Hochschul-Neubau der Architekten:"Nürnbergs neues Schandmal"

Neues TH Gebäude am Dürenhoftunnel in Nürnberg

Frustobjekt: 18 Millionen Euro hat der Bau gekostet, doch Studenten und Architekten halten ihn für völlig missglückt.

(Foto: Peter Roggenthin)

Angehende Architekten werden in Nürnberg in einem Neubau ausgebildet, der alle ästhetischen Maßstäbe unterschreitet. Professoren und Studenten sind entsetzt, doch der Klotz ist preisgekrönt.

Von Olaf Przybilla

Bomben haben Nürnberg schwer getroffen 1945, und wer heute durch die Stadt spaziert, dem wird das schmerzlich bewusst. Es ist die Architektur der 1950er Jahre, die maßgebliche Teile Nürnbergs dominiert. Man mag das bedauern. Zu ändern aber dürfte es auf absehbare Zeit kaum sein in der chronisch klammen Stadt. Für umso wichtiger könnte man es halten, dass nicht auch noch die Neubauten in der zweitgrößten Stadt Bayerns gesichtslos ausfallen. Und klar: Wenn die öffentliche Hand baut, gar der Freistaat Aufträge vergibt, müsste das umso mehr gelten. Sollte man meinen.

Nürnberg, Bahnhofstraße 90. Man kann dieses Gebäude an den Gleisen leicht übersehen, aber nicht, weil es so unauffällig wäre. Sondern weil das menschliche Auge offenbar trainiert ist, Beleidigungen wenn möglich auszublenden. In dieser Straße, sehr zentrumsnah gelegen, reiht sich eine architektonische Grobheit an die andere. Der Höhepunkt folgt neuerdings aber zum Schluss: Ein Bauwerk, dem es gelingt, selbst die ästhetischen Maßstäbe in dieser reizlosen Straße noch zu unterschreiten. Ein Klotz, der ein bisschen so aussieht, als hätte man den Praktikanten-Entwurf im Schnellkurs "Einfallfreies Bauen" verwirklicht. Ist das ein Billighotel? Ein Möbellager mit Fenstern?

Nein. In diesem Neubau am Gleisbett werden seit einem Semester künftige Architekten ausgebildet. Professoren der Technischen Hochschule Nürnberg lehren dort: die Kunst des Bauens.

"Es ist verrückt"

Josef Reindl lacht, es klingt ziemlich bitter. Reindl lehrt Architektur an der Technischen Hochschule, und natürlich fühlt er sich seinem Arbeitgeber grundsätzlich verpflichtet. Einen Anlass aber, mit seiner Meinung hinterm Berg zu halten, sieht er in dieser Angelegenheit nicht. Wer ihn nach der Ästhetik seines neuen Arbeitsplatzes fragt, hört ein Seufzen. Dann sagt er: "Hier sollte man eigentlich keine Architekten ausbilden." Und nach einer kurzen Pause: "Nein, ehrlich gesagt: Es ist verrückt."

Reindl ist ein eher nüchterner Typ, er unterrichtet Baukonstruktion und Bauabwicklung, da fordert man keine Wolkenkuckucksheime. Aber darum geht es bei dem neuen Bau auch nicht. Reindl braucht nur ein paar Momente, bis es förmlich aus ihm herausbricht: "Man fragt sich wirklich: Was ist denn hier los? Wir wollen und sollen hier Studenten die Sensibilität des Bauens beibringen. Dieser Fassade fehlt es an allem, an jedem architektonischen Detail. Hingerotztes 08/15-Bauen ist das, an Lieblosigkeit kaum zu übertreffen. Wenn ich ehrlich bin: Es ist eine Unverschämtheit." So kann man das sehen.

Preisgekrönter Bestellbau

Aber es gibt auch etwas Erfreuliches daran: Die Studenten im Bau sehen das nicht nur genauso. Sie machen mit kleineren Aktionen auch darauf aufmerksam, was sie davon halten, sich in einem Monument der Nichtarchitektur über die Finessen der Baukunst belehren lassen zu müssen. Witzige Guerilla-Aktionen sind es nur, die der Hausmeister schnell aus der Welt zu schaffen versucht.

Aber immerhin: Mal liegen Flyer aus, die auf die Einfallslosigkeit eines real existierenden Neubaus in Nürnberg aufmerksam machen. Mal erinnern Holzkreuze an große Architekten der Geschichte. Und Thomas Beyer, der in einem der unteren Stockwerke des Baus Sozialwirtschaft unterrichtet, hat im Aufzug kürzlich einen Zettel in der Hand gehalten, mit dem auf Nürnbergs "neues Schandmal" hingewiesen wurde. Beyer würde es so nicht formulieren. Aber dass der Bau "nun wirklich ausschließlich an Zweckmäßigkeit ausgerichtet" ist, findet auch er.

Witzige Guerilla-Aktionen

Dabei wurde vor dieser Sorte Architektur durchaus gewarnt. Der Nürnberger Baukunstbeirat hatte angesichts der Pläne ein Schreiben aufgesetzt, das sich wie ein expressionistischer Schrei liest. "Wehret den Anfängen solcher Entwicklung", forderte das Gremium. Es warnte vor "destruktiv-fahlem" Bauen, sah "weder architektonische noch städtebauliche Anstandsregeln" in dem "tief gesunkenen Kommerz-Objekt" erfüllt. Und ergab sich am Ende beinahe in Zynismus: "Bei diesem Objekt wird der Eindruck erweckt, dass keine Fenster einbauen am billigsten wäre."

Eine Sprecherin der Nürnberger Hochschule erklärt dagegen, der "negativen Beurteilung einiger Profs und Studis" könne man sich nicht anschließen. Bei der Eröffnung des Baus sei die Rede gewesen von einem "wichtigen Meilenstein für die Hochschule". Es handele sich um einen "Bestellbau", den der Freistaat angesichts stark gestiegener Studentenzahlen in Auftrag gegeben hat. 18 Millionen Euro hat er gekostet, alleiniger Mieter ist der Freistaat. Dieser garantiert dem Bauherren einen zwölfjährigen Mietvertrag mit zweimaliger Option auf weitere fünf Jahre.

Sollten die Studentenzahlen nach 22 Jahren wieder sinken, könnte der Bau auch anders genutzt werden. Die Sprecherin macht auch darauf aufmerksam, dass es sich immerhin um ein prämiertes Bauwerk handele. Das stimmt: Auf einer Immobilienmesse wurde der Projektentwickler für diesen Bau kürzlich mit einem Zertifikat für nachhaltiges Bauen gewürdigt.

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