Süddeutsche Zeitung

Universität:Hochschullehrer verdienen weniger als Studierende, die jobben

  • Die Lehrbeauftragten an den bayerischen Universitäten sind freiberuflich tätig, sie bekommen nur niedrige Löhne.
  • Besonders hart trifft es die kreativen Berufe.
  • Das Kultusministerium sieht sich nicht in der Pflicht, mehr Geld zur Verfügung zu stellen.

Von Anne Kostrzewa

Für Andrea Fleissner begannen die Probleme mit dem achtjährigen Gymnasium. Plötzlich hatten die Kinder nach der Schule keine Zeit mehr für Musikunterricht, die Gesangslehrerin bekam immer weniger Anmeldungen. Um ihre Miete weiter zahlen zu können, nahm sie neben der Musikschule einen Lehrauftrag an der Uni an, an der es auch vormittags was zu tun gibt.

Seit 2010 bereitet sie dort Studenten auf ihr Staatsexamen in Gesang vor. "Der Job erfüllt mich, es macht wirklich Spaß", sagt Fleissner. Große Sprünge kann sie mit dem Zubrot aus der Lehrtätigkeit aber nicht machen: 22 Euro kriegen Musik-Lehrbeauftragte an der Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) für 45 Minuten Unterricht - noch weniger als ihre Kollegen an den Musikhochschulen.

Das Problem spitzt sich jedes Jahr weiter zu, weil die Lebenshaltungskosten steigen, die Gehälter für Lehrbeauftragte an Unis hinterherhinken. Seit dem Wintersemester 2009/10 wurde der Satz von 22 Euro an der FAU nicht mehr erhöht. Davor stagnierte er acht Jahre lang bei 18,50 Euro - kaum mehr als noch 1988, da gab es umgerechnet 16 Euro. "Mit Vor- und Nachbereitung ist die Lehre eine Drittel-Stelle", sagt Andrea Fleissner. "Das rechnet sich kaum." Ihre Studenten verdienten vermutlich beim Kellnern mehr als sie.

Die FAU ist kein Einzelfall, auch an den anderen bayerischen Universitäten bekommen Lehrbeauftragte nur ein Taschengeld. Weil sie selbständig arbeiten, gehen von ihrem schmalen Lohn noch die Beiträge für Renten-, Pflege- und Krankenversicherung ab. Die Zahl der Lehrstunden wird jedes Semester neu ausgehandelt, Planungssicherheit oder Kündigungsschutz gibt es nicht.

Und für das bisschen Geld, was bleibt, gehen die Lehrenden sogar in Vorkasse: Abgerechnet wird erst am Ende des Semesters. Wenn Stunden ausfallen, etwa an Feiertagen oder wegen Krankheit, gibt es gar kein Geld. Auch nicht in den Semesterferien. Trotzdem kann Andrea Fleissner auf den Nebenjob nicht verzichten. "Ohne die Stelle würde ich finanziell nicht über die Runden kommen."

So wie ihr geht es mittlerweile vielen Lehrbeauftragen an Unis: Sie sind angewiesen auf den Zusatzverdienst, und mag er noch so gering sein. Besonders hart trifft es die kreativen Berufe, in denen die Verdienstmöglichkeiten ohnehin nicht immer die besten sind. Vielen droht Altersarmut, obwohl sie gut ausgebildet sind. Dass es so weit kommt, ist im bayerischen Hochschulpersonalgesetz eigentlich nicht vorgesehen.

Dort sind Lehrbeauftragte "nebenberuflich tätig", sie sollen ihren Lebensunterhalt anderweitig bestreiten, etwa als Orchestermusiker oder Gesangslehrer, und dazu bis zu zwölf Stunden pro Woche ihre Praxiserfahrung mit Studenten teilen. Für die Unis bedeutet das günstiges Lehrpersonal, die Lehrbeauftragten können ihren Lebenslauf aufpolieren. Viele hoffen auf eine feste Stelle, nur deshalb ertragen sie die Arbeitsbedingungen jahrelang.

Etwas zu gut hat sich dieses System mittlerweile etabliert. Die Lehrbeauftragten leisten weit mehr als einen Vorgeschmack auf die Praxis: Im Schnitt stellen sie an Bayerns Unis mehr als zehn Prozent des Personals. An der FAU stemmen 75 Lehrbeauftragte 80 Prozent der künstlerischen Lehre im Bereich der Musikpädagogik. "Es ist mir peinlich, meine Lehrbeauftragten für so wenig Geld zu beschäftigen", sagt Wolfgang Pfeiffer, Professor für Musikpädagogik an der FAU, "aber mehr kann ich einfach nicht anbieten."

Das Kultusministerium hat im neuen Doppelhaushalt 2017/18 100 000 Euro zusätzlich für die musikpädagogische Ausbildung vorgesehen - Universitäten können darauf zugreifen, wenn sie den gleichen Betrag aus der eigenen Tasche dazugeben. Laut Pfeiffer reiche das bei Weitem nicht aus, um das Defizit auszugleichen, das ihm durch die wachsenden Studentenzahlen entsteht. "In den letzten 15 Jahren haben sich unsere Studierendenzahlen verdreifacht. Mehr Geld haben wir deshalb nicht bekommen."

Im Kultusministerium reicht man das Problem an die Unis weiter. Durch deren Autonomie liege der Lohn der Lehrbeauftragten in ihrer Verantwortung. Isabell Zacharias, hochschulpolitische Sprecherin der SPD im Landtag, kann da nur den Kopf schütteln: "Bayerns Unis sind chronisch unterfinanziert." Ja, die Hochschulen können mit ihrer Grundfinanzierung eigenverantwortlich haushalten, "aber was das Ministerium an Geldern bereitstellt, reicht doch hinten und vorne nicht".

Friedrich Paulsen, Vizepräsident der FAU, bestätigt diese Einschätzung. "Natürlich würden wir Lehrbeauftragten gerne mehr bezahlen", sagt er. "Aber das Geld haben wir schlichtweg nicht." Und: "Allein mit Festangestellten könnten wir den Lehrbetrieb nicht aufrechterhalten." Würde man einzelnen Lehrenden mehr Geld geben, müsste man dafür andere Lehraufträge streichen, sagt Paulsen. "Das Geld wird ja nicht mehr, wir könnten es nur umverteilen." Außerdem gelte es, die Qualität der Lehre zu sichern. Da seien Personalkürzungen der völlig falsche Weg. "Wir sind uns des Problems der Lehrbeauftragten absolut bewusst und würden gerne etwas ändern", sagt Paulsen. "Ohne zusätzliches Geld sind uns aber die Hände gebunden."

Auch deshalb muss Wolfgang Pfeiffer immer wieder neues Personal suchen. Er versuche stets, für Lehrbeauftragte "die bestmögliche Atmosphäre" zu schaffen - immerhin wolle er den Studenten "die bestmögliche Lehre anbieten". Alle Mitarbeiter könne er damit aber nicht halten. "Viele kündigen, weil es sich für sie schlichtweg nicht lohnt. Das tut mir jedes Mal leid."

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SZ vom 27.12.2016/vewo
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