel? Welche Frage. An den Häusern in Fischerdorf zeichnen sich graue Linien ab, es waren mal Pegelstände. Die höchsten sind nicht mal für einen Riesen auf Zehenspitzen zu erreichen. Jemand aus der Entourage des Bischofs fragt, ob der Dieselgestank denn von den Pumpen stamme. Es ist das ausgelaufene Öl, das bunt in den Gärten schillert.

Zurück ins Landratsamt, nicht mal jetzt kann Bernreiter langsam machen. "Geht scho, fahr da vorn rei'. Und jetzt gleich links", sagt er zu seinem Chauffeur, als ob der das nicht selber wüsste. Der Fahrer nickt nur. Man kennt den Chef.

Bernreiter gilt als einflussreich und ministrabel

2002 zog er für die CSU ins Landratsamt ein. Vorher hat er Stahlbauingenieur studiert, den elterlichen Betrieb übernahm er mit 32. Bei den vergangenen Wahlen holte er gegen drei Gegenkandidaten im ersten Durchgang mehr als 60 Prozent. Bernreiter sei fähig, engagiert, kein Polarisierer, sagt ein SPD-Mann. Ob seine Partei diesmal einen Gegenkandidaten aufstellen werde, wisse er nicht. "Eigentlich kann es dann nur aus taktischen Gründen sein, wenn jemand in den Kreistag will."

Aber vielleicht sucht Bernreiter sich ja selbst eine neue Aufgabe, weil ihm Deggendorf allmählich zu klein wird. In der CSU gilt der Niederbayer als einflussreich und ministrabel, der von Ministerpräsident Horst Seehofer angedachte Heimatminister wäre vielleicht eine Option. Vertraute sagen, so eine Herausforderung könnte ihn reizen. Doch ohne Mandat werde der vierfache Familienvater sicher nicht nach München wechseln. Auch politische Freunde raten ihm ab. Landräte seien heute die Fürsten von früher, sagt sogar Seehofer.

In München wäre er einer von vielen. Dann lieber Präsident des Landkreistages. 2010 unterlag Bernreiter in einer Kampfabstimmung seinem Parteifreund Jakob Kreidl, den inzwischen eine Plagiatsaffäre eingeholt hat. Es gibt nicht wenige Landräte, die Bernreiter auch so für den besseren Kreidl halten. Bernreiter sagt zu allen Spekulationen nur, dass er sich in zwei Wochen wieder für die Landratswahl 2014 nominieren lassen wolle. "Für volle sechs Jahre."

Amtiert in Deggendorf der perfekte Landrat?

Wer sich in Deggendorf umhört, gewinnt den Eindruck, hier amtiert der perfekte Landrat. Nie unbeherrscht, stets ansprechbar, immer hilfsbereit sei Bernreiter, seine vielleicht einzige Schwäche allenfalls der FC Bayern. Zum Finale der Champions-League flog er jedoch erst, nachdem er auf dem Hinweg noch einen Abstecher bei der Krönung der Lallinger Mostkönigin gemacht hatte. Pünktlich zum Anpfiff war er beim Spiel.

Die größten Defizite aus Sicht des SPD-Mannes: Bernreiter spreche zu sehr Dialekt. Auch im Fernsehen sagt er "überoi" statt überall oder "des" anstelle von das. Man kann das auch für authentisch halten. Wenn Minister und der Regierungschef sich so wie jetzt die Klinke in die Hand geben, findet Bernreiter die richtigen Worte, in beständiger Hartnäckigkeit. Geld und nochmals Geld brauche der Landkreis jetzt, sonst nichts.

Es ist später Nachmittag, vom Bischof hat Bernreiter sich verabschiedet. Vor dem abendlichen Fernsehauftritt wolle er sich noch kurz hinlegen, sagt der Landrat. Innerhalb der nächsten Stunde wird er dreimal in seinem Büro angerufen haben.

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